Seite - 52 - in Der Weg ins Freie
Bild der Seite - 52 -
Text der Seite - 52 -
»Sie müssen sich aber recht einsam gefühlt haben«, sagte Frau Ehrenberg.
»Das Alleinsein kommt einem allerdings etwas deutlicher zu Bewußtsein,
wenn sich niemand in der Nähe befindet, der das Bedürfnis markiert, mit
einem reden zu wollen… Aber sprechen wir doch lieber von interessanteren
und hoffnungsvollern Menschen, als ich es bin. Wie befinden sich die
zahlreichen Freunde Ihres so beliebten Hauses?«
»Freunde!« wiederholte Else, »da müßte man doch erst wissen, wen Sie
darunter verstehen.«
»Nun, alle Leute, die Ihnen aus irgendeinem Anlaß Angenehmes sagen und
denen Sie es glauben.«
Die Schlafzimmertür tat sich auf, Herr Ehrenberg erschien und begrüßte
Nürnberger.
»Hast du schon fertig gepackt?« fragte Else.
»Fix und fertig«, antwortete Ehrenberg, der einen viel zu weiten grauen
Anzug anhatte und eine große Zigarre mit den Zähnen festhielt. Erklärend
wandte er sich an Nürnberger. »Wie Sie mich da sehen, fahr ich heute nach
Korfu… vorläufig. Die Saison fangt an, und vor die Jours im Haus Ehrenberg
is mir mieß.«
»Es verlangt ja niemand«, erwiderte Frau Ehrenberg mild, »daß du sie mit
deiner Gegenwart beehrst.«
»Gut gibt sie das«, sagte Ehrenberg und dampfte. »Auf deine Jours möcht’
ich natürlich verzichten. Aber wenn ich grad an einem Donnerstag ruhig zu
Haus nachtmahlen möcht, und es sitzt in der einen Ecke ein Attaché, in der
andern ein Husar, und dorten spielt einer seine eigenen Kompositionen
zuguten vor, und auf’m Divan hat einer Esprit, und am Fenster verabredet die
Frau Oberberger ein Rendezvous, mit wem sich’s trefft… so macht mich das
nervös. Einmal vertragt mans, ein anderes Mal nicht.«
»Gedenken Sie den ganzen Winter fortzubleiben?« fragte Nürnberger.
»Es wär’ möglich. Ich hab nämlich die Absicht weiter zu fahren, nach
Ägypten, nach Syrien, wahrscheinlich auch nach Palästina. Ja, vielleicht ist es
nur, weil man älter wird, vielleicht weil man soviel vom Zionismus liest und
dergleichen, aber ich kann mir nicht helfen, ich möcht Jerusalem gesehen
haben, eh ich sterbe.«
Frau Ehrenberg zuckte die Achseln.
»Das sind Sachen«, sagte Ehrenberg, »die meine Frau nicht versteht, – und
meine Kinder noch weniger. Was hast du davon, Else, du auch nicht. Aber
wenn man so liest, was in der Welt vorgeht, man möcht selber manchmal
52
zurück zum
Buch Der Weg ins Freie"
Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik