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Der Weg ins Freie
Seite - 73 -
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Seite - 73 - in Der Weg ins Freie

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nach einer unglücklichen Leidenschaft für eine Art von Provinz-Don Juan in Schwermut verfallen, und krankhaft eigensinnig gab sie dem Bruder, mit dem sie sich in der Jugend vortrefflich verstanden hatte, die Schuld an dem Unglück des elterlichen Hauses. Auch von andern Verwandten erzählte Heinrich, deren er aus früherer Zeit sich erinnerte, und ein teils lächerlicher, teils rührender Zug fromm beschränkter alter Juden und Jüdinnen schwebte an Georg vorüber, wie Gestalten einer andern Welt. Er mußte es am Ende begreifen, daß Heinrich durch keinerlei Heimweh nach jener kleinen, von kläglichem Parteihader zerrissenen Stadt, in die dumpfe Enge des zugrunde gehenden Elternhauses sich zurückgerufen fühlte, und sah ein, daß Heinrichs Egoismus ihm zugleich Rettung und Befreiung bedeutete. Vom Turm der Michaelerkirche schlug es neun, als Georg vor dem Kaffeehaus stand. An einem Fenster, das der Vorhang nicht verhüllte, sah er den Kritiker Rapp sitzen, einen Stoß von Zeitungen vor sich auf dem Tisch. Eben hatte er den Zwicker von der Nase genommen, putzte ihn, und so sah das blasse, sonst so hämisch-kluge Gesicht, mir den stumpfen Augen wie tot aus. Ihm gegenüber, mit ins Leere gehenden Gesten, saß der Dichter Gleißner, im Glanze seiner falschen Eleganz, mir einer ungeheuern, schwarzen Krawatte, darin ein roter Stein funkelte. Als Georg, ohne ihre Stimmen zu hören, nur die Lippen der beiden sich bewegen und ihre Blicke hin- und hergehen sah, faßte er es kaum, wie sie es ertragen konnten in dieser Wolke von Haß sich eine Viertelstunde lang gegenüber zu sitzen. Er fühlte mit einemmal, daß dies die Atmosphäre war, in der das Leben dieses ganzen Kreises sich abspielte, und durch die nur manchmal erlösende Blitze von Geist und von Selbsterkenntnis zuckten. Was hatte er mit diesen Leuten zu tun? Eine Art von Grauen erfaßte ihn, er wandte sich ab und entschloß sich, statt ins Kaffeehaus zu gehen, endlich wieder einmal den Klub aufzusuchen, dessen Räume er seit Monaten nicht betreten hatte. Es waren nur wenige Schritte bis dahin. Bald stieg Georg die breite Marmortreppe hinauf, begab sich in den kleinen Speisesaal mit den lichtgrünen Vorhängen und wurde von Ralph Skelton, dem Attaché der englischen Botschaft, und Doktor von Breitner, die in einer Ecke beim Souper saßen, als ein lang Vermißter mit gedämpfter Herzlichkeit begrüßt. Man sprach von dem Turnier, das bevorstand, von dem Bankett, das zu Ehren der ausländischen Fechtmeister veranstaltet werden sollte; plauderte über die neue Operette am Wiedner Theater, in der Fräulein Lovan als Bajadere beinahe nackt aufgetreten war, und über das Duell des Fabrikanten Heidenfeld mit dem Leutnant Novotny, in dem der beleidigte Ehemann gefallen war. Nach dem Essen spielte Georg mit Skelton eine Partie Billard und gewann. Er fühlte sich immer behaglicher und nahm sich vor, von nun an wieder öfters diese luftigen und hübsch ausgestatteten Räume zu besuchen, in denen angenehme, gut angezogene 73
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Der Weg ins Freie
Titel
Der Weg ins Freie
Autor
Arthur Schnitzler
Datum
1908
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
306
Schlagwörter
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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