Unschuldige Kinder#
Der 28. Dezember, an dem man der Opfer des Bethlehemitischen Kindermordes gedenkt, hat seine biblische Grundlage im Matthäusevangelium (Mt 2,16-18): „Als Herodes sah, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig, und er ließ in Bethlehem und in der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten...“ Die Knaben, die ihr Leben für den neugeborenen Messias hingeben mussten, wurden in der Christenheit seit langem als „Erstlingsmärtyrer“ verehrt, um 500 im Martyrologium von Karthago erwähnt. 1568 bestätigte Papst Pius V. (1504-1572) das Fest.
Trotz seines traurigen Anlasses wurde der Tag der Unschuldigen Kinder zum Narrenfest. Die Subdiakone hielten im hohen und späten Mittelalter Asinaria festa (festum stultorum, festum follorum, festum baculi) zwischen Weihnachten und Epiphanie. Dabei feierten sie, besonders in Frankreich, derbe Messparodien und veranstalteten Umzüge durch die Stadt. Subdiakone hatten die niederen Weihen und waren zum Zölibat verpflichtet, zählten aber noch nicht - wie Diakone, Priester und Bischöfe - zu den Klerikern. Diese Weihestufe wurde nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil abgeschafft. Beim Kinderbischofsspiel verkörperte ein Klosterschüler den Episcopus. Er war König für einen Tag, die Erwachsenen mussten ihm gehorchen. Er und sein Gefolge erhielten Bewirtung und Geschenke. Ein Bild aus dem 16. Jahrhundert zeigt den Regenten auf Zeit im Bischofsornat mit Mitra und Stab und zwei Assistenten. Dieser Brauch verschob sich mit der Popularisierung des heiligen Nikolaus als Schülerpatron auf den 6. Dezember. Im Sinne der "verkehrten Welt" durften die Kinder am 28. Dezember die Erwachsenen schlagen.
Bekannt ist das "Frisch- und Gsundschlagen" am Unschuldigen-Kinder-Tag, Stephanitag, Neujahr oder Dreikönig. Die Kinder versetzen den Erwachsenen einen Schlag mit der Rute und erhalten dafür kleine Geschenke. Im Jahr 2000 war der Brauch in 6 % der burgenländischen, deutschsprachigen wie kroatischen, Gemeinden üblich. In Stoob gehen Kinder zu den Familien, schlagen den Hausherrn und die Hausfrau mit der Rute und sagen den Spruch: "Frisch und gsund, frisch und gsund, bleib aufs Jahr auch noch gsund, und ein langes Leben soll dir Gott im Himmel geben." In Grosswarasdorf sprechen sie auf kroatisch: "Friži budte, zdravi budte cijelo ljeto!" In der Gegend von St. Michael im Lungau (Salzburg) schlugen die Kinder die Erwachsenen mit frischen Fichtenzweigen oder Birkenruten uns sagten ihren Spruch "Frisch und gsund ..." Am Erzberg in der Steiermark lautet der Spruch: Frisch und g'sund, frisch und g'sund, laung leb'n , g'sund bleibn'n, nix glunz'n, nix klog'n, bis i wiederkumm schlag'n.S'Christkind'l am Hocholtor wünscht a guat's neix Joahr!
Der Heischebrauch hat nichts mit einem vermeintlichen Vegetationszauber oder einer "Lebensrute" zu tun, sondern mit der Rute, mit der Schüler gezüchtigt wurden. Geflochtene Ruten und Haselstöcke, die sie selbst schneiden mussten, waren ein Jahrtausend hindurch pädagogische Gebrauchsgegenstände. Den Kindern wurden die Kenntnisse "ins Gedächtnis geschlagen". Der hl. Benedikt (um 480- 560) schrieb die Strafe für widerspenstige Schüler vor und so blieb es - belegt durch verschiedene Abbildungen - bis in die Renaissancezeit.
Quellen:
Joseph Smits van Waesberghe: Musikgeschichte in Bildern III/3, Leipzig 1977. S. 22 f.
Ludwig Andreas Veit: Volksfrommes Brauchtum und Kirche im deutschen Mittelalter. Freiburg/Br. 1936. S. 183
Helga Maria Wolf: Das neue BrauchBuch. Wien 2000. S. 353
Karl Zinnburg: Salzburger Volksbräuche. Salzburg 1972
Bild:
Schule des 16. Jahrhunderts, zeitgenössischer Holzschnitt. Aus: Veit: Volksfrommes Brauchtum... Tafel X
Siehe auch:
Heimatlexikon
Unschuldige Kinder in: Verschwundene BräucheDas Buch der untergegangenen RitualeHelga Maria WolfBrandstätter VerlagWien2015