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Russenkinder#

von Anatoly Rothe, Vorsitzender Russenkinder e. V. als Reaktion auf aus der Sicht des Vereins einseitige Darstellungen wie etwa bei Besatzungskind.

"Wir müssen lernen, dass intellektuelle Redlichkeit fundamental für alles ist, was wir schätzen." Karl Popper

Einleitung#

Der Artikel ist eine Überarbeitung des „Phänomen Russenkinder“ von 2015. Die alte Fassung kann im Archiv nachgelesen werden.

Durch unsere Arbeit erfahren wir immer neue Schicksale, also immer neue Varianten des Lebens als Russenkind. Das floss hier ein und so soll es auch künftig geschehen.

Begriffsbestimmung#

Russenkinder sind in diesem Artikel ein spezieller Teil der Besatzungskinder. Es sind die, welche nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Angehörigen anfangs der Roten Armee, später der Sowjetarmee mit den einheimischen Frauen in Deutschland, Österreich, Dänemark und in den Ländern des Ostblocks gezeugt worden sind.

Zeitlich einzuordnen von 1945 in den genannten Ländern, in der sowjetische besetzten Zone und seit Gründung der DDR 1949 bis Anfang der 90-er Jahre in diesem Gebiet.

Die Bezeichnung Russenkind leitet sich aus der faschistischen Rassenterminologie ab. Unter Russen verstanden stark abwertend die Nazis vereinfachend alle Bewohner der Sowjetunion.

Die Herkunft der Väter#

Tatsächlich setzte sich die sowjetische Bevölkerung folgendermaßen zusammen.

Die Sowjetunion bestand 1941 vor dem Überfall Deutschlands und dem Beginn des Krieges aus 16 Republiken:

Russische Republik (RSFSR), Ukrainische SSR, Weißrussische SSR, Usbekische SSR, Kasachische SSR, Georgische SSR, Aserbaidschanische SSR, Litauische SSR, Moldauische SSR, Lettische SSR, Kirgisische SSR, Tadschikische SSR, Armenische SSR, Turkmenische SSR, Estnische SSR

Von 1940 bis 1956 noch die Karelo-Finnische SSR, welche in die RSFSR eingegliedert wurde.

Dazu kommen über 100 Völker wie Abasiner, Abchasen, Assyrer, Burjaten, Chakassen, Dunganen, Eskimos, Gagausen, Inguschen, Juden, Kalmyken, Karelier, Nenzen, Osseten, Saamen, Tataren, Tscherkessen, Tschetschenen, Uiguren, Zigeuner etc.

Außerdem leben im Land noch kleinere Gemeinschaften anderer Nationen zum Beispiel Koreaner, Iraner, Deutsche usw.

Diese verschiedenen Völkerschaften dienten während des Krieges in der Roten Armee. Dazu kommen die Emigranten aus Deutschland, den besetzten Ländern wie Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Bulgaren, ebenso kämpften eine französische Einheit, zwei polnische Armeen, eine tschechoslowakische Armee, eine bulgarische und weitere an der Front gegen die deutschen und mit ihnen verbündeten Aggressoren.

Die Väter der Russenkinder stammen aus diesen Nationen und Völkern.

Zum Krieg im Osten 1941 – 1945 und seine Folgen#

Zum Krieg und den Erfahrungen der Soldaten und Offiziere der Roten Armee Der Eroberungskrieg, ein Rassenvernichtungskrieg, den Deutschland im Juni 1941 begann, machte die überfallene Bevölkerung zur Beute [1].

Zwangsarbeit , auch durch Verschleppung nach Deutschland, willkürliche Erschießungen, Ermordung von Juden, Parteifunktionären, als rassisch minderwertige Bevölkerung angesehene wie Asiaten, die Vergewaltigung und Ausnutzung von Frauen für Dienstleistungen und sexuelle Zwecke, Hunger und Not durch Unterversorgung, Zerstörung der Lebensgrundlagen waren die Merkmale der deutschen Besetzung der eroberten Gebiete.

