Tanzender Zugriff#
Der Blick auf einen Bassisten#
von Martin Krusche
Er sagt: „Ich bin Musiker.“ Man könnte präzisieren: Bassist. Manche wissen, daß er auch komponiert. Das drückt sich in verschiedenen Projekten aus. Zum Beispiel in einer Verbindung mit Tanz. Aber auf ein bestimmtes Musik-Genre möchte Reinhard Ziegerhofer nicht festgelegt werden. Derlei war in einem früheren Abschnitt seines Lebens von Belang. Es hat ja vielleicht etwas identitätsstiftendes, wenn man feststellen kann, wo man in einem Koordinatensystem steht: „Ah, Hard Bop!“ „Das ist Acid!“ „Fusion geht aber gar nicht!“
Der Weg in die Kunst führt eben für manche Menschen in ein Möbelhaus mit vielen, vielen Schubladen. Man sucht sich die Bezugssysteme, von denen man hineichenden Halt erwarten darf. Wer sich aber zutraut, gelegentlich auch verloren zu gehen, wird dann unter Umständen - wie Ziegerhofer - feststellen: Es ist die Musik, der ich verfallen bin, kein einzelnes Genre.
Musik. Ein rätselhaftes Erzählsystem, auf das der Körper und die Seele gleichermaßen zu reagieren scheinen. Dazu kann es Momente geben, wie jüngst auf Schloß Freiberg, wo das 2018er Aprilfestival stattfand und „Die Quest III“ eine nächste Station hatte. Ziegerhofer ging dort mit seinem Kontrabaß mitten unter die Menschen.
Das muß man eigentlich so verstehen: Da kam ein Paar daher, denn dieses Instrument zeigt in Größe und Wirkung eine Dimension, als wäre es dem Menschen in einer Art Wesenheit fast ebenbürtig. Das ist für sich ein sehr eigentümliches Erlebnis, wenn diese beiden, der Mann und der Kontrabaß, nicht auf Distanz bleiben, wie sie eine Bühne vorgibt, sondern einem nahekommen, als hätte man grade ein Plauderstündchen.
Dabei spürt man nicht bloß äußerst physisch, was die beiden machen. Es scheint ein langjähriges Naheverhältnis der zwei den körperlichen Habitus des Musikers zu prägen. Das meint nicht bloß die linke Hand, deren Aufgabe meine Vorstellungen ein wenig übersteigt. Da ist der ganze Umgang miteinander gemeint, bei dem die Körperlichkeit des Instruments in seiner Anforderung an Raum nicht ignoriert werden kann.
Aber die Hände. Das gefällt mir ja besonders. Den Bogen zu führen ist natürlich etwas völlig anderes, als einen Besenstiel zu ergreifen. Wem bräuchte das erläutert werden? Die Finger der Linken müssen allerdings etwas ganz anderes schaffen. Mir kommt es vor wie eine Art leichtfüßiger Klammergriff. Der Daumen schafft die Basis für den Anpreßdruck, den die dicken Saiten fordern. Zugleich muß die Hand am Instrumentenhals ja tanzen können, noch dazu mit sehr präzisen Schritten.
Ziegerhofer hat mir erläutert, worauf ich selbst nicht gekommen wäre. Soll das Instrument möglichst kraftvoll klingen, braucht das eine hohe Saitenlage, damit die mächtigen Stränge gut schwingen können. Das bürdet der Hand naturgemäß einen anderen Job auf, als wenn man sich für eine niedere Saitenlage entscheidet.
In all dem ist selbst uninteressierten Leuten völlig einsichtig, daß man nicht nur die Hände, sondern den ganzen Körper üben muß, um es mit diesem Instrument zur Virtuosität zu bringen. Aber Virtuosität reicht ja nicht. Die physische Grundlage dafür mag in ausdauerndem Üben geschaffen werden, das den Händen die nötige Kraft, Beweglichkeit und Präzision ermöglicht.
Dazu sollte man Musikalität schon mitgebracht haben. Doch erst ab da tut sich ein weites Feld der Anforderungen auf, um im Spielen eine künstlerische Aufgabe zu bewältigen, einem Thema gewachsen zu sein, außerdem mit sich und dem Publikum zu kommunizieren, gelegentlich auch noch mit anderen Musikerinnen und Musikern, wo man im Ensemble auftritt.
Dabei könnte nun deutlich werden: Es braucht Hingabe, um die Disziplin aufzubringen, daß man sich der Übung solcher Fertigkeiten mit Kontinuität widmet, um dann aus der Strenge des Übens aufzutauchen und vor Publikum jene Leichtigkeit zu finden, ohne die Virtuosität nicht denkbar ist.
All das muß ein Publikum nicht scheren, wenn es bemerkenswerte künstlerische Leistungen genießt: Diese Hingabe hinter den Momenten des Auftritts, diese Dauer, diese ungezählten Stunden.
Aber es trennt dann eben auch Spreu vom Weizen. Wie oft erlebe ich, daß bei Kunstveranstaltungen jemand sehr ostentativ auftritt, daherstöckelt, sich in Pose wirft, wo all das ausrufen möchte: "Hier kommt ein Künstler!" "Hier kommt eine Künstlerin!"
Ich weiß längst, die sind meistens keine, sondern bloß Posierende. Überdies, quasi am anderen Ende der Geschichte, jene reich beschenkten Ausnahmeerscheinungen, die fast alles mitbekommen haben und sich kaum etwas erarbeiten müssen, gibt es. Sie machen einen verschwindend geringen Anteil aus. Denen begegnet man kaum.
Der große Rest muß die erwähnte Hingabe aufbringen, um relevante Ergebnisse zu schaffen. Das wiederum läßt einem kein Interesse am Posieren, außer die Pose wird selbst zum konstituierenden Bestandteil eines Werkes von Belang. Kurz, die meisten Kunstschaffenden von Belang haben für das Posieren nichts übrig, auch keine Zeit.
Meine aktuelle Begegnung mit Ziegerhofer fand, wie erwähnt, auf Schloß Freiberg statt, wo ich eben eine weitere Station im Prozeß „Die Quest“ absolvierte habe. In diesem dritten Abschnitt der Quest geht es um genau solche Zusammenhänge, wie sich nämlich Handwerk und Kunst zueinander verhalten und wo sie allenfalls aus den gleichen Quellen schöpfen.
Dazu heißt es im Absatz „Kluge Hände“ unter anderem: „Die Lehre in manchem Handwerksberuf beginnt noch heute damit, aus einem Stück Stahl vorgegebene Werkstücke zu feilen, etwa Würfel und Kugeln. Stahl, Schraubstock, Feile und Hände. Das ist ein langer Weg, ermüdend, von Schmerzen begleitet, auf dem man lernt, das geforderte Werkstück erst zu denken, um es schließlich mit Hand und Werkzeug dem Stahl abzutrotzen.“ Derlei handelt nicht bloß von der Beherrschung des Materials. Es hat auch noch andere Konsequenzen: „Daraus folgt aber nicht nur, daß man sich in diesem Lernen körperlich verändert. Es ist ein Wechselspiel, in dem der Geist den Händen gebietet und die Hände den Geist modulieren. Es verwandelt einen in der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit und Denkweise.“
Ich vermute, das trifft auf den Bassisten Reinhard Ziegerhofer in seiner Arbeit genauso zu.