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November 1840
übrigens ist die spannung mit den eingeborenen trotz Amnestie und
hundert derley dingen ärger als je und in beständiger Progression, denn sie
ist nunmehr eine modesache geworden, und da ist dann alle hoffnung verlo-
ren; täglich ziehen sie sich mehr und auffallender von uns zurück; das muß
man übrigens auch gestehen, daß die Polizey hier eine menge dummer strei-
che macht in ihrer übergroßen, unklugen, unnützen strenge und oft auch
Brutalität; eine solche beständige und unberufene Einmischung derselben
in Alles habe ich in meinem Leben nicht gesehen; zudem ist auch Hartig mit
seiner lächerlichen und mitunter auch beleidigenden faux air de grand sei-
gneur gar nicht geeignet, sich beliebt zu machen, wie er es auch nicht ist.
August Lobkowitz ist schon seit längerer Zeit hier; man spricht stark
davon, daß er als adlatus des erzherzog stephan kommen könnte, welcher
Nachfolger des jetzigen Vicekönigs werden soll; tout il ya; daß er längere sé-
jours in italien seit ein Paar Jahren macht und sich in venedig ein haus ge-
kauft hat; er ist ein sehr distinguirter und geistvoller Mann; qui a vraiement
les airs et manières de grand seigneur, et non pas cette d’un bureaucrate
comme le plupart de nos chétives grandeurs, qui croient dérager en parlant
d’affaires importantes, de grand choses, avec leurs inférieurs. meine Arbeit
habe ich in diesen tagen wieder vorgenommen, zum ersten mal seit meiner
rückkehr aus der schweitz, ich wundere mich selbst darüber, daß sie mir so
sauer wird; es kostet mich immer einen wahren Entschluß sie vorzunehmen,
ich denke es ist die ungewohntheit.
[mailand] 10. november
vorgestern Abend war ich in der scala in der loge bey hartig, als der Postdi-
rector hereinkam um der gräfin hartig eine von Wien gekommene staffette
zu bringen; er las sie, gab sie seiner Frau, nahm dann seinen Hut und lief
gleich in die Loge des Erzherzogs, um sie ihm mitzutheilen; als er dann zu-
rück kam, zeigte er sie auch dem fürst lobkowitz, welcher auch in der loge
war, und aus ihren reden merkte ich, daß es eine neue Bestimmung hartigs
war; aus discretion ging ich weg; gestern aber bestättigte [sic] mir Gräfin
Hartig meine Vermuthungen; er ist als Chef der staatsräthlichen Section
des Inneren nach Wien berufen und wird nächstens abreisen; wer sein Nach-
folger seyn wird, weiß man nicht, glaubt jedoch, daß es graf Wickenburg,
gouverneur von steyermark seyn dürfte.
mich hat dieses ereigniß stark beschäftigt, weil es indirect auch auf meine
Existenz Einfluß hat; ich kannte Hartig noch zu kurze Zeit, als daß ich hätte
hoffen können, mir in ihm einen besonders thätigen Protector bereits erwor-
ben zu haben; in dieser Beziehung also glaube ich nichts verlohren zu haben,
obwohl, on connaît ce que l’on a, mais on ne connaît pas ce qui viendra; in ge-
sellschaftlicher Beziehung aber, glaube ich, können wir nur gewinnen, denn
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien