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nach Hause genommen hätte.
Georg erzählte von Wanderungen durch die alten Kaiserpaläste, von
Fahrten durch die Campagna im Abendglanz, von einer gewitterschwülen
Stunde im Garten des Hadrian. Doktor Stauber bat ihn aufzuhören, sonst
könnte es geschehen, daß er alle seine Patienten hier im Stich ließe, um
geradewegs nach der vielgeliebten Stadt zu entfliehen. Dann erkundigte sich
Georg höflich nach Doktor Berthold. Ob es auf Wahrheit beruhe, daß ihn
schon der nächste Winter wieder politisch tätig finden werde.
Doktor Stauber zuckte die Achseln. »Er kommt im September zurück. Das
ist vorläufig das einzig Sichere. Bei Pasteur ist er sehr fleißig gewesen, und
hier im pathologischen Institut will er eine große Serumarbeit weiterführen,
die er in Paris begonnen hat. Wenn er mir folgt, bleibt er dabei. Das was er
jetzt macht, ist doch wichtiger für die Menschheit als die schönste Revolution,
meiner unmaßgeblichen Meinung nach. Freilich, die Talente sind verschieden,
und gegen gelegentliche Umstürze habe ich gewiß nichts einzuwenden. Aber
unter uns, das Talent meines Sohnes liegt doch mehr auf der
wissenschaftlichen Seite. Nach der andern Richtung treibt ihn mehr das
Temperament… vielleicht ausschließlich die Galle. Na, wir werden ja sehen.
Aber wie stehts denn mit Ihren Plänen für den Herbst?« fügte er plötzlich
hinzu und sah Georg mit seinem gutmütig-väterlichen Blick an. »Wo werden
Sie den Taktstock schwingen?«
»Ja wenn ich das schon selber wüßte«, erwiderte Georg. Und während er
dem Arzt, der mit halbgeschlossenen Lidern, die Zigarre im Mund, ihm zur
Seite ging, in betonter Wichtigkeit von seinen Bemühungen und Aussichten
erzählte, glaubte er zu fühlen, daß alles, was er sagte, von Doktor Stauber nur
als Rechtfertigungsversuch für das Aufschieben seiner Verheiratung mit Anna
aufgefaßt würde. Eine leichte Gereiztheit gegen sie stieg in ihm auf, die hinter
ihnen herging und vielleicht ihre stille Freude daran hatte, daß er von Doktor
Stauber gleichsam ins Gebet genommen wurde. Absichtlich schlug er einen
immer leichtern Ton an, als hätten seine persönlichen Zukunftspläne mit Anna
überhaupt nichts zu tun und sagte endlich lustig: »Ja, wer weiß wo ich im
nächsten Jahr um diese Zeit bin, am Ende in Amerika.«
»Das wäre nicht das Schlimmste«, erwiderte Doktor Stauber ruhig. »Ich
habe einen Vetter, der ist Violinspieler in Boston, ein gewisser Schwarz, der
verdient dort mindestens sechsmal soviel, als er hier an der Oper gehabt hat.«
Georg liebte es nicht, mit Violinspielern namens Schwarz verglichen zu
werden und behauptete daher mit einer Bestimmtheit, die er selbst als
übertrieben empfand, daß es ihm für den Anfang überhaupt nicht aufs
Geldverdienen ankäme. Plötzlich, er wußte nicht, woher der Gedanke ihm
kam, fuhr es ihm durch den Sinn: Wenn Anna stirbt!… Wenn das Kind ihr
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Buch Der Weg ins Freie"
Der Weg ins Freie
- Titel
- Der Weg ins Freie
- Autor
- Arthur Schnitzler
- Datum
- 1908
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 306
- Schlagwörter
- Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
- Kategorien
- Weiteres Belletristik