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März 1841
viel wahrscheinlichere nachtheile und unannehmlichkeiten mehr als aufge-
wogen.
Auf meinen heutigen Wanderungen sah ich die piazza del popolo und da-
selbst die dießjährige kunstausstellung mit mehreren sehr schönen gemäl-
den, das superbe innere des Pantheons, das theatrum marcelli, den gräßlich
schmutzigen ghetto, den pons sublicius, die insel s. Bartolomeo, den stadt-
theil trastevere, wo die schönen trasteverinerinnen hausen, etc. Auch sah
ich eine große Procession mit allem gepränge von militär, Bildern, Pfaffen
und Balletmusick, etc.
ich traf heute ganz unvermuthet und zu meiner großen freude Paul cou-
denhove und Louis Zichy, mit denen ich lange herumstieg; letzterer ist ein
Narr, wie immer; morgen ist großer Rout bei Lützow, zu dem er mich ein-
laden ließ. litta war heute bey mir, um mit mir wegen Billetten, Präsenta-
tionen, etc. zu conferiren. ich las heute ein editto der deputazione ai publici
spettacoli, daß ein Jeder der in der nächsten frühjahrs stagione eine loge
im theater wünsche, sich bey Zeiten melden solle per poter usare le dovute
preferenze all Eccelentissimo Corpo diplomatico ad alla nobiltà Romana; es
ist unglaublich, wie man hier in gewissen sachen noch mittelalterlich denkt,
z.B. heute sind die Postbureaus, wie alle sontage [sic], geschlossen, und in den
ganzen fasten darf kein traiteur, caffé, etc. von 4–6 uhr offen seyn, wegen
der Christenlehre; überhaupt, Rom ist sehr merkwürdig, aber bis jetzt we-
nigstens würde ich es als Aufenthalt nicht wünschen, es ist mir so pfäffisch
unheimlich, unaufgeklärt, das wahre vaterland der ignoranz und abergläubi-
schen Rohheit; zerlumptes, finsteres Volk, nichts als Kutten und Mönche, und
trotz der vielen Fremden scheint es mir, als wäre ich ganz außer der Welt; zu-
dem das schändliche Pflaster und die schmutzigen, unansehnlichen straßen,
mitunter ein Palast, sonst aber lauter miserable häuser, den corso und einige
hauptstraßen ausgenommen.
es ist nun ganz sicher und officiell, daß spaur nach mailand und Palffy
nach Venedig an dessen Stelle kömmt; mir ist dieses ziemlich unwillkom-
men; erstlich thut es mir um den Verlust des unumschränkten Gebrauchs
jener schönen loge leid, an welchen ich mich so gewöhnt hatte, und der in
Mailand wahrlich ein durch Nichts ersetzbares agrément war; dann weiß
ich, wie ungern spaur urlaube ertheilt, besonders ins Ausland, kraft seines
durch bureaucratische Ängstlichkeit beschränkten Gesichtskreises; endlich
ist er gegen alles überzählige avancement, lauter unangenehme eigenschaf-
ten für mich; übrigens wird, wenn ich mein großes Reiseproject ausführe,
meines Bleibens in Mailand ohnehin nicht mehr sehr lange seyn; in socieller
hinsicht, wenigstens für meine Person, ist mir dieses sehr angenehm, indem
ich bey spaur das kind im hause war und bin, obwohl sich auch hierin in
Mailand Manches anders gestalten dürfte als in Venedig; auch glaube ich
„Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
Tagebücher 1839–1858, Band I
- Titel
- „Österreich wird meine Stimme erkennen lernen wie die Stimme Gottes in der Wüste“
- Untertitel
- Tagebücher 1839–1858
- Band
- I
- Autor
- Viktor Franz Freiherr von Andrian-Werburg
- Herausgeber
- Franz Adlgasser
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78612-2
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 744
- Schlagwörter
- Viktor Andrian-Werburg (1813 - 1858), Revolution 1848, Austrian Neoabsolutism, Austria future (1842), Late Vormärz, Reform and Repression
- Kategorie
- Biographien