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Inge Friedl: Zu Tisch!#

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Inge Friedl: Zu Tisch! Kochen und essen - wie's früher war. Styria Verlag Wien - Graz 2019. 160 S., ill., 25 €

Seit einem Jahrzehnt erzählt die Grazer Historikerin Inge Friedl in ihren Büchern "wie's früher war". Damit betreibt sie Oral-History-Forschung in nicht nur seriöser, sondern auch für sie angenehmer und für die LeserInnen unterhaltsamer Form: Landauf, landab besucht sie, ältere Personen, die sich an verschiedene Lebensbereiche erinnern. Bisher erschienen u. a. "Wie's früher war" (2010) "So war's der Brauch" (2012) "Almleben" (2013) "Alte Kinderspiele" (2015) "Weihnachten wie's früher war" (2017).

Nun ist etwas ganz Wichtiges an der Reihe: Kochen und essen. Ingredienzien des jüngsten Buches sind kulinarische Weisheiten der Großmüttergeneration, köstliche Geschichten, historische Erläuterungen, gewürzt mit interessanten Fotos und fast 50 Rezepten. Das nostalgische Layout lässt Geschmackserinnerungen lebendig werden und macht Appetit auf vergessen geglaubte Speisen.

Das Vorwort erinner an vielfach Vergessenes, wie das gemeinsame Mittagessen. Einst bildete es den Höhepunkt im Tagesablauf - obwohl es bescheiden war. Begriffe wie regional, saisonal, bio oder nachhaltig waren noch nicht erfunden, doch lebte man im Alltag selbstverständlich danach. Zu bestimmten Zeiten wurde am Hof geschlachtet und alle Teile des Viehs verwendet. In der ländlichen Kreislaufwirtschaft ging nichts verloren. Einige Generationen später ist Kochen zugleich einfacher und raffinierter geworden. Herde muss man nicht mehr mit Holz heizen, Zutaten aus aller Welt sind ständig verfügbar. Doch gibt es auch Defizite. Die Autorin beginnt mit einem Zitat des kürzlich verstorbenen dänischen Familientherapeuten Jesper Juul (der selbst in der Gastronomie tätig war). Er nannte den Esstisch das "Herz des Hauses". Dass Familien immer seltener zusammen essen, hat er "mit Besorgnis beobachtet" und war überzeugt: "Wenn man gemeinsame Mahlzeiten vernachlässigt, bleibt das nicht ohne Folgen … Irgendwann rächt es sich, wenn man beim Essen Zeit sparen will." Inge Friedl teilt diese Bedenken und stellt dem aktuellen Termindruck frühere bäuerliche Essrituale gegenüber. Sie begannen mit Rufen wie "Huhu! Juchhu! Essen kommen!". Alle saßen an einem Tisch, oft löffelten sie aus einer Schüssel. Das Gebet davor durfte nicht fehlen, doch bei der Mahlzeit sprach man nicht.

Während des Tages gab es mehrere Mahlzeiten. Das typische Frühstück auf dem Land war die Suppe aus gesalzener saurer Milch, Stohsuppe genannt, oder - schon im Mittelalter überliefert - eine breiartige Mehlsuppe. Erst im 19. und 20. Jahrhundert wurde der Kaffee allgemein üblich und die Suppe, nun in vielerlei Variationen, zur mittäglichen Vorspeise. Jause nannte man die Zwischenmahlzeiten am Vormittag und Nachmittag. Für Landarbeiter fielen diese kräftig aus, ganz anders als die "Wiener Jause" mit Kaffee und Kuchen.

Zur "Landküche" in Kontrast stand die bürgerliche "Wiener Küche", die ihr Dasein oft den böhmischen Köchinnen verdankte. Kehrten diese nach der Heirat in ihr Dorf zurück, brachten sie neue Rezepte mit, die sie bei den "Herrschaften" kennen gelernt hatten. Die Zubereitung der Speisen erfolgte "nach Gefühl" und mit viel Erfahrung. Die Kochkunst bestand darin, aus einem beschränkten Lebensmittelangebot Speisen herzustellen, die satt machten und von denen man sich nicht abessen sollte. So meinte Peter Rosegger, dass man des Sauerkrauts nie überdrüssig wurde. Wilhelm Busch setzte dem Sauerkohl in "Max und Moritz" ein literarisches Denkmal. Hildegard von Bingen lobte das "Krut" als Heilmittel. Bauern aßen es mehrmals täglich, oft mit Erdäpfeln. Diese verwendeten sie lange Zeit nur als Schweinefutter. Obwohl schon zu Maria Theresias Zeiten der Kartoffelanbau forciert wurde, brachte erst die Hungersnot des "Jahres ohne Sommer", 1816, ein Umdenken. Statt der traditionellen Rüben pflanzten die Landwirte nun Erdäpfel, und aßen sie vielerorts auch als Nachtmahl.

Das Lied "Was is' heut für Tag" gibt den ländlichen Wochenspeiseplan recht genau wieder: Montag Knödeltag, Dienstag Nudeltag, Mittwoch Strudeltag, Donnerstag Fleischtag, Freitag Fasttag. Für Knödel, Nudel und Strudel gab es in jeder Gegend, fast auf jedem Hof, unterschiedliche Rezepte und "Geheimzutaten". Etliche wurden der Autorin verraten, die sie gerne weitergibt. Sparte die Bäuerin am Fett, war ihr guter Ruf bei den Dienstboten schnell ruiniert, manche sollen wegen der mageren Kost sogar die Stelle gewechselt haben. Schmalz war ganz wichtig und immer vorhanden - mittlerweile gehört das Schmalzbrot zu den bedrohten Arten, stellt Inge Friedl fest. Ebenso wie die Einbrenn, zu deren "Rettung" sie aufruft. Auch von süßen Köstlichkeiten wurde ihr viel erzählt. Dörrobst aus dem eigenen Garten, Kletzenbrot und Germgebäcke waren in der vorindustriellen Zeit seltene Leckerbissen. Immer wieder hörte sie von alten Leuten: "Uns hat der Zucker nicht gefehlt, weil wir ihn nicht gekannt haben". Er zählte, ebenso wie Salz, zu den wenigen kostbaren Lebensmitteln, die man nicht selbst herstellen konnte. Hingegen gehörte der Apfelstrudel zum Repertoire jeder Köchin. Mit der Entwicklung der Küchenherde hielten Tee- und Weihnachtsbäckerei Einzug in die Bauernhäuser.

Inge Friedel führte in fast allen Bundesländern viele Gespräche, darunter mit Bauern, Wirtinnen und gelernten Köchinnen. Auch wurde ihr das handgeschriebene Kochbuch einer 1883 geborenen böhmischen Köchin überlassen, die ihr Handwerk in herrschaftlichen Häusern gelernt hatte. Bis ins hohe Alter schätzte die Familie ihre kulinarischen Künste - besonders wenn es galt, einen Betriebsprüfer des Finanzamts "einzukochen".

hmw