Zur sexuellen Gewalt der Wehrmacht und deutschen Dienststellen in der Sowjetunion während des Krieges schreibt Regina Mühlhäuser in „Eroberungen“ [2].

30 Millionen sowjetische Zivilisten waren schon von vorn herein als Opfer durch Hunger bei der Ausplünderung des Landes geplant [3].

Das Kriegsende#

Am Ende des Krieges gab es über 14 Millionen tote sowjetische Zivilisten.

Das Ausmaß der Zerstörung auf dem Territorium der Sowjetunion [3]: „2 000 Städte zerstört, zehntausende Dörfer zerstört, die teilweise bis heute nicht wieder aufgebaut wurden, Infrastruktur zerstört, jedes zweite Haus unbewohnbar“.

Unter diesen Eindrücken standen die Soldaten und Offiziere der Roten Armee, als sie auf deutsches Territorium vorstießen.

Die deutsche Führung verhinderte die rechtzeitige Evakuierung der Zivilbevölkerung in den östlichen Gebieten. Deshalb geriet sie teilweise in die Kampfhandlungen.

Es herrschte Chaos. Einerseits gab es auf deutscher Seite Durchhaltebefehle. Wer sich zurückzog, musste Hinrichtung befürchten, anderseits rückte die Rote Armee stetig weiter vor. Unter solchen Verhältnissen trafen die sowjetischen Soldaten auf die deutsche Bevölkerung.

Es gab Plünderungen, Vergewaltigungen, Diebstahl und andere Gewalt.

Sie waren sporadische Reaktionen der Soldaten der Kampfverbände in den vordersten Linien. Daran war ein kleinerer Teil beteiligt. Siegestaumel, endlich Deutschland am Boden sehend, Alkohol, das Wissen um die Gewalt der deutschen Besatzung in der Heimat, die Wirkung des unmenschlichen Soldatenlebens waren die Ursache.

Auf diese Erscheinungen war die sowjetische Führung nicht vorbereitet. Sie waren nicht befohlen, nicht systematisch organisiert. Sie entluden sich spontan. Es war nur ein geringer Teil der Soldaten daran beteiligt.

Rasch erfuhr die sowjetische Militärführung in Moskau davon. Sie erließ Befehle, die Strafen bis zur Erschießung androhten, um diese Entwicklungen zu verhindern.

Marschall Rokossowski gab nach Bekanntwerden der Gewaltausbrüche in Ostpreußen, die Führung der Truppeneinheiten ging zeitweise verloren, am 22. Feb. 1945 den Befehl, „diese schändlichen Erscheinungen auszumerzen… die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen … bis zu Erschießungen.“[3]

In Vorbereitung der Schlacht um Berlin gab es wiederum solche Befehle, angedroht waren „Kriegsgericht oder unverzügliche Erschießung“ [4]. Die Durchsetzung konnte erst nach und nach erfolgen.

Im Februar 1945 hatten die Alliierten in Jalta Deutschland aufgeteilt und für die sowjetische Führung gab es keinen Grund, gewaltsam und brutal mit der Bevölkerung zu verfahren, die man für seine eigenen Ziele gewinnen wollte.

Das Oberkommando in Moskau ordnete deshalb an „Übergriffe zu unterlassen. Eine gute Behandlung der deutschen Bevölkerung sollte die Kampfführung und später die Besatzung erleichtern“[3].

In „Sexuelle_Gewalt_im_Zweiten_Weltkrieg“ [5] wird von Historikern über die sexuelle Gewalt der Roten Armee in Ostdeutschland diskutiert. Allen dort genannten Zahlen ist gemeinsam, dass sie nicht belegt werden können und es sich um „Schätzungen und Hochrechnungen“ handelt.

Ein Beispiel: „Barbara Rohr schätzt, dass dabei an die zwei Millionen Frauen und Mädchen Opfer sexueller Gewalt wurden, etwa 1,4 Millionen bei Flucht und Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten, 600.000 in Berlin und der späteren Sowjetischen Besatzungszone“.

