Notiz 041: Zwischenbilanz#
von Martin KruscheDer Themenrahmen „Dorf 4.0“ hat sich aus einem komplexen Prozeß im Rahmen des Langzeitprojektes „The Long Distance Howl“ ergeben. Dabei geht es um regionale Wissens- und Kulturarbeit abseits des Landeszentrums. (Also in der Provinz.) Die ist im Kern als eine kollektive Kulturarbeit gedacht, welche dem Bottom up-Prinzip folgt. Das meint, Themen- und Projektentwicklung geht von der zivilgesellschaftlichen Basis aus.
Wurden auf dieser Ebene Aufgaben gewählt und Vorhaben begonnen, sind Politik und Verwaltung eingeladen, die Prozesse zu begleiten und zu verstärken. Dieser Modus beruht kulturell auf der Tatsache, daß die Ideengeschichte Europas den Begriff der Politik aus dem Wechselspiel zwischen Gemeinwesen und Staatskunst bezogen hat.
Das heißt, Politik ist nicht bloß das, was die Funktionärswelt tut und bewirkt, sondern auch das, was zivilgesellschaftlich zustande kommt. Die Idee der „Bürgerbeteiligung“ markiert daher eine Abweichung in diesem europäischen Konzept, bei der Bürgerinnen und Bürger vorerst aus dem Begriff Politik verdrängt waren, nun aber neu gewonnen werden sollten.
In der Geschichte von Kultur.at und Kunst Ost, die derzeit noch aktiven formalen Träger-Formationen des Langzeitprojektes „The Long Distance Howl“, wurde genau diese Sichtweise in Frage gestellt.
Stattdessen liegt unserer Wissens- und Kulturarbeit ein Denkmodell von den drei Sektoren zugrunde. Staat, Markt und Zivilgesellschaft in Kooperation. („Sektor 3-Kulturarbeit“) Das verlangt, nebenbei bemerkt, zum Begriff „Staat“ zwischen Politik und Verwaltung zu unterscheiden. Das legt außerdem nahe, „Wirtschaft“ nicht klischeehaft zu betrachten.
Damit meine ich, daß von hundert Prozent österreichischer Betriebe keine zehn Prozent große Companies und internationale Players sind. Mehr als 90 Prozent gelten daher als Klein- und Mittelbetriebe (KMU). Was nun viele erstaunt, wenn sie es erstmals hören, mehr als 50 von 100 Prozent heimischer Betriebe, damit auch der Großteil der KMU, sind allerdings EPU. Das bedeutet: Ein-Personen-Unternehmen, die ein bis zwei Leuten Brot geben.
Ich zähle selbst zu diesem Überhang der EPU innerhalb Österreichs Wirtschaft. Als Künstler, der sein Brot hauptsächlich in der Kulturarbeit verdient, werde ich übrigens nicht subventioniert. Ich halte diesen Begriff für höchst irreführend, dazu angetan, begrifflich eine Hierarchie herzustellen, die nicht zu einer zeitgemäßen Demokratie paßt.
Ich realisiere immer wieder Projekte, für die ich Kooperationen mit Kommunen oder dem Land Steiermark eingehe. Dabei kommt es zu Kofinanzierungen durch meine Geschäfts- und Projektpartner. (Jeder bringt seine verfügbaren Ressourcen ein. Cash ist nur eine dieser Ressourcen.)
Das muß immer noch geklärt werden, da Österreich vor allem durch ein Volk von Angestellten belebt ist, wobei sich auffallend viele Menschen a) die Selbstständigkeit von b) freischaffenden Künstlern eher nicht vorstellen möchten. Das führt gelegentlich zu merkwürdigen Projektionen.
Es ist vielen Menschen völlig unklar, daß mein Metier einige der ältesten Beruf der Menschheitsgeschichte stellt. Als sich im Neolithikum die Arbeitswelten der Jäger und Sammler auszudifferenzieren begannen, war die Kunstpraxis schon dabei, um sich Bereichen zu widmen, die genau nicht der Alltagsbewältigung dienen, sondern der Conditio humana.
Wir leben in einer Zeit, da versucht wird, alle Arten unserer Beziehungen zu ökonomisieren und in solchem Zusammenhang nutzbar zu machen. Offenbar müssen wir mit den Debatten einiger kulturpolitischer Inhalte von vorne beginnen.
Wo ist „The Long Distance Howl“ inzwischen angekommen? Das Jahr 2002 war mit seiner „Verschwörung der Poeten“ die Anlaufphase. Im Jahr 2003 kam die Sache formell in Gang. Ich befinde mich nun also im 18. Jahr dieses Prozesses. Der Themenrahmen „Dorf 4.0“ war eine Reaktion darauf, daß der von mir entwickelte „Kulturpakt Gleisdorf“ ab 2015 unter die Federführung des Gleisdorfer Büros für Kultur und Marketing kam, womit seine ursprünglichen Prinzipien suspendiert wurden.
Die Kulturpakt-Aktivitäten zeigen seither auch nur noch die Merkmale üblichen Kulturmanagements von Kommunen. Inhaltliche Arbeit und deren Ergebnisse im Sinne einer kollektiven Wissens- und Kulturarbeit von der Basis her gibt es dabei nicht mehr.
Das läßt sich nun, anno 2020, genau erkennen und darstellen, ist also eine wesentliche Markierung innerhalb von „The Long Distance Howl“. Vielleicht bedeutet es, daß innerhalb zyklischer Entwicklungen und Verläufe etwas neu oder wenigstens von vorne beginnen muß. Zum Kunstbegriff, der hier vorherrscht, siehe aktuell: „Interferenzen 2019“ (Eine Reflexion)
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