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Notiz 005: Das dritte Leben#

von Martin Krusche

Ich hab eben versucht, mich wenigstens irgendwie in Motiven verschiedener Sammlungen wie jener von Anbieter Alamy zu finden: „Dynamische Senioren. Stockfotos & Bilder (435)“. Alte Männer laufen in der Natur durch die Gegend, vorzugsweise in unverdächtiger Gesellschaft junger Frauen, plagen sich beim Fitneßtraining, fahren ein wenig Motorrad, hätscheln Hunde, Golf und Tennis fehlen nicht.

Sentimentale Selbstdarstellung: Die antiquierte Kerl-Pose hat ein deutliches Ablaufdatum. Dann werden neue Konzepte fällig. (Foto: Archiv Krusche)
Sentimentale Selbstdarstellung: Die antiquierte Kerl-Pose hat ein deutliches Ablaufdatum. Dann werden neue Konzepte fällig. (Foto: Archiv Krusche)

Dazu heimelige Bildunterschriften, die das Genre verdeutlichen: Reifer Mann und Frau im Schwimmbad. Jubilierender älterer Mann. Senioren und Hund. Glückliche Gruppe von Senioren in Bewegung im Sommer in der Natur. Älterer Mann läuft im herbstlichen Wald. Glückliche Senioren im Herbst.

In meinem vertrauten Umfeld ist Recherche zu all dem kaum möglich. Es liegt der Verdacht nahe, daß wir uns noch zu jung fühlen, um solchen Aspekten nachzugehen. Ich hatte in den letzten Monaten eine Reihe von Gesprächen, die unmißverständlich zeigten, daß es in der Sache zwar individuelle Klarheiten geben mag, aber generell besteht da keine Kultur, in der sich unaufgeregt betrachten und erörtern ließe, was sich tut, wenn ein älterer Mann zum alten Mann wird.

Ich hab schon angedeutet, daß ich den Begriff Senioren für einen unangenehmen Euphemismus halte. Das ist einerseits ein sehr typisches PR-Gehabe in der Sprache. Durch so ein verniedlichendes Framing soll das Genre besser zu bewirtschaften sein. Das ist anderseits eine Weichspülerei, um jenen trüben Schleier zu erzeugen, hinter dem sich besser verbergen läßt, was solche Lebensabschnitte ausmacht.

Mir erscheinen solche Modi aus wenigstens zwei Gründen sehr provokant und ärgerlich. Erst einmal führt eine trügerische Sprache immer in die Irre und beschädigt auf diese Art menschliche Gemeinschaft. Dann drängt es einen individuell dazu, sich zu verbiegen, um seine realen Befindlichkeiten so zu kaschieren, daß man nicht ständig mit populären Erwartungshaltungen kollidiert. Das sind Anpassungsleistungen, bei denen die Referenzpunkte der Anpassung zu verhandeln wären.

Beides fördert, so mein Verdacht, einen nutzlosen Kraftaufwand und Verschleiß, in dem Menschen bewirtschaftbar werden, was bedeutet: der Profit solcher Machinationen wandert von uns selbst weg, geht woanders hin. Es ist allein schon aufschlußreich, gelegentlich darüber nachzudenken, worüber Begriffe wie Seniorenanimation hinwegtäuschen sollen.

Ich hab da im heimischen Kulturbetrieb ein paar verblüffende Erfahrungen gemacht, auf die ich gar nicht weiter eingehen möchte. Verwahrung, Verwaltung, Unterhaltung. Ich gehe davon aus, daß wir in diesen Fragen noch vieles lernen müssen, weil es ein ganz junges Phänomen ist, daß so viele Menschen einer Gesellschaft so alt werden.