Ein weiteres: „Ilko-Sascha Kowalczuk und Stefan Wolle gehen von 110.000 bis 800.000 Fällen in Berlin im Jahr 1945 aus. Schätzungsweise 40 Prozent der Opfer wurden mehrfach vergewaltigt.“

Im Laufe der Jahre 1945 bis 1947 wurden mehr und mehr Soldaten kaserniert.

Zum Ende der Kampfhandlungen verfügte die Rote Armee über 1,5 Millionen Soldaten und Offiziere in der sowjetisch besetzten Zone. Noch im Mai 1945 begann die Rückverlegung von Truppen in die Heimat. Ende 1947 hatte sich die Gruppierung auf 350 000 Mann reduziert [6].

Territoriale Entwicklungen#

In Jalta erfolgte im Februar 1945 durch Stalin, Roosevelt und Churchill die Aufteilung der deutschen Gebiete.

Ostpreußen wurde geteilt. Der östliche Teil ging an die Sowjetunion, der Rest an Polen. Schlesien wurde ebenfalls polnisch. Das Sudetenland wurde der Tschechoslowakei zugeteilt. Deutschland wurde in vier Zonen getrennt.

Aus den östlichen Gebieten flohen Deutsche nach Westen. Andere wiederum wurden in Lager verbracht und nach und nach ins deutsche Gebiet entlassen. So kamen zusammen mit ihren Familien Russenkinder in die vier Besatzungszonen. Somit kann festgestellt werden, dass in den westlichen Besatzungszonen ausschließlich die Deutschen das Schicksal der Russenkinder gestalteten und beeinflussten.

Die Entwicklung fand seit der Besetzung 1945 nur in der sowjetischen Besatzungszone und der späteren DDR statt. Wer über die Russenkinder einigermaßen seriös berichten möchte, muss sich schon mit den östlichen Zeugen und Quellen befassen.

Diese Entwicklung wurde bis zum Truppenabzug Anfang der 90-er Jahre immer vielfältiger.

In der sowjetischen Besatzungszone bekam die Armee die Aufgabe, Ordnung wiederherzustellen, Kriegsverbrecher zu verhaften, den Verkehr und die Versorgung der Bevölkerung zu organisieren, die Kriminalität zu bekämpfen. Weiter musste durch die Zerstörung ganzer Städte wie Berlin, Dresden, Chemnitz und vieler anderer die obdachlos gewordene Bevölkerung, aber ebenso die Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten untergebracht werden.

Die Aufgabe bestand unter der Maßgabe, gleichzeitig eine sozialistische Ordnung sowjetischen Musters zu errichten. Dazu kamen sowjetische und deutsche Funktionäre aus der Sowjetunion, die auf diese Aufgabe vorbereitet worden waren.

Das hatte unmittelbare Auswirkungen auf das Zusammenleben des Militärs mit der Zivilbevölkerung.

In der Armee wurde die militärische Ordnung wiederhergestellt. Die Beziehungen zwischen Militärangehörigen und deutschen Frauen änderten ihren Charakter. Liebesbeziehungen, sie wurden von den Familien, die sich am Wiederaufbau beteiligten und die Rote Armee als Befreier begrüßt hatten, wohlwollend betrachtet, ebenso entwickelten sich Schutz-, Versorgungs- und andere Beziehungen.

Diese Umstände erlaubten den Austausch von Adressen, das Kennenlernen der Familien.

In den ersten Jahren wurden die werdenden Väter gewöhnlich versetzt oder demobilisiert. Sie verschwanden, konnten sich manchmal verabschieden oder Abschiedsbriefe schreiben.

Ebenso gab es Väter, die ihre Beziehungen als Abenteuer betrachteten, falsche Angaben gegenüber den Müttern machten und sich freiwillig durch Versetzung der Verantwortung entzogen.

