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Notiz 098: Egon Rudolf#

(Zur Erinnerung)#

von Martin Krusche

Das Puchwerk, namentlich wohl der symbolträchtigste Betrieb der Steiermark, war ursprünglich die Puchwerke AG. Dafür standen ab den 1940er Jahren zwei Fabriken im Rahmen der historischen Steyr-Daimler-Puch AG. Das alte Stammwerk von Johann Puch und das Werk Thondorf aus dem Zweiten Weltkrieg. Das Einser- und das Zweierwerk kamen nach dem Krieg wieder in Gang. Was dann im Jahr 2001 in Magna Steyr aufging, sehen wir heute noch auf der Autobahn bei Graz als „Puchwerk“ ausgeschildert, so populär ist die Marke. Der letzte Abschnitt vor diesem neuerlichen Veränderungsschub war einem Mann geprägt worden, der uns nun verlassen hat.

2018: Der Konstrukteur und vormalige Werksdirektor Egon Rudolf beim Fest zu seinem 90. Geburtstag im Stammwerk von Johann Puch. (Foto: Martin Krusche)
2018: Der Konstrukteur und vormalige Werksdirektor Egon Rudolf beim Fest zu seinem 90. Geburtstag im Stammwerk von Johann Puch. (Foto: Martin Krusche)

Konstrukteur Egon Rudolf, 1928 geboren, kam 1955 bei der SDPAG an Bord. Das bedeutet, er erlebte unter Erich Ledwinka das Entstehen des Steyr-Puch 500 und des Haflingers. Seine eigene Laufbahn in leitender Position begann 1975, als er den Bereich Vierrad übernahm.

Damit trug Rudolf maßgebliche Verantwortung für Pinzgauer und Puch G, war außerdem mit vielen Projektideen befaßt, durch die das Puchwerk seine Position festigen sollte. Seine formelle Laufbahn beendete der Techniker schließlich als Werksdirektor.

Als Egon Rudolf im Jahr 2018 seinen 90. Geburtstag feierte, hab ich in der letzten originalen Halle des Einser-Werkes, wo heute das Puch-Museum eingerichtet ist, ein berührendes Treffen erlebt.

Ich kenne aus dem letzten Jahrzehnt kein Ereignis, bei dem ich so viele altgediente Kräfte und jüngere Exponenten der Puch-Geschichte unter einem Dach gesehen hätte. Sehr emotionale Stunden, die einen Eindruck boten, welche Ära derzeit endet, da wir in der Vierten Industriellen Revolution angelangt sind, wo Fahrzeugentwicklung und deren Herstellung grundlegend anders funktionieren als in den Tagen der SDPAG in der Zweiten Republik.

Ich durfte Rudolf eine Weile danach privat besuchen. Da ging es mir um einige Details für meine kleine Kulturgeschichte, die ich dem Steyr-Puch Haflinger gewidmet hab. Rudolf über die Zeit vor der Digitalen Revolution: „Und es gab viel zu rechnen, bis ein Motor oder ein Getriebe fertig war.“

Der Rechenschieber blieb lange obligat. Dieses Instrument ist heute nur noch wenigen Menschen geläufig. Stellenweise waren mechanische Rechner verfügbar. Handlich aber schwer. Ratternde Wunderwerke der Feinmechanik. Siehe dazu: Im Spiel der Veränderungsschübe (Der Konstrukteur Egon Rudolf)

Wir haben bei dieser Zusammenkunft freilich nicht bloß in die Vergangenheit geblickt. An diesem erfahren Professional fiel mir auf, daß er zu jenem Zeitpunkt, inzwischen 91 Jahre alt, immer noch reges Interesse an seinem Metier hatte und gut orientiert schien, wo sich die Branche gerade hin entwickelte. So also ein Mann, der schon als Kind seine Schulbücher mit Autoskizzen vollgekritzelt hatte.

Demnach habe ich eine feine Erinnerung an diesen Konstrukteur und durch ihn einen ganz realen Eindruck, wie diese Typen gestrickt waren, deren Vorgeschichte mich gerade so fesselt. Es zieht sich quer durch das 20. Jahrhundert und hat im Beginn eine auffallende Markierung. Das Jahr 1909 war so ein Angelpunkt in der Motorisierung Europas, im Entwickeln brauchbarer Konstruktionen.

