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Der Weg ins Freie
Seite - 153 -
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bestätigte: »Bellissima vista«. Aber vor der schönen Aussicht lag es wie dunkle Schleier. »Mutter«, murmelte er, und noch einmal: »Mutter«… meinte aber zu seiner eigenen Verwunderung nicht mehr die längst Begrabene, die ihn geboren; jener andern galt das Wort, die noch nicht Mutter war und die es in wenigen Monaten werden sollte… eines Kindes Mutter, von dem er der Vater war. Und nun klang das Wort plötzlich, als tönte etwas nie Gehörtes, nie Verstandenes, als schwängen geheimnisvoll singende Glocken in Zukunftsferne mit. Und Georg schämte sich, daß er allein hier herauf gekommen war, sich gleichsam hergestohlen hatte. Nun durfte er Anna nicht einmal erzählen, daß er hier gewesen. Am nächsten Morgen fuhren sie nach Rom. Und während Georg von Tag zu Tag sich heimischer, genußfähiger, frischer fühlte, begann Anna immer häufiger an schwerer Müdigkeit zu leiden. Oft blieb sie allein im Hotel zurück, während er in den Straßen herumschweifte, den Vatikan durchwanderte, auf Forum und Palatin sich erging. Sie hielt ihn nie zurück, aber doch fühlte er sich bemüßigt, sie zu trösten, ehe er fort ging, und pflegte zu sagen: »Nun, das sparst du dir für ein anderes Mal auf, hoffentlich kommen wir bald wieder her.« Da lächelte sie in ihrer verschmitzten Art, als zweifelte sie gar nicht mehr daran, daß sie einmal seine Frau sein würde; und er selbst mußte sich gestehen, daß er diesen Ausgang nicht mehr für unmöglich hielt. Denn daß sie in diesem Herbst auseinandergehen sollten, mit einem Abschied für immer, das war ihm allmählich fast unfaßbar geworden. Doch sprachen sie in dieser Zeit nie mit klaren Worten von einer ferneren Zukunft. Er hatte Scheu davor und sie fühlte, daß sie gut daran täte, diese Scheu nicht aufzustören. Und gerade während dieser römischen Tage, in denen er oft stundenlang allein in der fremden Stadt umherspazierte, fühlte er, wie er Anna zuweilen in einer ihm nicht unangenehmen Weise entglitt. Eines Abends war er bis zur anbrechenden Dunkelheit zwischen den Trümmern der Kaiserpaläste umhergewandert, und von der Höhe des palatinischen Hügels, mit dem stolzen Entzücken des Einsamen, hatte er die Sonne in der Campagna versinken sehen. Dann hatte er sich eine Weile spazieren fahren lassen, längs der antiken Stadtmauer auf den Monte Pincio, und als er in seiner Wagenecke lehnend, über die Dächer hinweg den Blick zur Peterskuppel schweifen ließ, glaubte er, tief ergriffen, nun die erhabenste Stunde dieser ganzen Reise zu erleben. Erst spät kam er ins Hotel zurück, fand Anna am Fenster stehen, verweint, blaß, mit roten Flecken auf den gedunsenen Wangen. Seit zwei Stunden verging sie vor Angst, hatte sich eingebildet, daß er verunglückt, überfallen, umgebracht worden sei. Er beruhigte sie, fand aber nicht die herzlichen Worte, nach denen sie verlangte, da er sich in unwürdiger Weise gebunden und unfrei vorkam. Sie fühlte seine Kälte, gab ihm zu verstehen, daß er sie nicht genug liebte; er antwortete 153
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Der Weg ins Freie
Titel
Der Weg ins Freie
Autor
Arthur Schnitzler
Datum
1908
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
306
Schlagwörter
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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