Aus dem eigenen Fall des Autors ist zu ersehen, dass die Kommandeure die Verhältnisse mit deutschen Frauen in der Regel tolerierten.

Insgesamt muss noch dazu gesagt werden, dass stalinistische Verhältnisse herrschten. Die Rote Armee wurde im Kriege gebraucht, so dass den Geheimdiensten der Zugriff auf sie von Stalin selbst unterbunden wurde. Nach Kriegsende nahm der Druck jedoch wieder zu. Im ostdeutschen Besatzungsgebiet hatten diese Dienste unter anderem die Aufgabe, die Reparationsleistungen, das heißt den Abbau wichtiger Fabriken und Fertigungsstätten zu leiten und zu überwachen, ebenso waren sie am Aufbau und der Überwachung der neuen Gesellschaftsordnung beteiligt. Und hier kam es zu Konflikten. Die Kommandeure sahen sich bei Anzeige von Verhältnissen von russischen Militär- und Geheimdienstangehörigen gezwungen, darauf zu reagieren. Es gab im Grunde genommen zwei Möglichkeiten, einmal die Versetzung des Betroffenen an einen anderen Standort oder, wie im Falle des Vaters des Schreibers dieser Zeilen, dessen Demobilisierung.

Ein Fall wurde uns bekannt, dass ein Betroffener nach Sibirien in ein Straflager verbracht wurde. Er hatte Fahnenflucht begangen.

Wenn die Armee den Frauen unkontrollierbare Auskünfte wie Strafgefangenenlager, Sibirien etc. gab, kann davon ausgegangen werden, dass diese nicht mehr nachfragen sollten, sie abgewimmelt wurden, um für sich selbst eventuelle Unannehmlichkeiten zu vermeiden.

Seit den 50-er Jahren gab es die Möglichkeit zu heiraten und ein gemeinsames Leben aufzubauen.

Die Geschichte der Russenkinder#

Deutschland war im Wesentlichen zerstört. Besonders die großen Städte waren durch die Bombenangriffe betroffen. Die Alliierten begannen das Leben in ihren Besatzungszonen wieder zu organisieren. Die Bevölkerung litt unter Wohnungsmangel, Hunger, unzureichender medizinischer Versorgung, um das wichtigste zu nennen.

Ende 1945 / Anfang 1946 wurden die ersten Russenkinder geboren.

Frauen, die durch Gewalt schwanger wurden, ließen bei Möglichkeit abtreiben. Andere nahmen sich das Leben.

Viele trugen ihre Kinder aus, zogen sie groß. Ebenso wurden Russenkinder in Familien gegeben, zur Adoption freigegeben.

In der deutschen Bevölkerung herrschte noch die Naziideologie in den Köpfen.

Das ist der Hauptgrund für alles Elend, welches manchen Russenkindern angetan wurde.

Deshalb wurden Russenkinder benachteiligt. Die Mütter, die Kinder, die Familien sind durch Ächtung von Freunden, Nachbarn, Kollegen in große Probleme gestürzt worden.

Offene Diskriminierungen gab es in beiden Teilen Deutschlands in nur sehr geringem Umfang. Die staatlichen Stellen haben diese Vorgänge bürokratisch abgehandelt.

Die vielen Zurücksetzungen, psychischen und physischen Verletzungen wurden den Russenkindern durch die eigenen Familien, Verwandten, Freunde, Nachbarn, Kollegen etc. verursacht. Die Väter waren gewöhnlich nicht mehr da, konnten ihre Kinder nicht davor bewahren.

Die Nazierziehung, die Naziideologie hatten bewirkt, dass Menschlichkeit und Vernunft in den Köpfen der Deutschen verschüttet waren. Die Tragik bestand darin, dass es für Betroffene viel zu lange gedauert hat, bis das aufgebrochen wurde.

In Ostdeutschland gab es Benachteiligungen nur noch versteckt. Offene antisowjetische Handlungen und Bekenntnisse waren nicht möglich.

