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Die Wiese#

(Ein Sturzraum meiner Gedanken)#

Von Martin Krusche#

Ich denke, das ist die einsamste Fahrverbotstafel, an der ich je vorbeigegangen bin. Nichts weist darauf hin, daß sich hier jemand mit dem Auto einen Weg bahnen möchte. Dieses Verkehrszeichen muß aus Tagen stammen, in denen die Wiese völlig anders geordnet war. Ich bin in diesen Bereich hineingegangen, weil dahinter ein mächtiger Baum liegt, den ich aus der Nähe sehen wollte.

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Er muß da schon geraume Zeit in dieser Lage sein, denn seine Äste leuchten in der Sonne wie ein bleiches Gerippe. Mit solchen Stellen rund um die Stadt geht es mir stets gleich. Wollte mich jemand fragen, ob ich ein Naturliebhaber sei, wäre meine Antwort „Nein!“, denn das kommt in meinem Selbstverständnis nichts vor.

Aber dann, draußen, egal bei welchem Wetter, erlebe ich mich als enorm anfällig für solche Passagen und bin vergnügt, mir derlei Stellen in Ruhe ansehen zu können. Es fiele mir übrigens nicht ein, mir diese Details beseelt vorzustellen. Dennoch erscheinen sie mir ähnlich allen Lebewesen, die ihre Zeit haben, die Erfahrungen machen, mitunter atmen.

Und wenn ich so im Kraut herumsteige, in den Gebüschen, manchmal an Böschungen einen falschen Schritt setze und hinschlage, wenn ich lausche, oft genug staune, dann besteht für mich kein Zweifel, daß die Erde mit uns Erfahrungen macht, was auf uns zurückwirkt.

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Wenn ich mich also auch nicht naturverbunden fühle und so gerne in mein Büro, in meine Leseecken zurückkehre, so bin ich doch diesen Verstrickungen völlig ausgeliefert. Das zu verstehen braucht jetzt nicht den Intellekt eines Nobelpreisträgers. Es teilt sich über völlig unspektakuläre sinnliche Erfahrungen mit. Man müßte geradezu ein Agent der Blödheit sein, um davon keine Vorstellung zu bekommen. Die Welt atmet uns, verwebt uns mit allem.

Landnahme#

Da ich über längere Zeit kaum für eine erwähnenswerte körperliche Kondition gesorgt habe, komme ich natürlich in manchen Abschnitten etwas außer Atem, was mich sehr langsam werden läßt. In solchen Momenten finde ich das mit dem Grundbesitz so drollig. Gehören alle Böden der Welt irgendjemandem? Und warum manche Terrains anscheinend nicht, andere so sehr? Denn das höre ich ab und zu in Debatten über die Welt: man darf doch in Besitzrechte nicht willkürlich eingreifen.

Ein amüsantes Thema, wenn wir das Zeitfenster weiter aufmachen, um zu begreifen, daß jeder König, der seinen Vasallen ein Stück Land geliehen hat, irgendwann ein bloßfüßiger Bauer war, schlauer als andere, wenn auch vielleicht körperlich nicht so gewandt. Diese strebsamen und strategisch geschickten Menschen konnten den weniger Gewitzten unter ihnen klar machen, daß es ihr aller Vorteil sei, wenn man ihnen folgte und ihnen jene Böden gegen andere Ansprüche sicherten, auf denen die Waffenträger dann das Brot der Bauern aßen, um zu gedeihen. (Ja, diesen Satz mußte ich selber zweimal lesen, um ihn bestehen zu lassen.)

Die Landnahme liegt vielfach so lange zurück, daß daraus Rechtsverhältnisse erwachsen konnten, die völlig unanfechtbar erscheinen. Ich kenne die Unruhe, wie sie sich an solchen Gedanken entzündet. Das amüsiert mich. Aber nein, ich hab keine Laune, an den Besitzverhältnissen und Rechtslagen der Republik zu rütteln.

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Doch halten wir fest, daß in Österreich rund 180 Familien angenommen werden dürfen, die adelige Vorfahren haben. Daran knüpfen sich Land- und Forstbetriebe, Flächen, Wälder… Diese Kreise zählen zu den größten Grundbesitzern Österreichs, verfügen wohl auch über annähernd die Hälfte des Privatbesitzes an Wäldern der Republik.

Jenseits dieses historisch gewachsenen Grundeigentums fächern sich vielfältige Besitzverhältnisse auf, zu denen sich bei uns jemand meist nur äußern kann, wenn eine rechtlich definierte Parteienstellung gegeben ist. Und doch ist ein Gemeinwesen mit all seinen Interessenslagen komplexer geordnet.

