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Günther Jontes: Historische Wege zur Nahrungskultur der Gegenwart#

Günther Jontes: Historische Wege zur Nahrungskultur der Gegenwart, Plattform Martinek, 2018, Rezension von Krusche Martin

Günther Jontes: Historische Wege zur Nahrungskultur der Gegenwart
Günther Jontes: Historische Wege zur Nahrungskultur der Gegenwart

Der Buchmarkt umspült mich mit abertausenden Publikationen, die mir raten, was ich essen solle und was nicht. Darin eine Flut von Begründungen. Aber ich will das nicht wissen. Die guten und die bösen Fette, ein Joghurt, das sich nach links oder nach rechts dreht, freie Radikale und gebundene Suppen, was weiß ich.

Als Kind haben mich Reiseberichte fasziniert, aus denen ich erfuhr, daß man in anderen Weltgegenden mit vergorener Stutenmilch zecht, fürs Bierbrauen in die Suppe spuckt oder zum Aufwärmen Buttertee trinkt. Ich war von Kopfjägern fasziniert, weil sie angeblich ihre Feinde aufessen und deren Köpfe im Kochtopf schrumpfen. Ich wußte aus Abenteuerromanen von Pemmikan, von Schiffszwieback und Skorbut, was mich im Genuß von Sauerkraut mit den Abenteurern verband.

Ich las vom Hirsebrei in fernen Landen und wußte nichts von den Suppen und Breien, mit denen unsere Leute über viele Generationen durchkommen mußten. Aber den Türken-Sterz hab ich schon als Winzling gemocht, wenn er auch nicht mit Schwammsuppn, sondern mit saurer Milch auf den Tisch kam.

Warum ich das erzähle? Ich tausche eine ganze Bibliothek voller Ernährungsratgeber für „Historische Wege zur Nahrungskultur der Gegenwart“ von Günther Jontes. Der Autor zeigt mir darin zweierlei. Er hat eine Unmenge von Archivalien durchforstet und er hat die Welt bereist. Das ist die Mischung, aus der sich eine Erzählung entfaltet, die als Sachbuch daherkommt. Ich hab es vor allem als eine Art Reisebericht empfunden. Ein dicht verwobenes Erzählen, welche Nahrungsmittel auf welche Art zu welchen Speisen wurden und was es damit sozial wie kulturell auf sich hat.

Das schließt auch so triviale Details wie die Karriere der Ananasscheibe ein, die in meinen Jugendtagen unsere Speisen - vom Toast bis zum Schnitzel - mit Hawaii assoziiert hat. Jontes notiert treffend: „Der Pöbel geht auf Reisen.“ Die kontinentale Version eines solchen Exotismus fiel mir erst durch diese Lektüre wieder ein. Cevapcici und Raznici waren keine Hymne an den Balkan, sondern Mutters Weg zur schnellen Küche.

Die Produkte der Hörndlbauern und Körndlbauern waren unseren Leuten ja nicht umfassend zur Verfügung. Jontes weist die Zone „vor den Alpen“ zur Donau hin als „schon immer Bauernland schlechthin“ aus. „Der Ackerbau als ältester Wirtschaftszweig überhaupt hat nie nur von der Hand in den Mund produziert, sondern unter dem Zwang der Umstände stets auf Vorrat und auf Bewahrung des Saatgutes gearbeitet.“ Das bedeutete endlose Schufterei.

In vormodernen Zeiten ergab ein Saatkorn bei der Ernte etwa vier Körner. Das war also stets knapp und krisenanfällig. Fleisch kam kaum auf den Tisch, war meist den Herrschenden vorbehalten. Also regierte zum Messer über viele Generationen der Löffel. Die Gabel ist eine viel jüngere Erscheinung, welche über das höfische Leben langsam zum Pöbel kam.

Jontes begleitet seine Ausführungen laufend auch mit Schilderungen der Tischsitten. Dabei kommen Ge- und Verbote zur Sprache. Zum Beispiel der Zusammenhang von Schweinehaltung, Schweinefleisch und Trichinen. Oder das ungesäuerte Brote (Mazzes) als rasche Produktionsform. (Wer weiß noch, was ein Dampfl ist?) Fasten und Völlerei… Jontes: „Schon früh wird kodifiziert, was jeweils in einer bestimmten Gesellschaftsschichten erlaubt, geduldet wird oder verboten ist.“ Er erwähnt mit Norbert Elias die „Zivilisierung des Essers“, kam natürlich auch auf die Fragen der Schicklichkeit und die Kontrolle der Körperfunktionen zu sprechen.

Die Tischgemeinschaft, das Mahl als Festereignis, wahlweise als ritueller Akt, hierarchische Konzepte und der Vorrang des „Höchstanwesenden“, das sind alles interessante Details, in denen wir so manchen Hinweis auf heutige Konventionen finden.

Sehr spannend auch die Anmerkungen zur „kulinarischen Gegenwelt zum Westen“. Wie schon angedeutet, ich wuchs mit balkanischer Küchenkolportage und Toast Hawaii auf, wahlweise auch Pizza und Pasta. Dann betrat ich in den späten 1970er Jahren erstmals ein Grazer Chinarestaurant und war hingerissen. Jontes’ Darlegungen machen allerdings deutlich, daß diese Küche mit der von China eher wenig zu tun hat: „Es ist schwierig, Chinarestaurants in Europa mit der wahren Kultur des Essens in China zu vergleichen.“ Dazu bedarf es eben des Reisens.