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Nicht nur auf festem Boden, auch in der Luft. Louis Blériot hatte 1909 den Ärmelkanal mit seinem Flugapparat Nummer XI überflogen. Genau diesen Typ Flugzeug orderte Altmeister Johann Puch damals in Frankreich, während er in Graz schon mit den Renner-Buben kooperiert hatte.

Das erste Renner’sche Luftschiff, der „ Estaric I“, war mit eine Puch-Motor ausgerüstet. Sie können davon ausgehen, daß sich Altmeister Puch schon eine Weile mit Fragen der Aviatik befaßt hatte. Das belegt auch seine Freundschaft mit dem Offizier und Flieger Eduard Nittner.

Kurz vor diesen Ereignissen, nämlich 1904, war Erich Ledwinka geboren worden. Der wuchs mit dem Wirken seines bedeutenden Vaters, des Konstrukteurs Hans Ledwinka, auf. Es wäre naheliegend, daß der aufgeweckte Bub zuhause mit seinem Vater über den Flug Blériots gesprochen hätte.

Vorführungen, wie jene des Franzosen vor Kaiser Franz Joseph I., am 23. 10. 1909 auf der Simmeringer Heide realisiert, waren Sensationen, die via Medien groß aufgemacht wurden. Verschiedene Produzenten boten überdies flugfähige Miniatur-Modelle an, die als Kinderspielzeug gedacht waren, aber auch als Anschauungsmaterial, um die Gesellschaft mit der neuen Technologie vertraut zu machen.

Riesenochs, Messe-Rodelbahn, Die dicke Mitzi, Attraktionen! Attrakionen! Renners „Estaric I“ über dem Grazer Schloßberg… Farbige Bildpostkarte (Photochrom) von 1910. (Foto: IMAGNO)
Riesenochs, Messe-Rodelbahn, Die dicke Mitzi, Attraktionen! Attrakionen! Renners „Estaric I“ über dem Grazer Schloßberg… Farbige Bildpostkarte (Photochrom) von 1910. (Foto: IMAGNO)

Erich Ledwinka war, wie schon angedeutet, einige Jahre der Boss von Egon Rudolf. Damit möchte ich auch unterstreichen, das sich hier eine interessante Verlaufsgeschichte zeigt, die bei Rudolf geendet hat. An ihm wurde das Ende einer historischen Ära und eines radikalen Jahrhunderts erkennbar. Konzerne haben sich danach so grundlegend verändert wie Produktionsmethoden. Magna Steyr repräsentiert eine völlig andere Ära, die nach anderen Arten von Persönlichkeiten verlangt.

Ich sehe in der Historie der Puchwerke nach Rudolf keine vergleichbare Persönlichkeit mehr, die als „Car Guy“ auf solche Art für ein Stück Werksgeschichte stünde. Und sehr konkret für markante Fahrzeuge. Am 19. Juli 2017 lief bei Magna Steyr in Graz das dreihunderttausendste Fahrzeug der legendären G-Klasse vom Band - ein Mercedes-Benz G500 in der Farbe designo mauritius blau metallic.

Als Mitte Jänner 2018 mit der Kampagne „Stronger Than Time“ die Neudeutung des „G-Wagens“ präsentiert wurde, wußten Insider und Liebhaber, daß Designer Gorden Wagener für die Überarbeitung des Klassikers verantwortlich zeichnete. Das gehört aber nicht mehr zum Allgemeinwissen von Puch-Fans.

Wer gestaltete den Aston Martin Rapide? Wer zeichnete für den MINI Countryman verantwortlich und wer jüngst für den neuen Toyota Supra, der in Graz auf die Räder gestellt wird? Das läuft eben heute ganz anders als zu Rudolfs Zeiten. Die alte Ära, wie sie Rudolf verkörperte, war geeignet, einen Erinnerungsort hervorzubringen. Damit ist nicht etwa eine Gedenkstätte gemeint, sondern ein Symbol, wie es der französischen Historiker Pierre Nora beschrieb. Ein Mnemotop (un lieu de mémoire). So ein Phänomen bezieht sich auf die Vorstellung, daß die Menschen in Regionen und Ländern ein kollektives Gedächtnis entwickeln, das einer sozialen Gruppe bei der Orientierung und in Identitätsfragen nützt.