Mit der Zeit kamen die Russenkinder in die Schule und entwickelten sich entsprechend ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Das Thema der Herkunft trat in der Regel immer mehr in den Hintergrund.

Es gab auch schwierige Fälle, in denen die Drangsalierungen und Benachteiligungen fort wirkten.

Der Grund liegt im weiteren Fortbestand der Naziideologie in den Köpfen der Menschen. Selbst heute noch gibt es Beispiele dafür, dass diese Kinder abgelehnt werden.

In beiden Teilen Deutschlands wurde nicht darüber offen gesprochen.

Im Westen wurden diese Kinder von staatlicher Seite unterschiedlich behandelt. Von Westberlin erfuhren wir inzwischen, dass es bei Bekenntnis der Mutter, dass sie das Kind durch Vergewaltigung bekommen hatte, Unterhalt möglich war.

Ostdeutschland / DDR#

Noch etwas zur Sprachverständigung in der Beziehungen. Die Rotarmisten wurden bei Betreten des deutschen Raumes notdürftig sprachlich darauf vorbereitet. „Hände hoch!“ und so weiter. Also alles, was im Kampf nützlich war und was zur Verkürzung der Kampfhandlungen beitrug.

Als das Militär länger im Lande blieb und seine Ordnungs- und Gestaltungsaufgaben bekam, wurde auch die deutsche Sprache immer wichtiger.

Die Mütter kannten in der Regel kein Wort Russisch. Das änderte sich erst, als die Schulen schon 1946 mit dem Russischunterricht für die Schüler begannen. Die Mütter waren damit noch nicht besser dran, aber nach und nach erlernten auch sie Vokabeln, um sich mit ihren sowjetischen Partnern verständigen zu können. Man kann davon ausgehen, dass Missverständnisse und Probleme daraus entstanden sind.

In der DDR, welche sich ja zu einer sozialistischen Gesellschaft sowjetischen Musters entwickelte, wurde nichts in der Frage Russenkinder unternommen. Das bedeutet nicht, dass es nicht staatlicherseits zur Kenntnis genommen wurde. Die Bevölkerung wusste um die Russenkinder. Der Autor heißt Anatoly Nicolai mit Vornamen. Da gab es keine Fragen, keine Benachteiligung, nichts Negatives.

Das betraf ebenfalls andere Teile der Bevölkerung. Die vielen Umsiedler aus den Ostgebieten wurden ebenfalls nicht gesondert behandelt. Alle bekamen ihre Chance zu einer normalen Entwicklung.

Der Aufbau der Gesellschaft bot allen jungen Menschen die gleichen Chancen. Wer die körperlich und geistigen Voraussetzungen hatte und nicht gegen die sozialistische Gesellschaft eingestellt war, konnte sich entsprechend der Möglichkeiten entfalten.

Nicht verschwiegen werden darf, dass es einige wenige Russenkinder gegeben hat, die in die Mühlen geraten sind. Hier spielte eine Rolle, dass die Mütter nicht mit ihrem Schicksal fertig geworden sind, teilweise zu Hetze gegen den Staat hinreißen ließen oder den sowjetischen Vätern halfen, in den Westen zu fliehen.

DDR-Flüchtlinge, die in den 50-er und Anfang der 60-er Jahre über Westberlin geflohen waren, wurden durch die westlichen Geheimdienste ausgefragt. Wenn Frauen Möglichkeiten hatten, sowjetische Militärangehörige auszuforschen, wurden sie mit dieser Aufgabe zurückgeschickt – Amateurinnen in der Militärspionage. Ebenfalls eine Möglichkeit der Herkunft von Russenkindern, deren Situation schwierig war.

Die DDR und die sowjetischen Organe nutzten das Wissen um das Russenkinderdasein.

Der Autor zum Beispiel konnte die Kadettenschule besuchen. Natürlich waren hervorragende Zeugnisse und ein sportlicher körperlicher Zustand dafür nötig. An dieser Schule war vorgesehen, eine Offizierselite heranzubilden.