Bei meinem Faible für Poesie und für die phonetischen Qualitäten unserer Sprache faszinieren mich alte Schreibweisen, von denen man in diesem Buch allerhand findet. Dreyfueß, Blaßbalgk, Kesselhengel, Fewer, Haußbesen und Besens mehr, do man all Nacht den hert mit ker. Es nützt auch dreizehn Pfann khlain und gross zu haben, zehen Schepf- und Faimbleffel guet und pess, zwen alte Khielkessel oder zwene khupferne Trachter. Ich muß gar nicht bei allem wissen, was es denn ist. Mir gefällt der Klang, der sich in solchen Schreibweisen andeutet.

Herrschaftliche Küchen und die Rauchkucheln der breiten Bevölkerung waren natürlich verschiedene Kontinente. Jontes verweist darauf, daß es im Bauernhaus keine Speisekammer gab. Man mußte nicht bloß allerhand Tierchen von Nahrungsmitteln und Saatgut fernhalten, das offene Feuer der Kuchl war eine stete Gefahrenquelle für das ganze Haus. Heute sieht man noch gelegentlich einen separaten Troadkasten, der diesen Schutz- und Lagerzwecken gewidmet war, mitunter raffinierte Fundamente hat, um Mäusen das Eindringen zu verwehren.

Das Konservieren und Aufbewahren von Nahrungsmitteln ist ein bedeutendes Thema. Hab ich heute zum Beispiel Geselchtes und Sauerkraut auf dem Teller, zeigt das zwei wesentliche Konservierungsmethoden, das Räuchern und die Milchsäuregärung. Das Gären hat ja allerhand feine Effekte und die Lektüre des Buches bewog mich, umgehend verschiedene Mostsorten zu probieren, die man heute in den Geschäften von regionalen Anbietern finden kann. (Zum Sturm habe ich keine Anregung gebraucht.)

Außerdem hilft die Arbeit von Jontes, so manchen Irrtum auszuräumen. So dachte ich bisher, der Honigwein Met entstünde, indem man Honig im Traubenwein verrührt. Mumpitz! Honig und Wasser werden zum Gären gebracht. Den hab ich auch gesucht und probiert, wurde von der Verkäuferin bezüglich seiner berauschenden Wirkung gewarnt, die allerdings ein mildes Ereignis blieb. Die Ausführungen über den Weingenuß im antiken Rom fand ich sehr amüsant und hab bestaunt, in der roten oder weißen Mischung quasi das Echo alter Zeiten zu finden.

Bemerkenswert, daß Bier vor allem in Städten als Grundnahrungsmittel galt, weil aufgrund der hygienischen Verhältnisse sauberes Wasser selten war. Ich wußte allerdings nicht, wie verderblich Bier war, bevor man es kühlen konnte. In dem Zusammenhang erfuhr ich, daß etwa die Grazer Eisteichsiedlung namentlich nicht im Vergnügen des Eislaufens begründet ist, sondern in der Eisproduktion.

„Die eigenen Finger als Besteck“. Und dann? Wie vorhin schon angedeutet: „Der gleichzeitige Gebrauch von Messer und Gabel hat sich in Europa erst im 19. Jahrhundert allgemein durchgesetzt.“ Laut Jontes war im Mittelalter das Messer „das bei weitem wichtigste Essgerät“. In gehobenen Kreisen konnten Eßgewohnheiten übrigens auch von der Mode beeinflußt werden, wie etwa durch die enormen Halskrausen im 16. Jahrhundert. Und die runden Breilöffel wurden bei Hofe zu den schlanken Löffeln, wie wir sie heute kennen, weil das Maulaufreißen als unschicklich galt.

Was ist Butter und was Butterschmalz? Wie kam die Kartoffel zu uns, auf daß der ewige Mangel und der oft auftretende Hunger eingedämmt werden konnten? (Die Knolle wurde ein wichtiger Beitrag zur Bevölkerungszunahme in Europa.) Mais und Reis sind ja auch keine Früchte des Alpenraums. „Die staatenbildenden Kräfte des Reisanbaus“ in China sind ein spannendes Thema. Und das Fleisch? Adel und Klerus hatten sich dessen Verzehr weitgehend vorbehalten. Jontes: „Das Hochwild durfte selbst dann nicht verjagt werden, wenn es sich in den Feldern der bäuerlichen Untertanen gütlich tat.“ Das sind noble Ansprüche. Die tiefen Konflikte zwischen Wilderern und Jägern reichen bis in die Gegenwart.

Wären noch allerhand kleinere Leckerbissen auf zwei und vier Beinen zu beachten. Jontes zitiert aus einem Küchenbuch von 1613: „Hiener, junge Hiendl, Cappauner, Gäns, Anten, Tauben, Haustauben, Cranabet Vögl, Vasan, Rebhendl, indianischer Hahn, Haßlhiener, Lerchen“. Aber auch die Fische blieben für subalterne Schichten nicht leicht zu haben, Haring, Stockfisch, Kharpffen, Khrebessen etc.

Auch das kommt kurz zur Sprache: „Kannibalismus kann man in zwei Bereiche teilen.“ Heute bei uns wohl nur im Bereich von Pathologien zuhause. Das Buch ist dann ebenso allerhand Genußmitteln gewidmet. Schokolade, Tee und Kaffee waren einst kaum erschwingliche Luxusgüter, deren Genuß manchmal so streng geahndet wurde wie heute der von harten Drogen. Gewürze boten überdies ein Riesengeschäft, wurden der Anlaß für Fernhandel und für Kriege. Manche der Substanzen fanden auch als Heilmittel Verwendung.

Damit hab ich nun bloß einen Teil dessen skizziert, was auf den 350 Seiten des Buches zur Sprache kommt. Wie erwähnt, ein spannender Reisebericht, mit dem man anregende Stunden verbringen kann.

P.S.: Das Buch ist auch im Austria-Fourm zu lesen.