Abschnitte#

Ich habe den Sechziger schon einige Jahre hinter mir. Das war eben noch die Ausnahme, von Menschen mit 80 oder 90 Jahren ganz zu schweigen. Ich möchte aus Orientierungsgründen annehmen, daß jenseits des Sechzigers ein drittes Leben liegt. Dieses dritte Leben will ich nicht nach den Bildern und Konventionen des zweiten Lebens gestalten. Um das etwas deutlicher zu machen, eine etwas polemisch verkürzte Skizze. Mit dem ersten Leben meine ich die Kindheit. Dabei braucht man Glück, um in diesem Lebensabschnitt nicht Zynismus, Lieblosigkeit oder Gewalttätigkeit ausgeliefert zu sein.
Ich gehe davon aus: Wenn wir älteren Leute die Codes der Youngsters plündern, hängen die sich eben noch weiter aus dem Fenster. (Foto: Martin Krusche)
Ich gehe davon aus: Wenn wir älteren Leute die Codes der Youngsters plündern, hängen die sich eben noch weiter aus dem Fenster. (Foto: Martin Krusche)

Wer solche Belastungen für die große Ausnahme hält, kennt weder unsere Sozialgeschichte, noch die gegenwärtigen Verhältnisse bezüglich innerfamiliärer Gewalt. Was das erste Leben und dessen Bedingungen für Kinder angeht, liefert gewiß auch den einen oder anderen Beitrag, daß die Steiermark beim Thema Selbstmord Weltrang hat. Die Floskel „Glückliche Kindheit“ ist von hybrider Natur, wie auch „Glückliche Ehe“ oder „Werte des Abendlandes“. Da muß jeweils nachgefragt werden, was sich dahinter an Realität verbirgt.

Mit dem zweiten Leben meine ich die Zeit als Erwachsener über ihre ganz unterschiedlichen Ausgangspunkte und Verläufe. Ein Beispiel: historische betrachtet waren fünfzehnjährige Buben im kampffähigen Alter und für den Krieg gut. Das ist wenig überraschend, wenn man eine einstmals übliche Lebensspanne von rund 30 Jahren berücksichtigt. Heute findet man gelegentlich Dreißigjährige noch im sogenannten Hotel Mama.

Im wohlhabenden Teil Europas ereignet sich all das völlig anders als in jenen Weltgegenden, wo Menschen noch in einer agrarischen Welt Leben, die kaum Maschinen, vielfach nicht einmal Zugtiere kennt.

Physisch scheint es mir so, daß man die ersten vierzig Jahre annähernd alles aushält und dabei die Verlockung kennenlernt, sich für einigermaßen unzerstörbar zu halten. Zwischen 40 und 50 zeigt sich deutlich, daß es so nicht bleiben wird. Spätestens zwischen 50 und 60 werden radikale körperliche Veränderungen erfahrbar, die ich dem zurechne, was ich als drittes Leben verstehe.

Zu diesen greifbaren und sichtbaren physischen Veränderungen kommt eine weitreichende Erosion vertrauter Kräfteverhältnisse. Der eigene Kräftehaushalt und geläufige Arbeitspensa fallen gründlich auseinander. Belastbarkeit und Leistungsvermögen sacken so markant ab, wie es der Testosteronspiegel längst getan hat.

Klar, daß hier Legionen von Geschäftsleuten mit Bergen von Ratgeberliteratur, Wellnessangeboten, mentalen Bonbonnieren und Psychopharmaka bereitstehen. Der Marktplatz ist von Marktschreierei erfüllt. Sie merken schon, ich schreibe hier von Männerleben, wo ich mich eben auskenne. Frauen durchlaufen und durchleben deutlich andere Zusammenhänge unter anderen Bedingungen. Das interessiert mich zwar als Thema, aber da bin ich nicht sachkundig.

Umbrüche#

Die Umbrüche auf dem Weg ins dritte Leben erscheinen mir so umfassend, daß ich durchaus verstehen kann, warum auffallend viele Menschen an den Bildern, Konzepten und Posen des Lebens davor festhalten. Da entbrennt dann ein Feuerwerk an Aktivitäten, für die Geld, Zeit und Kraft aufgewandt werden. Sozusagen die Simulation des zweiten Lebens im dritten.

Ich empfinde eine gewachsene Sturheit, die mich dazu bringt, das für ein Ärgernis zu halten und mich dagegenzustemmen. Das bedeutet praktisch, ich finde es verlockend, mich in das Altwerden hineinfallen zu lassen, womöglich hineinzuwerfen, obwohl mir keinesfalls geheuer ist, was es mit mir macht.