Ebenso hatten Bewerber bei den bewaffneten Organen wie Polizei, Zoll etc. einen Vorteil. Die Staatssicherheit wählte ihre zukünftigen Mitarbeiter selbst aus und sprach sie an. Auch da sind Russenkindern hinzugezogen.

Für die berufliche Entwicklung eines DDR-Bürgers war es ein Vorteil, keine Verwandtschaft im Westen zu haben. Das entfiel bei Russenkindern schon auf Vaters Seite.

Je länger die Zeit voran schritt, desto unverkrampfter wurde das Zusammenleben der Bevölkerung mit der Sowjetarmee.

In den Garnisonstädten, meistens kleine Provinzstädte, wurden zum Beispiel Neubauten errichtet, in die teilweise das sowjetische Offizierskorps mit ihren Familien untergebracht wurde. Beispiele sind, selbst in Augenschein genommen – Altenburg und Bad Freienwalde.

Das Zusammenleben wuchs in verschiedenen Formen. Gemeinsame kulturelle und sportliche Kontakte, Arbeitseinsätze der sowjetischen Armee in der DDR-Wirtschaft, Hilfe bei Katastrophen sind hier zu nennen. Die Kasernen wurden örtlich versorgt, Wasser, Strom, Müllentsorgung und was sonst noch dazu gehörte. Bau- und Reparaturkapazitäten wurden benötigt. Entsprechende Materialbilanzen mussten geplant und mit den DDR-Behörden abgestimmt werden etc.

Das bedingte Zusammenarbeit und Kontakte in den Garnisonstädten.

In der sowjetischen Armee gab es Flucht von Angehörigen. In die Suchen wurden ebenfalls die entsprechenden DDR-Organe einbezogen.

In der DDR gab es eine Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, deren Aufgabe es war, die Bevölkerung mit der russischen und sowjetischen Lebensweise und Kultur bekannt zu machen. Dazu wurden Treffen mit sowjetischen Menschen, Touristen und auch Armeeangehörigen organisiert.

Ebenso wichtig: Das Militärbündnis der sozialistischen Staaten. Unter Führung der Sowjetarmee wurde das Verteidigungssystem auf- und ausgebaut. Gemeinsame Übungen fanden statt. NVA-Einheiten (DDR-Armee) fuhren zum Übungsschießen mit Raketen in die Sowjetunion, Offiziere studierten an den sowjetischen Militärschulen und Akademien, riesige gemeinsame Manöver fanden statt etc.

In der NVA waren auch Frauen beschäftigt. Die lernten durch gemeinsame Arbeit ebenfalls sowjetische Militärangehörige kennen. Ein Fall eines solchen Russenkindes ist uns bekannt.

Auch wurden private Handelsbeziehungen genutzt. Die DDR-Bevölkerung hatte zwar das höchste Lebensniveau im sozialistischen Lager, aber es boten sich Tauschgeschäfte an. Es wurden zum Beispiel keine Ölradiatoren (Heizkörper, die mit elektrischem Strom arbeiteten) gebaut und verkauft, weil die Energieversorgung der DDR einen massenhaften Einsatz nicht erlaubte. Die beschaffte man sich aus der Sowjetunion unter anderem über solche Kanäle. Bestellabgabe am Kasernentor.

Die Beziehungen zwischen sowjetischen Militärangehörigen und einheimischen Frauen wurden normal möglich. Entzog sich der Vater seiner Verantwortung, so war es den Frauen aufgrund der Reisefreiheit in die sozialistischen Länder möglich, den Vater oder seine Familie aufzusuchen.

Nachfragen von Russenkindern an staatlichen Stellen wurden nicht beantwortet. Der Autor fragte zweimal in der sowjetischen Botschaft in Berlin nach. Ohne Antwort.

Es gab mutige Mütter von Russenkindern. Die sind zur Kaserne gegangen, haben den Namen des Vaters wissen wollen, wenn der sich seiner Verantwortung entzogen hatte. Auch da gibt es den Fall einer couragierten Mutter, der es tatsächlich gelang, den Kommandanten dazu zu bewegen, ihr diese Angaben zu übermitteln.

Die Öffnung der russischen Archive#

Nach dem Fall der Mauer öffneten sich die inzwischen russischen Archive. Das wichtigste Archiv für Russenkinder, das des Verteidigungsministeriums in der Stadt Podolsk bei Moskau, erteilt seit mindestens 1993 die entsprechenden Auskünfte.

Notwendig dafür ist der Name des Vaters. Auf Antrag bekommt man die Angaben zum Vater, die das Archiv zur Verfügung hat. Der Autor bekam so den Lebenslauf, ein Foto, die Adresse, als der Vater aus der Reserve entlassen wurde. Von da aus kann man die Suche beginnen.

Inzwischen haben die Geheimdienste und anderen Einrichtungen ebenfalls ihre Archive für derartige Anfragen geöffnet.

Welche Suchmöglichkeiten zur Verfügung stehen, kann man auf der Webseite des deutschen Russenkindervereins nachlesen.

Dort wird beschrieben, welche sonstigen Möglichkeiten es dafür noch gibt. Ebenso erteilt der Verein Hilfe bei der Suche.

Eine Bemerkung zu den Russenkindern in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion#

Beim Abzug aus den späteren Nachfolgestaaten der SU blieben ebenfalls Russenkinder zurück. Hier muss man darauf aufmerksam machen, dass die Beteiligten alle eine Staatsbürgerschaft hatten – nämlich die sowjetische – und eine Lingua Franca – das Russische.

Die zaristische Armee hatte bei der Aushebung von Wehrpflichtigen das Territorialprinzip in Anwendung. Das heißt, alle jungen Männer einer Stadt oder Region wurden zusammen in eine Einheit eingezogen. Kam es zu einer brenzligen Situation, eilten die anderen Soldaten zu Hilfe. Es waren ja ihre Nachbarn und Freunde.

In der Roten Armee wurde das Anfang der 20-er Jahre verworfen. Die Nachteile überwogen. Wenn eine solche Einheit im Kampf aufgerieben wurde, hatte das entsprechende Gebiet plötzlich alle jungen Männer verloren.

Und so sollten die, die sich mit dem Problem Russenkinder in den Nachfolgestaaten beschäftigen, daran denken, dass es alle Sowjetrepubliken betraf. Meine kasachische Verwandtschaft diente zum Beispiel in Lettland und in der Ukraine. So wie Letten und Ukrainer in anderen Republiken oder gar im Ausland, zum Beispiel in der DDR, ihren Wehrdienst ableisteten.

Zusammenfassung#

Hier folgt eine Zusammenfassung von Ereignissen, Haltungen, Absichten usw. Zu lesen sind die Einträge in einer Liste als mögliche Alternativen, die es wohl alle gab.

Was wir wissen#

Die Väter waren#

  • aus allen Sowjetrepubliken
  • aus an der Seite der Roten Armee kämpfenden ausländischen Truppen
  • Soldaten
  • Mannschaften
  • Offiziere der Armee
  • Mitarbeiter der Geheimdienste
  • ledig
  • mit und ohne Familie in den Garnisonen
  • ohne Kinder
  • mit Kindern

Sie machten gegenüber den Frauen#

  • Namens- und Adressangaben
  • machten falsche Angaben
  • machten keine Angaben
  • hatten ernsthaft Absichten
  • wollten ihre Männlichkeit ausprobieren
  • aus Zeitvertreib
  • weil sich die Gelegenheit bot
  • zahlten Unterhalt
  • zahlten keinen Unterhalt

Verhältnisse - Beziehungen#

  • Liebesbeziehungen
  • Versorgungsbeziehungen (Vergessen wir nicht, die wir in einer Wohlstands- und Konsumgesellschaft leben, dass es damals nichts oder kaum etwas zu kaufen gab.)
  • Schutzbeziehungen
  • Abenteuer – von beiden Seiten
  • aber nicht immer wollten beide das
  • Gewalt