Besitz verpflichtet#

Ich erwähne all das bloß, weil der Adel seine Vorteile einst mit „Gottesgnadentum“ legitimiert hat, was ja ein schlaues Konzept ist, denn Gott widerspricht uns Menschen nicht. Aber zu dieser Variante des Machtanspruchs gehörte wenigstens theoretisch auch ein Ethos, der von Verpflichtungen dem Volk gegenüber handelte. Daran erinnert etwa das Sprüchlein „Adel verpflichtet“. (Seit Texte erhalten sind, kennen wir Debatten darüber, was gutes Regieren sei.)

Genau das können Sie heute noch unter Umständen von Nachfahren des alten Adels hören: Besitz sei eine Verpflichtung den Menschen, der Gemeinschaft gegenüber. Es korrespondiert übrigens mit einer verwandten ethischen Vorstellung, auf die sich heute immer noch Menschen berufen, auch in der Oststeiermark. Diese Leute sprechen vom bäuerlichen Denken. Das sei ein Denken, in dem eigens Handeln danach bemessen wird, was es an Effekten über mehrere Generationen zeigt.

Genau da hakt die Sache dann ab und zu. Dieses wohlige Gefühl, daß einen ungünstige Konsequenzen, die man eventuell selbst ausgelöst hat, nicht treffen werden. Diese lächelnd vorgebrachten Ausflüchte, wenn jemand eine Kette von Nachteilen in Gang setzt, aber selbst neckisch beiseite tritt, um einer möglichen Lawine nicht im Weg zu stehen… Kennen wir!

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Wem müßte ich denn erzählen, daß die Moral öfter keuchend zurückbleibt, wo rasanter sozialer Aufstieg Profite verspricht? Ich kann jemanden, der sich eigene amoralische Handlungen längst schöngeredet hat, mit moralischen Argumenten freilich nicht erreichen.

Worum es gerade geht? Ich denke darüber nach, daß ich mein gelegentliches Herumstreunen in Landschaften genieße, auf Territorien, zu deren Bestand ich selber ja nichts beitrage. Was spricht also dafür, dieses Verhältnis zwischen mir und diesen Terrains bewußt zu ordnen, zu überdenken?

Verhältnisse#

Wer ein Stück Natur als Eigentum betrachtet, hat es von der Natur geliehen und geht damit eine Verpflichtung ein. Zu diesem Teil kann ich inhaltlich wenig beitragen, weil ich selbst kein Besitzender bin. Dazu bleibt mir dann bloß Kolportage. Aber da ist dieser andere Aspekte, die Gemeinwesenorientierung. Welche Regeln mögen als Rechtsgut über dem des Privateigentums stehen?
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Wir wissen zumindest seit Aristoteles, weil davon Texte überliefert sind, daß man damals über das „Zoon politikon“ nachgedacht hat, das Lebewesen mit einer Neigung zum Leben in Gemeinschaft: der Mensch. Der Mensch als „politisches Tier“. Das bedarf etlicher Vereinbarungen, denn es kann nicht sein, daß einige sich über andere erheben und dabei den Zugriff auf gemeinsame Ressourcen quasi privatisieren.

Später hat Cicero in seinem philosophischen Werk „De re publica“ auch sehr detailliert darüber nachgedacht, was „Vom Gemeinwesen“ zu halten und was darüber zu sagen sei. Heute wissen wir, ohne das diskutieren zu müssen: ist die Balance zwischen Eigennutz und Gemeinsinn zu stark in Schräglage gekommen, fährt der soziale Frieden den Bach runter. Das gefährdet immer auch jene, die sich zu viel herausgenommen haben. Es ist also klug, diese Balance zwischen Eigennutz und Gemeinsinn zu beachten; und zwar für ausnahmslos alle Beteiligten.

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Aber zugegeben, ich hab gerade gar keine Idee, wie man es einer Gemeinschaft schmackhaft machen könnte, das Augenmerk auf materielle Güter eine Weile zurückzunehmen, um für die Beachtung immaterieller Güter mehr Platz zu schaffen. Mit Predigen wird’s nicht klappen, das halte ich für geklärt. Sinnliche Erfahrung der Welt gibt uns immer Auskunft, wo wir gerade stehen. Ich vermute, davon wird allemal ausgehen, was wir dann zu verhandeln wünschen, wenn im Gemeinwesen Wünsche und Ansprüche kollidieren.

Kontext#

Das ist ein Beitrag zum Projekt „Sicherungskopie“ von Monika Lafer im Gleisdorfer „Zeit.Raum“. Dort hat Lafer Ende Oktober 2021 die Episode VII eingerichtet: „Abwarten und Tee trinken“. Die hier gezeigten Fotos entstanden auf meinen Rundgängen, bevor ich mit Lafer den „Zeit.Raum“ zu bespielen begann. Diese kleine Reflexion verweist auf den Zufall, daß wir uns erst einmal unabhängig voneinander mit diesem Terrain befaßt haben. Das illustriert, was ich mir unter einem „Möglichkeitsraum“ vorstelle.