Seite - 137 - in „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“ - Tagebücher 1839–1858, Band I
Bild der Seite - 137 -
Text der Seite - 137 -
13723.
März 1841
Apropos von der samojloff, hat sie jetzt eine montagne russe1 in ihrem
Ballsaale, wo ich letzthin meine geschicklichkeit versuchte und richtig jedes
Mal hinschlug, daß ich Tags darauf kaum gehen konnte; übrigens ging es
den Anderen auch nicht besser, aber gelacht habe ich dabey wie noch in mei-
nem leben nicht!
Also vorgestern, samstag, war die letzte oper, ein Potpourri, welches bis
gegen 2 uhr dauerte, großer lärm, die frezzolini, oder eigentlich seit ein
Paar tagen mad. Poggi-frezzolini, wurde mit kränzen beworfen, etc., nach
dem theater trank ich noch bey cova meinen thee, ging dann nach hause
mich umkleiden, und fuhr um 4 uhr mit der dilligence franchetti, da es auf
dieser route keine kaiserliche gibt, ab; ich saß im Cabriolet ziemlich gut; in
Pavia frühstückte ich, in gravellona, der piemontesischen einbruchstation,
mußten wir 3 Stunden bleiben, weil das visitiren so lange währte; mit einer
énormen strenge wurden namentlich ein Paar kisten Bücher durchsucht
und einzeln abgezählt; überhaupt ist unsere Censur ein Spaß gegen die hie-
sige, und es gibt Bücher, welche einem durch ihren bloßen Besitz 2jähriges
gefängniß zuziehen können.
die straßen sind jämmerlich erhalten und folglich sehr schlecht, zudem
regnete es meistens, und wir fuhren wie die schnecken, so daß ich meine
Idee mit dem Eilwagen zu reisen, sehr bereute; zum Glücke war die Gesell-
schaft ziemlich gut, darunter ein Bassist, der nach Barcelona geht, mit sei-
ner sehr hübschen frau, etc., in voghera wurde gegessen, und so ging es auf
der mir vom Jahre 1838 wohlbekannten straße über tortona, novi und die
gioghi della dolcevera2 fort, bis wir heute früh gegen 9 uhr hier ankamen,
wo ich in der croix de malte abstieg.
hier stieg ich vormittags etwas herum, ganz glücklich, die merkwürdig-
keiten genua’s im leibe zu haben, und so des ennuis des sight-seeing über-
hoben zu seyn, ging in das magazin d’Antiquités von mozzi, etc. Abends stieg
ich in der marina herum und ärgerte mich, daß eine stadt wie genua keinen
molo, quai etc. habe, sondern daß man 1/2 stunde weit laufen müsse, um an
das Meer zu kommen und die magnifique Gegend zu genießen; dann delec-
tirte ich mich eine halbe stunde lang an einer horriblen kunstreiter compa-
gnie im theater st Agostino und kam nach hause, um bey Zeiten ins Bett zu
kommen, welches ich seit 2 nächten nicht gethan hatte.
genua vergrößert sich à vue d’œil, seit ich zuletzt hier war, haben sich
eine menge Bauten und verschönerungen gegeben [sic], doch aber bleibt
es bey seinen engen, finsteren und immer unebenen straßen und seinen
thurmhohen häusern ein langweiliges nest.
1 künstliche rutschbahn, Achterbahn.
2 richtig Polcevera, Gebirgsfluss und Tal in Ligurien.
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien