Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

El Greco: Portrait der Jeronima de las Cuevas)
El Greco: Portrait der Jeronima de las Cuevas)

Atlantis: Positionsbestimmung II#

(Keine Grenzen, Grauzonen)#

von Martin Krusche

Wir Menschen sind Elemente des Ozeans, physisch zu einem großen Teil aus Wasser gemacht und voller Geheimnisse. Unsere inneren Vorgänge vollziehen sich als Stürme ganz unterschiedlicher Stoffe, befeuern zugleich den Verstand und das symbolische Denken, äußern sich als Emotionen, machen es möglich, daß wir uns mit anderen Wesen verständigen; nicht bloß mit Menschen.

Wir begegnen uns dabei nicht an Grenzen, sondern in Grauzonen. Auch Mutmaßungen sind aufschlußreich, Vergewisserung nützlich. Aber wie die Frau im Spektrum nicht sicher wissen kann, ob sie mich richtig verstanden hat, weiß ich es im Gegenzug ja auch nicht. Das handelt von den Grundlagen und Grundproblemen menschlicher Kommunikation.

Im Umgang mit neurotypischen Leuten habe ich allerhand kanonisierte Mittel zur Verfügung, um Verständnislücken zu kompensieren, soweit wir die gleichen kulturellen Konventionen kennen. So können wir uns auch in der Unscharfe noch eine Weile halbwegs sicher fühlen. Die Neurodivergenten haben diesen Komfort nicht, wenn wir miteinander zu tun bekommen. Da wären Kontext und Subtext zu lesen, paralinguistische Phänomene zu deuten, was also zum Beispiel Mimik und Körperhaltung ausdrücken.

In diesen Möglichkeiten, so habe ich es verstanden, trennt uns neurotypische Leute allerhand von jenen im Spektrum. Neurodivergente Menschen sind dafür offenbar mit anderen Strategien und Konventionen ausgestattet; wohl weil die Chance, unter uns in Verständnislücken zu geraten, markant größer ist.

Aber ändert das ganz generell was am Wesen des möglichen Problems? Derlei Unsicherheiten begleiten uns ja alle, die gesamte Spezies. Ich sehe da bloß Unterschiede in Ausmaß und Tiefe. Ich will mich nun nicht naiv stellen. Das Ausmaß der möglichen Differenzen ist mir klar, wenn nun meinem neurodivergenten Gegenüber viele Nuancen unverständlich bleiben; wie erwähnt: Subtext und Kontext, das macht die Kommunikationssituation weit anspruchsvoller, fordernder.

Aber das wäre es dann auch schon, sage ich jetzt etwas bedenkenlos. Mit wie vielen neurotypischen Menschen hatte ich schon zu tun, die auf Anhieb nicht verstehen konnten oder nicht verstehen wollen, was ich in manchen Situationen vorgebracht hab?

Ich war eben in einem Meeting, bei dem mir eine Person zum überhaupt ersten Mal im Gespräch gegenübersaß. Sie hatte sich vorab im Internet ein wenig orientiert und sagte mir offen: „Deine Texte, da habe ich mir Sorgen gemacht, ob wir uns verständigen können.“ Gelingende Kommunikation ist uns nie gesichert.

Was können alle können?#

Ich hänge an einem Satz, den ich Joseph Beuys hab sagen hören, aber ich weiß, daß er nur als Metapher taugt: „Wenn ich es denken kann, können sie es auch denken!“ Was ich damit sagen will, und das betone ich jetzt einmal nur für mich: Ich habe keinen Zweifel, daß zwischen Menschen im Spektrum und mir eine ganz erhebliche Differenz darin besteht, wie wir kognitiv und emotional durch den Alltag kommen; vor allem aber auch: was uns zur Verfügung steht, wenn wir in Irritationen oder erhöhte Streß-Momente geraten.

Wenn ich darauf verzichte, mich mit meiner Ausstattung und mit meinen Möglichkeiten über sie zu erheben, was ich für eine unakzeptable Anmaßung hielte, dann heißt das eigentlich vorerst nur: Da stehen einander bloß zwei Leute aus sehr verschiedenen Kulturen gegenüber, die immerhin einen gewissen Wortschatz der gemeinsamen Sprache teilen.

So ist es mir mit der Frau aus Atlantis ja schon ergangen. Daher hab ich sie vor unserer ersten Begegnung angerufen und gefragt: „Wie gehst du denn gerne in so eine Situation hinein? Worauf sollte ich aufpassen?“ Darauf erhielt ich eine Schilderung, wie sich so eine Begegnung für sie halbwegs annehmlich gestalten läßt und was sie an Spielraum bevorzugt, um auf Unerwartetes allenfalls reagieren zu können, ohne dabei in ein unnötig hohes Stress-Level zu stürzen.

Darunter war definitiv nichts, was ich als Mühe empfunden hätte, was mir in irgendeiner Weise belastend vorgekommen wäre. Dafür gilt dann im Grunde, was für jede meiner Situationen in menschlicher Gemeinschaft gilt, zum Beispiel bei meinem Faible für kollektive Wissens- und Kulturarbeit, aber auch in banaler Alltagsbewältigung. Wenn mir etwas leicht fällt, was wem anderen schwer fällt, dann mach ich das und hoffe, andere hielten es mit mir ebenso.