Unschuldige Kinder#
Das Fest der Unschuldigen Kinder hat eine biblische Grundlage, historisch nachzuweisen ist es nicht, obwohl König Herodes grenzenlose Grausamkeiten zuzutrauen wären. „Als Herodes sah, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig, und er ließ in Bethlehem und in der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten.“ (Mt 2,16) Die Knaben, die beim Bethlehemitischen Kindermord ihr Leben für den neugeborenen Messias hingeben mussten, wurden in der Christenheit seit langem als „Erstlingsmärtyrer“ verehrt. Sie werden um 500 im Martyrologium von Karthago erwähnt, das Fest seit Anfang des 7. Jahrhunderts bekannte Fest hat Pius V. 1568 bestätigt. Die durch die Bluttaufe zu Märtyrern gewordenen Kinder sind Patrone der Kinder, Findelkinder, Schüler und Ministranten.
Herodes der Ältere („der Große“) lebte um Christi Geburt. Obwohl Herodes kein Jude war, ernannte ihn der römische Kaiser Augustus 37 v. Chr. zum König von Judäa. Mit dem Status eines Königs von Kaisers Gnaden führte er den Titel „Bundesgenosse und Freund des römischen Volkes“ (socius et amicus populi Romani) . Als überragende Herrscherpersönlichkeit führte Herodes den jüdischen Staat zu einer politisch-militärischen Machtstellung, die von den Römern anerkannt und von den Nachbarvölkern respektiert wurde. Von glühendem Ehrgeiz und krankhaftem Misstrauen besessen, beherrschte er das Land durch Spionage, Denunziation und Bluttaten. Er ließ sogar acht Familienmitglieder ermorden. Als sich die Magier nach dem neu geborenen König der Juden erkundigten „erschrak er“ und gab den Befehl zum Kindermord. Der Evangelist Matthäus, der die Begebenheit als einziger überliefert, sieht sich an das Prophetenwort erinnert: „Rahel weinte um ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn sie waren dahin.“ (Jer. 31,15; Mt 2,17)
Trotz seines traurigen Anlasses wurde der Tag zum Narrenfest der Schüler und Subdiakone, die an diesem Tag „verkehrte Welt“ spielen durften. Subdiakone hatten die niederen Weihen empfangen und waren zum Zölibat verpflichtet, zählten aber noch nicht zu den Klerikern (wie Diakone, Priester und Bischöfe), diese Weihestufe wurde von Paul VI. nach dem Zweiten Vatikanum abgeschafft. Sie hielten im hohen und späten Mittelalter Narrenfeste (asinaria festa, festum stultorum, festum follorum, festum baculi) zwischen Weihnachten und Epiphanie. Der Musikwissenschafter Rene Clemencic, der ein Konzertprogramm aus alten Handschriften zusammengestellt hat, fand interessante Quellen dazu: „Man erwählte in den Kathedralkirchen einen Narrenbischof. ... Die vermummten Geistlichen betraten den Chor mit Tanzen und Springen und sangen Zotenlieder. Die Subdiakone aßen auf dem Altar vor den Augen des messelesenden Priesters Würste, spielten vor seinen Augen Karten und Würfel. ... Nach der Messe lief, tanzte und sprang jeder nach seinem Gefallen in der Kirche herum ... Hierauf setzten sie sich auf Karren mit Kot beladen, ließen sich so durch die Stadt fahren und bewarfen den sie begleitenden Pöbel mit Unrat ... Die ganze Stadt war in die Umzüge einbezogen.“ Schon 870 vom 4. Konzil von Konstantinopel verboten, gelang die Abschaffung auch den Konzilien von Basel, um 1430 und Trient, um 1550, nicht. „Unsere Vorfahren, welche große Leute waren, haben dieses Fest erlaubt, warum soll es uns nicht erlaubt sein ? Wir feiern es nicht im Ernst, sondern bloß im Scherz, um uns nach alter Gewohnheit zu belustigen, damit die Narrheit, die uns eine andere Natur ist und uns angeboren zu sein scheint, dadurch wenigstens alle Jahre einmal sich austobe. Die Weinfässer würden platzen, wenn man ihnen nicht manchmal das Spundloch öffnete und ihnen Luft machte. ... Wir treiben deswegen einige Tage Possen, damit wir hernach mit umso größerem Eifer zum Gottesdienst zurückkehren können.“ , verteidigte die theologische Fakultät in Paris 1444 das Eselsfest.
Das Kinderbischofsspiel, bei dem ein Klosterschüler den Episcopus spielte, verschob sich mit der Popularisierung des heiligen Nikolaus als Schülerpatron vom 28. auf den 6. Dezember. Dabei erhielten die Knaben Bewirtung und Geschenke. Ein Bild aus dem 16. Jahrhundert zeigt den Regenten auf Zeit im Bischofsornat mit Mitra und Stab und zwei Assistenten. Angeblich mussten sogar die echten Bischöfe ihren kostümierten Nachahmern gehorchen. Im Sinne der "verkehrten Welt" schlugen die Kinder die Erwachsenen, die sich einer Prüfung unterziehen mussten, mit Ruten und forderten ein „Lösegeld“. Geflochtene Ruten und Reisbesen zählten in den Schulen des 16. Jahrhunderts zu den beliebtesten pädagogischen Requisiten. Ein Holzschnitt aus dem Jahr 1592 zeigt eindeutig die Dominanz der Rute im Klassenzimmer . Der thronende Lehrer hält sie wie ein Szepter, während zwei Gehilfen einen Schüler züchtigen.
In manchen Gegenden, z.B. im Burgenland, besteht noch der „Frisch-und-g‘sund-Schlagen“ oder „Aufkindeln“ genannte Heischebrauch. Die Kinder schlagen die Erwachsenen mit einer geflochtenen Rute (Korvatsch) und sagen Sprüche wie „Frisch und g’sund, frisch und g’sund, bleib auf’s Jahr a no g’sund, und a lang’s Leb’n soll da Gott im Himmel geb’n.“ Der Tag, der den Opfern des Kindermordes geweiht ist, steht am Ende der Weihnachtstage, daher beginnen schon die Glückwünsche zu Neujahr, für die man sich mit kleinen Gaben revanchiert. Mit einem „Schlag mit der Lebensrute“ oder Vegetationszauber, wie ältere Volkskundler meinten, hat der Brauch gar nichts zu tun.
Quelle#
- Helga Maria Wolf. Weihnachten Kultur & Geschichte. Wien - Köln - Weimar 2005
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