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Die passenden Posen konnte ich aus Romanen von Nelson Algren, John Steinbek und Konsorten beziehen sowie aus allerhand Road Movies.
Die passenden Posen konnte ich aus Romanen von Nelson Algren, John Steinbek und Konsorten beziehen sowie aus allerhand Road Movies.

Official Bootleg: Hintergrund#

von Martin Krusche

Das englische Wort Bootleg bedeutet Raubkopie, Bootlegging meint Schwarzhandel, also illegale Vorgänge. Ich nutze das hier als Metapher für einen komplexen Zusammenhang, den ich für mich eben erst zu ordnen beginne.

Wenn ich mich mit dem Zustand unserer Gesellschaft befasse, spreche ich vorzugsweise davon, daß wir in eine vorherrschende Männerkultur eingebettet sind. Obwohl ich kein Pazifist bin, halte ich Gewalttätigkeit für eine Anomalie. Ich habe sehr konkrete Erfahrungen gemacht, was geschieht, wenn man etablierte Rollenbilder variiert oder wesentliche Teile davon durch ein anderes Konzept ersetzt.

Ein großer Vorteil des Patriarchats ist die Tatsache, daß es völlig egal bleibt, wie weit oder wie tief ich mich von seinen Regelwerken abwenden mag, ich kann es mir jederzeit anders überlegen. Meiner Rückkehr in alte Verhältnisse stünde nichts im Wege.

Damit will ich sagen, daß hier - ganz anders als in patriarchalen Teilsystemen - der vormals Abtrünnige, der „Heimkehrer“, nicht geschlachtet werden muß, sondern als Gewinn zurückgebucht wird. Das bedeutet unter anderem, als Mann bin ich immer ein Repräsentant des Patriarchats, kann mir aber die Freiheit nehmen, nicht sein Agent zu sein. Das schlaue an diesem Umstand: Sollten sich Männer daran stoßen, werden sie es nicht an mir, sondern an den Frauen auslassen.

Christa (†): Verheiratet zu sein war mit den damaligen Konzepten mühelos vereinbar.
Christa (†): Verheiratet zu sein war mit den damaligen Konzepten mühelos vereinbar.

Mein Selbstverständnis, soweit es Fragen meiner Identität betrifft, ruht übrigens nach wie vor auch auf diesen bewährten patriarchalen Fundamenten. Ich hab allerdings Gefallen daran gefunden, meine Handlungsweisen längst anders zu orientieren, anders zu begründen.

Das bedeutet auch, ich erinnere mich gut und bestens gelaunt an einstmals machistische Posen, die ich damals genossen hab. Dieser eitle Traum, annähernd unzerstörbar zu sein, alles auszuhalten, vor Mauern keine Tür zu suchen, sondern dort durchzubrechen, wo es mir gerade paßt, ist ein frivoles Vergnügen, dessen Reiz nicht schwindet.

Zu diesen Vergnügen gehört auch die Möglichkeit, über erhebliche Gewaltbereitschaft seine Position zu markieren und allfällige Übergriffe umgehend abstellen zu können. Darin klingt immer noch diese prächtige Männerphantasie nach, daß man jede Beleidigung zurückweisen, notfalls mit Blut abwaschen könne. Gewalttätigkeit ist eine enorme Droge.

Der exorbitante Energieaufwand, den solche Flausen verlangen, ist dabei keine Belastung, sondern die als nötig wahrgenommene Reaktion auf Belastungen von außen, auf das, was man als Zumutung empfindet. Wie sehr man sich dabei auch selbst Schaden zufügt, das eigene Leben vergiftet, läßt sich mit Anregungen aus der reichen ideologischen Bibliothek des Patriarchats gut verschleiern.

Damit will ich sagen, es gibt diesen angetrunkenen Wikinger mit seiner Streitaxt und seinen Kampferfahrungen in mir nach wie vor. Das ist auch kein reuiger Charakter. Ich hab bloß über die Jahre andere Erfahrungen gemacht und bin zu anderen Schlußfolgerungen gekommen.

Das war übrigens nicht mein Verdienst aufgrund innerer Vorgänge, sondern eine Erfahrung, die mir von außen zugetragen, die von außen angestiftet wurde. Als mein krebskranker Vater austherapiert war und zuhause abgeliefert wurde, mußte er bis zu seinem Tod rund um die Uhr betreut werden.

Es verlangte keine Diskussion, daß ich Teil des „Viererradels“ sein würde, welches diese Aufgabe erfüllt. Natürlich wußte ich anfangs nicht, womit ich es da zu tun bekomme. Aber ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, mich dem entziehen zu wollen. Es war einfach so. Ich ging auf völlig unspektakuläre Art in diese Situation hinein.

Die Motorrad-Subkultur bot mehrere kontrastreiche Image-Varianten an.
Die Motorrad-Subkultur bot mehrere kontrastreiche Image-Varianten an.

Heute meine ich, das war ein Schlüsselereignis, um selbst Vater werden zu können. Diese fast banale Gewißheit, daß ich für jemanden sorgen und Verantwortung übernehmen kann. Eine wichtige Vorbedingung, damit ich das mit dem damals winzigen Gabriel ebenso sorglos wie problemlos leben konnte.

Morgens mit einem Baby zum Einkaufen in der Stadt, da wurde freilich unübersehbar, was etablierte Rollenbilder ausmachen. Um einen Aspekt herauszugreifen: Anno 1992 waren Väter in Karenz noch eher eine Rarität. Viele Reaktionen zeigten mir, wie sehr sich Leute wundern, daß ich das überlebe, statt sich zu wundern, wie das Baby in meinen Armen jene Zeit überlebt. (Fortsezung)