Georg Markus: Im Spiegel der Geschichte#
Georg Markus: Im Spiegel der Geschichte. Was berühmte Menschen erlebten.
Amalthea Verlag Wien. 304 S., ill., € 30,-
Georg Markus vorstellen zu wollen, hieße Eulen nach Athen zu tragen. Der Bestsellerautor und Zeitungskolumnist zählt zu den erfolgreichsten und produktivsten Schriftstellern Österreichs. Im Jahrestakt erscheinen seine Bücher mit "Geschichten zur Geschichte", zuletzt Das gibt's nur bei uns (2018), Alles aus Neugier (2019), Zwischen den Zeiten (2021). Dabei geht dem Erfolgsautor der Stoff nie aus. Nicht nur, weil es aus der Historie so viel zu erzählen gibt, sondern auch, weil ihm Leser ihre Archivschätze anvertrauen, die sonst unentdeckt geblieben wären. Bei Georg Markus sind sie in den besten Händen. 2021 waren es Briefe, die sehr Persönliches von Helmut Qualtinger preisgeben.
Auch 2022 kann Georg Markus mit einer Entdeckung aufwarten. Ein Wiener Lehrer überreichte ihm ein Konvolut unveröffentlichter Briefe aus den Jahren 1942 bis 1945. Der Absender war Franz Lehár, die Empfängerin eine junge, hübsche Nachbarin seiner Nussdorfer Villa in der Hackhofergasse. Der seit 18 Jahren verheiratete Musiker war am Beginn der Korrespondenz 72 Jahre alt und Geri Leithe 16. Blieb der Komponist in seiner Verehrung anfangs noch zurückhaltend, so zeigt er mit jedem neuen Schreiben die immer größer werdende Zuneigung bis hin zur Liebe, inklusive Geheimtreffen in Bad Ischl. Der Franz Lehar-Fund der Neues aus den letzten Lebensjahren des gefragten Dirigenten seiner Werke enthüllt, füllt - mit den Originaltexten und Faksimiles - das erste Kapitel des Buches.
Es enthält, gegliedert in zehn Teile, 43 Geschichten von Affären, Schicksalen und Glücksmomenten. In der Kategorie Kaiserlich-Königliches erfährt man unter anderem die geheimen Gedanken der Kaiserin Elisabeth. Hier hat der Autor Schwerarbeit geleistet, denn Das Werk ist fast 400 Seiten stark und - sprechen wir es offen aus - so gut wie unlesbar. Denn auch wenn Kaiserin Elisabeth sich für eine Lyrikerin im Sinne ihres Idols Heinrich Heine hielt, so war sie doch nicht mehr, als eine Hobby-Dichterin. Die Auswahl zeigt, wie Elisabeth über das Erzhaus dachte und die Monarchie verachtete.
Historische Kriminalgeschichten sind international angelegt. Sie handeln in Paris ebenso wie in den USA. Hingegen erinnern Baumeister der Republik an die österreichischen Politiker Leopold Figl, Julius Raab und Bruno Kreisky. Die kleine österreichische Welt war gar nicht so klein, wie der Titel vermuten lässt. Die hier versammelten, eher alltagskulturellen Themen betreffen Dienstmänner und Polizisten, die Bewohner der Grinzinger Himmelstraße, die Konditorei Demel, einen Boxkampf und die dramatische Rettung der Hofburg im April 1945.
In seinem Journalistenleben musste Georg Markus als Prominentenkenner mehrere Dutzend Nachrufe schreiben. In diesem Kapitel erinnert er an Peter Alexander, Johannes Heesters, Fritz Eckhardt, die Hörbiger-Brüder, Paula Wessely, Marcel Prawy, Hugo Portisch und Udo Jürgens. Apropos Musik: Musikalisches zeigt den Walzerkönig Johann Strauß als wohlhabenden Immobilienbesitzer. Aufgrund des Testamentes ließen sich die Adressen von einem Dutzend Zinshäusern und Villen feststellen. Dies ist wohl ebenso wenig bekannt, wie die Tatsache, dass seine Schwestern Anna und Therese verhinderte Dirigentinnen waren. Es wurde nichts daraus und die Schwestern versanken wieder in der Anonymität. Nicht einmal Georg Markus konnte viel mehr über sie erfahren, als dass Anna Strauß 1903 im Alter von 74 Jahren starb, ihre Schwester Therese 1915 mit 84 Jahren. Umso detaillierter konnte der Autor die Umstände des tragischen Todes des Tenors Fritz Wunderlich rekonstruieren. Der "Wundersänger" starb 1966, wenige Tage vor seinem 36. Geburtstag, bei einem Unfall. Geschichten aus dem Rest der Welt haben Charlie Chaplin, Marlon Brando, James Dean und Hans Albers zum Inhalt. Der in Hamburg geborene Publikumsliebling feierte seinen ersten großen Erfolg als Liliom in Franz Molnars gleichnamigem Stück - und das, obwohl die Rolle des Prater-Strizzis in der deutschsprachigen Version in Wien spielt. Albers trat in seinem Leben eintausendachthundert Mal als Liliom auf. Sein letztes Gastspiel gab er 1960 in Wien. Er brach auf der Bühne zusammen und starb fünf Monate später. Aus der Welt der Schriftsteller führt in das dramatische Leben des Franz Grillparzer ein, erinnert an Arthur Schnitzlers Streit mit dem Hausbesorger und die Entdeckung des Dichters Hugo von Hofmannsthal. Dieser schrieb schon mit 17 Jahren unter dem Pseudonym Loris hinreißende Verse. Der berühmte Kritiker Hermann Bahr war davon so begeistert, dass er den Unbekannten kennen lernen wollte. Im Café Griensteidl am Michaelerplatz kam es zum Treffen: Bahr sah ihn an und war sprachlos ob der Jugend des Dichters, denn derartiges war in jenen Tagen unvorstellbar.
Georg Markus dokumentiert auch persönliche Erinnerungen. Eine besondere Begegnung hatte er 2017 mit Prinz Charles. Anlass war ein Empfang des Bundespräsidenten zu Ehren des damaligen britischen Thronfolgers und seiner Frau in der Hofburg. Ich wurde eigens darauf hingewiesen, dass ich nicht als Journalist, sondern als Schriftsteller gebeten sei. Bei der Unterhaltung mit den Royals nahm der Autor die Gelegenheit wahr, einem Mitglied des Königshauses sagen zu können, dass ich Großbritannien zutiefst dankbar bin, weil meine Mutter und andere Angehörige meiner Familie in der Zeit des Nationalsozialismus dort überlebt haben. … Charles zeigt sich berührt. Unter den rund 100 Gästen war Bundeskanzler Christian Kern, dem ein Schnappschuss mit dem Autor und Prinz Charles gelang. Das Foto ist im Buch zu sehen. Ich neige nicht zu sentimentaler Prinzenverehrung. Aber ich muss zugeben, dass mich dieser Mann in seiner ruhigen, überlegten und liebenswürdigen Art beeindruckt hat.
Im Spiegel der Geschichte" sieht man nachdenklich Machendes neben Miniaturen aus Österreich und der Welt, die Lesevergnügen bereiten. Während das Buch noch in der Produktion war, starb die Queen. Damit wurde der älteste Sohn als König Charles III. umgehend ihr Nachfolger. Ob ihn der Autor nochmals zu einem "Plausch" trifft? Zuzutrauen wäre es ihm - und eine weitere Episode in der unverwechselbaren Handschrift von Georg Markus gesichert.