Die Mütter ähnlich wie bei den Vätern#

  • hofften auf ernsthafte Beziehungen
  • Liebe
  • Abenteuer
  • die deutschen Altersgenossen saßen in Kriegsgefangenschaft, waren vom Krieg traumatisiert, waren an Kriegsverbrechen beteiligt (Ein Kriegsteilnehmer sagte einmal Anfang der 50-er Jahre: “Wenn die Russen mit uns das machen, was wir ihnen angetan haben, dann Gnade uns Gott!“) und hier waren junge kräftige Männer, die hatten Selbstbewusstsein, strotzten vor Kraft, konnten das schwere Leben erleichtern , zogen ihre Russenkinder ohne Benachteiligung groß
  • benachteiligten die Kinder
  • gaben sie in die Familie weiter
  • gaben sie zur Adoption frei
  • zogen ihre Kinder allein groß
  • heirateten
  • heirateten wieder

Russenkinder#

  • kamen unschuldig auf die Welt
  • wurden unter schwierigen Bedingungen geboren
  • wurden in den Familien geliebt
  • abgelehnt
  • weggegeben
  • wurden missbraucht
  • wurden gehänselt
  • beschimpft

Die Benachteiligten#

  • wehrten sich
  • ließen alles über sich ergehen
  • die Selbstbewussten wurden dadurch gestärkt
  • die Ängstlichen duckten sich

Sie wurden#

  • normale
  • mutige
  • feige
  • ängstliche Menschen

Sie verarbeiteten ihre Schicksale#

  • aktiv
  • verdrängten sie
  • flohen vor den beengten Verhältnissen

Sie wurden selbst Mütter und Väter#

  • erzogen ihre Kinder zu selbstständigen Menschen
  • bei Nichtverarbeitung ihrer Probleme gaben sie die an ihre Kinder weiter

Schlussbemerkungen#

Bitte helfen Sie, diesen Artikel weiter zu qualifizieren! Schreiben Sie einen Kommentar. Hier wurden wichtige Aspekte, nicht alle, berücksichtigt.

Für eine vollständige Zusammenfassung wäre es auch sinnvoll, eine Beschreibung der Thematik Russenkinder in Österreich beizufügen. Es wird von ca. 20.000 ausgegangen. Ebenso wäre eine Vervollständigung zur Insel Bornholm, Dänemark, die fast ein Jahr von der Roten Armee besetzt war, auf der es ca. 200 Russenkinder gegeben haben soll, wünschenswert.

Quellen#

  • [1] Deutsches Historisches Museum Berlin - www.dhm.de/lemo/kapitel/zweiter-weltkrieg/kriegsverlauf/sowjetunion
  • [2] Regina Muehlhäuser „Eroberungen. Sexuelle Gewalttaten und intime Beziehungen deutscher Soldaten in der Sowjetunion 1941-1945“ Hamburger Edition; Auflage: 1. Aufl. (6. April 2010) ISBN-13: 978-3868542202
  • [3] Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst www.museum-karlshorst.de/de.html
  • [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Schlacht_um_Berlin
  • [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Sexuelle_Gewalt_im_Zweiten_Weltkrieg
  • [6] Sowjetische Truppen in Deutschland und ihr Hauptquartier in Wünsdorf 1945-1994: Geschichte, Fakten, Hintergründe (Forum Moderne Militärgeschichte) Taschenbuch – 1. Juli 2017 Köster von Hans-Albert Hoffmann (Autor),‎ Siegfried Stoof (Autor) Seite 28, 33

Literatur#

Wladimir Gelfand „Deutschland-Tagebuch 1945-1946: Aufzeichnungen eines Rotarmisten Taschenbuch“ Aufbau-Verlag; Auflage: 1 (2005) ISBN-13: 978-3351025960