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Nachtmeerfahrt #

von Martin Krusche

Manche sagen mit Augenzwinkern, die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit sei der Jetlag der armen Leute. Ich bin an diesem 27. Oktober aus achteinhalb Stunden Schlaf zurückgekehrt, was ungewöhnlich ist, denn geraume Zeit konnte ich meine Nachtmeerfahrten immer nur in kurzen Abschnitten absolvieren.

Autor Martin Krusche, gezeichnet von Chris Scheuer
Autor Martin Krusche, gezeichnet von Chris Scheuer

Habe ich hier schon wo erwähnt, daß ich den Träumen gewöhnlich den gleichen Rang an Realität zuschreibe wie meinen Wachzuständen? Mit der Besonderheit, daß ich meine Träume nicht als symbolisch verklärte Eindrücke deute, die es zu entschlüsseln gälte, sondern als eine entgrenzte Realität.

Das bedeutet, ich bin in der Nacht zwar auf gefährlicheren Routen unterwegs, aber völlig sorglos. Das heißt ferner, in dieser benachbarten Realität kann ich weit anschaulicher, weit sinnlicher als bloß im Denken, verschiedene Möglichkeiten meiner Existenz erkunden, ausloten, ohne an üblichen Barrieren des Tages zu verharren. Da setze ich Schritte, die mir im wachen Zustand zu riskant wären.

Umgekehrt hat mir ein launiges Schicksal auf den Straßen einige Erfahrungen beschert, die so gefährlich waren, daß ich sie ohne versierte Teams von Profis nicht hätte überleben können, auf daß ich mit meiner Wahrnehmung, mit meinem Erleben, in Bereiche gestürzt bin, die man im Wachsein des Alltags sonst nicht finden kann.

Da sind also fließende Grenzen. Zwischen all dem liegt jener Flow, den die Kunstpraxis ermöglicht. Um es simpel auf den Punkt zu bringen: dabei verknüpfe ich alle mir verfügbaren Realitätskonzepte. Das dient komplexen Kommunikationssituationen. Entgegen populärer Ansichten ist mir dabei die Kommunikation mit einem Publikum eher selten wichtig.

Das ist gelegentlich spannend, wie ich auch ab und zu gerne vertraute Menschen treffe, um mit ihnen Zeit zu verbringen. Mit meiner Arbeit hat es aber relativ wenig zu tun, sich einem Publikum zuzuwenden. Wie eingangs angedeutet, dieser kleine Text entstand an einem Morgen mit spezieller Markierung. Ein Samstag ging in den Sonntag über, wie haben unsere Uhren eine Stunde zurückgestellt.

Das erinnert an jenen Abschnitt im ersten Maschinenzeitalter, da die Menschen begannen, das Leben quer durch Kontinente zu synchronisieren. Aus diesem Prozeß heraus haben wir uns maschinengestützte Simulationswelten erschaffen, also die menschliche Koexistenz mit Maschinen auf völlig neue Zusammenhänge gestellt.

Das schafft Probleme. Das bietet Möglichkeiten. Ist überhaupt klar, worum es dabei geht? Ariadne von Schirach bietet dazu eine anregende Metapher: „Die Flut hebt doch nicht alle Boote, sondern meistens nur die, die schon auf dem Wasser sind.“

Über solche Dinge wird in etwa einer Woche zu reden sein, wenn wir auf Schloß Freiberg einen kühnen Bogen ziehen wollen. Dabei soll das 20. Jahrhundert betrachtet werden, müssen seine Vorbedingungen beachtet sein, um einen Ausblick auf die nahe Zukunft zu ermöglichen. Sie ahnen schon, das leiste ich nicht als Solist. Da kommen sehr verschiedene Charaktere miteinander in Austausch.

Demnach in wenigen Tagen: „Neue Sachen: Vom Mut zur Nachtmeerfahrt“ (Vom Menschsein im zweiten Maschinenzeitalter) als Teil eines Thementages innerhalb von Fokus Freiberg: Nächste Spuren (Drei Tage im November).