Franz Grill: BilderbuchRegion Südliches Waldviertel#
Franz Grill: BilderbuchRegion Südliches Waldviertel. Kral-Verlag Berndorf 2017. 256 S., ill.
€ 29,90
Als findige Tourismusmanager den nordöstlichen Teil Niederösterreichs vor Jahren aus seinem Dornröschenschlaf erwecken wollten, setzten sie auf Esoterisches und propagierten das "Mystische Waldviertel". Ganz anders jetzt, wenn es als Bilderbuch-Region präsentiert wird. Der vorliegende Band liefert dafür den eindrucksvollen Beweis. 2017 ist das südliche Waldviertel mit dem restaurierten Renaissanceschloss Pöggstall Schauplatz der Landesausstellung. Ihr Motto "Alles was Recht ist" knüpft an die Jahrhunderte alte Tradition des Ortes als Sitz des Landesgerichts an. Das Schloss mit seinen sgrafitti-gezierten Arkadengängen und dem Rondell, dessen Konzept auf Albrecht Dürer zurückgehen könnte, beherbergt außerdem die rechtshistorische Sammlung des Landes Niederösterreich.
Schlösser und andere beeindruckende "Steinerne Zeugen" bilden das zweite der neun treffend übertitelten Kapitel des perfekt layoutierten Bilderbuches. Zum Einstieg blickt man in die Wendeltreppe des Schlosses. Andere herrschaftliche Monumente sind u. a. Schloss Artstetten, seit 1824 kaiserliche Sommerresidenz, dann Familiensitz von Erzherzog Franz Ferdinand, und seit 2014 mit dem Park museal zugänglich. Der Schriftsteller Jörg Mauthe hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Ruine Mollenburg zu revitalisieren. Wie er waren es oft private Retter, die altes Mauern zu neuem Leben erweckt haben.
Das erste Kapitel nennt der Autor, ein begeisterter Fotograf, "Himmlische Pforten". Fast 40 Kirchen und Kapellen, dazu Bildstöcke und einen Meditationsweg, hat Franz Grill abgelichtet und beschrieben. Überregional bekannte Pilgerziele sind darunter, wie die Basilika Maria Taferl, die Wallfahrtskirchen in Maria Laach, Pöggstall-Neukirchen, Heiligenblut, Sallingberg-Grainbrunn und Kirchschlag mit der lebensgroßen Figur des "Blauen Herrgott". Das südliche Waldviertel verfügt über eine Reihe kunst- und kulturhistorisch bedeutsamer Pfarrkirchen. Jene in Weiten, einer der ältesten "Mutterpfarren" der Gegend, zeigt Glasmalereien und Fresken aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Berühmt ist Schönbach mit seinem Flügelaltar aus der Zeit um 1500 und den beiden Seitenaltären, Werken der Donauschule. In etlichen Kirchen kann man Bilder des herausragenden Barockmalers Martin Johann Schmidt (1718-1801) finden - Krems wird zum Waldviertel gezählt. Auch andere Sakralbauten enthalten Werke hier ansässiger Künstler, wie in Bad Traunstein, wo der Bildhauer und Grafiker Franz Elter (1926-1997) als Seelsorger wirkte.
Elter war einer jener "Begnadeten Künstler", die das Buch vorstellt. Als Pfarrer übernahm er die Gestaltung des Kirchenneubaus und eröffnete 1992 ein Bildhauerzentrum. Christa Hameseder aus Mühldorf arbeitete für die von Wolf D. Prix entworfene evangelische Kirche in Hainburg. Vom Handwerk zur Kunst verlief der Weg von Pius Frank. Der gelernte Schmied lebt und arbeitet als Metallkünstler in Nöchling. Seine Plastik "Friedensrose" wurde zum Modell des Europäischen Friedenspreises. "Ehrbares Handwerk und Gewerbe" stellt Menschen und Firmen vor, die Waldviertler Traditionen aufrecht erhalten und weiter entwickeln. Hier hing und hängt vieles mit den Rohstoffen zusammen, wie Marmorgewinnung, Grafikbergbau, Kalkbrennen, Glasbläserei oder Holzverarbeitung. Das Weitental hat sich seit vier Jahrzehnten weit über die Region hinaus als "Tal der Sonnenuhren" einen Namen gemacht. Weniger allgemein bekannt dürfte sein, dass in Mühldorf 1886 die erste Raiffeisenkasse Österreichs gegründet wurde. Ein Jahrhundert später setzte man Friedrich Wilhelm Raiffeisen hier ein besonderes Denkmal. Das aus Beton gegossene Monument wiegt rund 30 Tonnen und ist somit eines der größten Portraits Europas.
"Rechtschaffene Bauern und Brauchtum" klingt zwar traditionell ist aber gegenwartsbezogen. Wieder geht es um die Ressourcen der Gegend: Christbäume, Erdäpfel, Mohn, Johanneskraut, Honig, Zwetschken, Kriecherl… Es zeigt sich, dass das vermeintliche "Brauchtum" getrost auf das Attribut "uralt" verzichten kann, um geschätzt und attraktiv zu sein: "Schon zum dritten Mal" ist Schloss Leiben Schauplatz eines Mittelalterfestes. Der Klostermarkt in Maria Taferl wurde erstmals 2016 eröffnet. Den Zwetschkenkirtag in Leiben gibt es seit 2014. Der Mohnkirtag in Armschlag findet heuer zum 23. Mal statt. Seit 1990 bestehen die alle 6 Jahre abgehaltenen Dorfstettener Passionsspiele mit 150 Laiendarstellern.
Der Autor, so der Klappentext, "stellt mit diesem Buch eine 'Bilderbuchregion' vor und schuf damit auch ein Werk, das für die Menschen dieser Region Reflexion und Identifikation bedeutet." So wird verständlich, dass sich die Abschnitte "Edle Genüsse" und "Gesund bleiben" wie Werbetexte für Whisky, Biobauern oder Kuranstalten lesen. Mit "Natur pur" geht dann die Entdeckungsreise zu Sehenswürdigkeiten wie den berühmten Steinformationen, Hochmoor, Urwald, Teichen und geschützten Pflanzen weiter. Die große Stärke des Bandes liegt in den aussagekräftigen, stimmungsvollen Fotos. Diese beschließen als wortlose "Impressionen" das Buch, das neugierig macht, die Schätze des südlichen Waldviertels selbst zu entdecken.