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Der Weg ins Freie
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blieb dort noch eine Weile stehen und sah ihnen nach, bis sie auf der Höhe waren, wo der Sommerhaidenweg anfing. Die kleine Ortschaft im Talgrund floß im Mondenschein dahin. Die Hügel standen fahl, wie dünne Wände. Der Wald atmete Dunkelheit. In der Ferne glitzerten tausend Lichter aus dem Nachtsommerdunst der Stadt. Schweigend gingen Heinrich und Georg nebeneinander her, und Fremdheit stieg zwischen ihnen auf. Georg erinnerte sich jenes Spaziergangs durch den Prater im vorigen Herbst, da ein erstes, beinahe vertrautes Gespräch sie einander genähert hatte. Wie viele waren seither gefolgt! Aber waren sie nicht alle wie in die Luft geweht? Auch heute noch nicht konnte Georg mit Heinrich wortlos durch die Nacht wandeln wie früher so manchmal mit Guido, mit Labinski auch, ohne sich innerlich von ihm fort zu verlieren. Das Schweigen wurde ihm drückend. Er begann, weil das ihm eben zuerst einfiel, von dem alten Stauber und pries dessen Verläßlichkeit und Vielseitigkeit. Heinrich war nicht für ihn eingenommen, fand ihn ein wenig berauscht von der eigenen Güte, Weisheit und Tüchtigkeit. Das war auch eine Sorte Juden, die er nicht leiden mochte: die mit sich einverstandenen. Sie kamen auf den jungen Stauber zu reden, dessen Schwanken zwischen Politik und Wissenschaft für Heinrich etwas sehr Anziehendes zu haben schien. Von da aus gerieten sie in eine Unterhaltung über die Zusammensetzung des Parlaments, über die Zänkereien zwischen Deutschen und Tschechen, über die Angriffe der Klerikalen gegen den Unterrichtsminister. Sie redeten mit so angestrengter Beflissenheit, wie man nur über Dinge zu sprechen pflegt, die einem im Grunde der Seele völlig gleichgültig sind. Endlich debattierten sie darüber, ob der Minister nach der zweifelhaften Rolle, die er in der Frage der Zivilehe gespielt, im Amte bleiben durfte oder nicht; und wußten am Ende nicht mehr recht, wer von ihnen beiden sich für, und wer sich gegen die Demission ausgesprochen hatte. Sie gingen längs des Friedhofs hin. Über die Mauer ragten Kreuze und Grabsteine und schwammen im Mondenschein. Der Weg senkte sich nach abwärts zur Straße. Sie eilten beide, um die letzte Pferdebahn zu erreichen, und, auf der Plattform stehend, in schwüler, dunstiger Nachtluft rollten sie der Stadt zu. Georg erklärte, daß er den ersten Teil seiner Reise zu Rad zu unternehmen gedächte. Und einem plötzlichen Einfall folgend, fragte er Heinrich, ob er nicht mit von der Partie sein wollte. Heinrich war einverstanden und nach wenigen Minuten begeistert. Beim Schottentor stiegen sie aus, suchten ein nahes Café auf und bestimmten in einer ausführlichen Unterredung mit Zuhilfenahme von Spezialkarten, die sie in Lexikonbänden fanden, alle möglichen Reiselinien. Als sie sich voneinander verabschiedeten, stand der Plan zwar noch nicht ganz fest, aber sie wußten schon, daß sie übermorgen früh miteinander Wien verlassen und in Lambach ihre Räder besteigen würden. 210
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Der Weg ins Freie
Titel
Der Weg ins Freie
Autor
Arthur Schnitzler
Datum
1908
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
306
Schlagwörter
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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