Giovanni Marcellino anno 1955 (Foto: Archiv Lanner)
Giovanni Marcellino anno 1955 (Foto: Archiv Lanner)

Für unsere Erinnerungskultur brauchen wir soziale und historische Referenzpunkte innerhalb eines Koordinatensystems, innerhalb einer großen Erzählung. Das sind zum Beispiel markante Betriebe und folglich Begriffe wie „Puchwerk“. Das hat mit Prozessen und mit Kontinuität zu tun. Und mit Persönlichkeiten.

In diesem Zusammenhang sollte ich noch den Ingenieur Giovanni Marcellino erwähnen. Der hatte sich nach dem Großen Krieg bei seinem Boss, dem Börsenspekulanten Camillo Castiglioni, dafür eingesetzt, die Grazer Puchwerke nicht zu liquidieren, sondern als Produktionsstandort für Zweiräder weiterzuführen. So kam es und es wurde eine Erfolgsgeschichte. Marcellino wurde später der Geschäftspartner von Ferdinand Lanner, dem Sohn jenes gleichnamigen Rennfahrers, der bei Johann Puch gewirkt hatte. Sehen Sie nun den Bogen, das Netzwerk der Geschichten und die Kette der exponierten Personen?

Johann Puch und Ferdinand Lanner (Vater), Flieger Louis Bleriot und die Luftschiffer Renner, Giovanni Marcellino und Ferdinand Lanner (Sohn), Hans Ledwinka, Erich Ledwinka und schließlich Egon Rudolf. Das alles hat Graz als Angelpunkt, wurzelt aber tiefer.

„Hr. Watt, der uns führte, erklärte uns nach den Zeichnungen die Reihenfolge und zeigte uns, wie er nach und nach alle Verbesserungen erfunden, welche itzt diese Maschine so vollkommen gemacht.“ Das hatte Erzherzog Johann von Österreich im Jänner 1816 notiert, nachdem er in England von James Watt persönlich erläutert bekommen hatte, was so neu war. Watt hatte das damals schon geläufige Prinzip einer revolutionären Kraftquelle für die Praxis tauglich gemacht: „Watt verbesserte die Gebrechen der Dampfmaschine…“

Erich Ledwinka als Beifahrer von Fredi Thaler. (Foto: Archiv Thaler)
Erich Ledwinka als Beifahrer von Fredi Thaler. (Foto: Archiv Thaler)

Der ungewöhnliche österreichische Aristokrat mit seiner unstillbaren Wißbegier, welcher er – als Bruder des Kaisers – dank erheblicher Mittel hochkarätig ausleben konnte, verknüpfte die Steiermark schon früh mit jener Dampfmaschinen-Moderne, von der die Welt verändert wurde.

So gab es im Rahmen der angehenden Industrialisierung für viele einheimischen Talente bessere Jobs und die Steiermark hörte auf, eine rückständige Region zu sein. Das vollzog sich in etwa einem Jahrhundert. Zwischen 1909 und dem Ersten Weltkrieg setzte dann die Zweite Industrielle Revolution ein.

Wer sich einen Eindruck verschaffen möchte, welche Früchte das kontrastreiche Engagement des Johann von Österreich trug, findet auf dem Server der TU Graz ein wunderbares Dokument aus dem Jahr 1890. Im Leykam-Verlag erschien damals der Band Culturbilder aus Steiermark. Auf 290 Seiten wird quer durch verschiedene Branchen dargelegt, welches Wissen man zur Frage nach Zukunftsfähigkeit für relevant hielt.

Rund vier Jahrzehnte später kam Egon Rudolf zur Welt und begann so seinen Weg, der sich auf die hier skizzierte Art einlöste; zum Teil eben in der Verantwortung für ein beachtliches Stück steirischer Industriegeschichte.

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