Aber ich vermag nicht zu beschreiben, wie ungeheuer mir die andere Option ist, mich also gegen dieses Kräftespiel zu stellen und jünger erscheinen zu wollen als ich bin. Natürlich gefalle ich mir auf älteren Fotografien besser, wenn ich sie mit heutigen Bildern vergleiche. Ich erinnere mich auch gerne an dieses weit größere Kräftepotential, mit dem ich verschwenderisch umgehen konnte. Aber ich sehe weder inhaltlich, noch mental, noch physiologisch eine einladende Möglichkeit, das stärker mit meiner Gegenwart in Deckung zu bringen.

Betulichkeit oder Beschaulichkeit? Kulturkonzepte aus dem Ramschladen verweisen auf die merkwürdigsten Fälscherwerkstätten. (Foto: Martin Krusche)
Betulichkeit oder Beschaulichkeit? Kulturkonzepte aus dem Ramschladen verweisen auf die merkwürdigsten Fälscherwerkstätten. (Foto: Martin Krusche)

Es kursiert ein Bonmot, das ich durchaus originell finde, doch dann eher als zynischen Ausdruck einer merkwürdigen Verzweiflung deute: „Die Jugend wird an die Jugend verschenkt“. Es muß sich sehr problematisch auswirken, wenn alte Menschen nicht alt sein möchten und daher der Jugend entwenden wollten, was Jugend ausmachen mag. Ich sehe darin eine Falle, die mit Anmaßung und Eitelkeit geschmiert ist.

Das Problem ist natürlich nicht neu. Ferdinand Raimund hat das in seinem Theaterstück „Der Bauer als Millionär“ exemplarisch geschildert. Das Lied „Brüderlein fein“ schildert den Moment, in dem sich die Jugend freundlich von Fortunatus Wurzel verabschiedet, während er der Jugend „zehntausend Taler“ bietet, damit sie bliebe. (Im Internet gibt es davon etliche Versionen. Eine der populärsten wird von Hans Moser und Renate Holm dargebracht.)

Diese Begegnung findet in der der sechsten Szene des zweiten Aufzugs statt. Dem erwähnten Lied geht eine amüsante Sequenz voraus, die gewissermaßen einen Paradigmenwechsel zwischen zweitem und drittem Leben andeutet, wenn die Jungend sagt: „Bruder, nein! Jetzt ists gar. Du mußt jetzt solid werden, du mußt dich um sieben Uhr zu Bette legen, darfst dir keinen Rausch mehr trinken, – kurz, was du zu tun hast, das wirst du von einem anderen hören, der dir alles pünktlich auseinandersetzen wird.“ (Quelle)

Natürlich verstehe ich die Pose. Meine Erinnerung besagt, daß irgendwann zwischen Vierzig und Fünfzig eine Instanz in mir eingerastet ist, eine Art Innen-Ich, das seither nicht mehr altert, womit ich meine: im ersten Leben hab ich das Älterwerden in meinem Wesen gespürt.

Auch mein zweites Leben war in Altersfragen von markanten Veränderungen der Selbstwahrnehmung bestimmt. Doch dieses aktuelle Innen-Ich altert schon eine Weile nicht mehr, heißt: meine körperliche Veränderung ist geradezu radikal im Kontrast zu mein Gefühl in der Welt zu sein. Ich rechne damit, daß sich diese Diskrepanz noch weiter auftut.

Um das an einem kleinen Beispiel deutlich zu machen. Nach den 2019er Landtagswahlen kursierte verstärkt Fotos der aktuellen Politik-Spitze durch die Medien. Ich hätte vom Anblick her Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer für wesentlich älter als mich gehalten, dabei sind das bloß unerhebliche vier Jahre. Mir erschien auch sein Vize Anton Lang nennenswert älter, der ist aber jünger als ich. Vielleicht wäre mir das nicht passiert, hätte ich uns drei gemeinsam auf einem Foto gesehen. So oder so, mein Bild von mir, meine Selbstwahrnehmung, und meine reale Erscheinung sind definitiv nicht in Deckung. Ist das bloß interessant? Ist das auch nützlich oder womöglich problematisch? Muß ich erst herausfinden.


https://photos.app.goo.gl/rqMF8ZGakMR9Y68H9

-- gamauf gerald antal, Montag, 13. Januar 2020, 18:13


https://www.youtube.com/watch?v=8FyTnuCcFFU

-- gamauf gerald antal, Montag, 13. Januar 2020, 18:18