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Der Weg ins Freie
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nun bald zur Welt kommen sollte, mit Zärtlichkeit und Voraussicht; doch niemals über ihre eigene, nächste und fernere Zukunft. Aber wenn er an ihrem Bette saß, oder Arm in Arm mit ihr im Garten auf und abging, oder an ihrer Seite auf der weißen Bank unter dem Birnbaum saß, wo die leuchtende Stille der Spätsommertage über ihnen ruhte, da wußte er, daß sie nun für alle Zeit fest aneinandergeschlossen waren, und daß selbst die zeitweilige Trennung, die bevorstand, gegenüber dem sichern Gefühl dieser Zusammengehörigkeit keine Macht mehr über sie haben könnte. Erst seit die Schmerzen über sie gekommen waren, schien sie ihm entrückt, wohin er ihr nicht folgen konnte. Gestern noch war er stundenlang an ihrem Bett gesessen und hatte ihre Hände in den seinen gehalten. Sie war geduldig gewesen wie immer, hatte sich sorglich erkundigt, ob er nur seine Ordnung im Hause habe, hatte ihn gebeten zu arbeiten, spazieren zu gehen wie bisher, da er ihr ja doch nicht helfen könnte, und ihn versichert, daß sie ihn noch mehr liebe, seit sie leide. Und doch, Georg fühlte es, sie war in diesen Tagen nicht dieselbe, die sie gewesen. Besonders wenn sie aufschrie – so wie heute Vormittag in den schlimmsten Schmerzen –, da war ihre Seele so weit weg von ihm, daß ihn schauerte. Er war dem Hause wieder nah. Aus Annas Zimmer, vor dessen Fenster die Vorhänge sich leise bewegten, kam kein Laut. Der alte Doktor Stauber stand auf der Veranda. Georg eilte hin, mit trockener Kehle. »Was ist?« fragte er hastig. Doktor Stauber legte ihm die Hand auf die Schulter: »Es geht ganz gut.« Ein Stöhnen kam von drin, wurde lauter, wurde ein wilder, wütender Schrei. Georg strich sich über die feuchte Stirn, und mit bitterm Lächeln sagte er zum Doktor: »Das heißen Sie, es geht ganz gut?« Stauber zuckte die Achseln: »Es steht geschrieben, mit Schmerzen sollst du… « In Georg lehnte sich etwas auf. Er hatte nie an den Gott der Kindlich- Frommen geglaubt, der als Erfüller armseliger Menschenwünsche, als Rächer und Verzeiher kläglicher Menschensünden sich offenbaren sollte. Dem Unnennbaren, das er jenseits seiner Sinne und über allem Verstehen im Unendlichen ahnte, konnte Beten und Lästern nichts anderes sein, als arme Worte aus Menschenmund. Nicht als die Mutter nach unsinnig-martervollem Leid, nicht, als in einem für sein Begreifen schmerzenlosen Hingang der Vater starb, hatte er sich des Glaubens vermessen, daß sein Unglück im Weltenlauf mehr bedeutete, als das Fallen eines Blattes. Keinem unerforschlichen Ratschluß hatte er in feiger Demut sich gebeugt, nicht töricht gemurrt gegen ein ungnädiges, gerade über ihn verhängtes Walten. Heute zum erstenmal war ihm, als ginge irgendwo in den Wolken ein unbegreifliches Spiel um seine 224
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Der Weg ins Freie
Titel
Der Weg ins Freie
Autor
Arthur Schnitzler
Datum
1908
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
306
Schlagwörter
Literatur, Wien, Gesellschaft, Sozialismus
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Kapitel 1 2
  2. Kapitel 2 49
  3. Kapitel 3 75
  4. Kapitel 4 93
  5. Kapitel 5 125
  6. Kapitel 6 181
  7. Kapitel 7 212
  8. Kapitel 8 222
  9. Kapitel 9 255
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