Zehn Jahre#
(Wissens- und Kulturarbeit) #
Archiv externer Beiträge, Blatt #12#
von Martin KruscheHier endet nun ein Abschnitt des Langzeitprojektes „The Long Distance Howl“, um eine andere Phase überzugehen. Im Jahr 2007 konnten wir unsere erste Kooperation mit dem Festival steirischer herbst realisieren: „Next Code: Love“ (link) Das war zugleich der Auftakt einer ungewöhnlichen Kooperation mit der Stadt Gleisdorf. Ein Modus, den es nun seit 2015 nicht mehr gibt. Von jenem Event ausgehend liegt nun praktisch ein Jahrzehnt hinter uns. Wo sind wir angekommen? Zuerst ein Blick auf größere Zusammenhänge. Da sind einige Zusammenhänge des Kunstbetriebs, die zu kennen nützlich ist, an denen wir aber nichts bewirken.
Einer dpa-Aussendung folgend titelte jemand im Magazin monopol kürzlich: „Kunst und Politik auf der Art Basel“. Sowas macht mich sofort wach. Dann lese ich: „In Zeiten politischer Erschütterungen auf der Weltbühne sind Künstler nach Überzeugung des Art Basel-Direktors Marc Spiegler wichtiger denn je.“ (Quelle)
Das bringt mich spontan zum Einschlafen. Ich Herzchen dachte ja, wir hätten die Zeit endlich hinter uns, da jemand auf Knien herumrutscht und mit treuherzigem Blick beteuert, daß Künstler für die Gesellschaft wichtig seien, ja sogar „wichtiger denn je“. Genau das, wichtiger denn je, sind dann auch die richtige Zahnpasta, die bessere Margarine und vor allem Mineralwasser mit Fruchtgeschmack; vom passenden Automobil ganz zu schweigen. Wichtiger denn je macht sich doch heute jeder, der das behauptet. Das sagt gar nichts.
Zitat: „...wie wichtig ist Kunst in aufwühlenden Zeiten? 'Mehr denn je', sagte der Direktor der Art Basel“. Das ist ja grauenhaft! Ein paar Zeilen weiter erschließt sich dieses Geschwurbel und die Katze fährt aus dem Sack: „Hier sind schon heute bedeutende Werke verkauft worden“ und es „seien gerade besonders viele Kunstinteressierte in Europa unterwegs, so Spiegler. Auf dem Flughafen Basel-Mühlhausen seien 90 Privatflugzeuge angemeldet worden.“
Wodurch wären denn nun Künstler wichtiger denn je? Der ganze restliche Text handelt nur mehr vom Business und nennt etwa dieses Detail: „Ein Gemälde von Basquiat hat bei einer Auktion gerade den Rekordpreis von 110,5 Millionen Dollar erzielt.“
Der Sender SRF hatte davor schon verlautbart: „Galeriensterben in der Schweiz“ und „Kunstbranche ist nervös“ (Quelle) Diese Ecke des Kunstbetriebs ist also derart banal marktorientiert, daß sich in Kapitalismusfragen fit machen sollte, wer dorthin aufbricht. (Neuigkeits- und Nachrichtenwert: Null!)
Das folgende Fazit begleitet uns wohl schon dreißig Jahre: „Verbandspräsident Walter hält fest: «Durch das Verschwinden der klassischen Galerien, die Künstler fördern und aufbauen, bleiben letztlich die jungen Künstler auf der Strecke. Sie erhalten immer weniger Plattformen, um ihre Arbeiten zu präsentieren.»"
Das Magazin monopol berichtete an anderer Stelle, wieder mit Berufung auf die dpa, daß es mit dem Business seit 2015 bergab gehe: „Die beiden führenden Marktberichte schätzten den Umfang 2016 zwischen 45 und fast 57 Milliarden Dollar (gut 50 Milliarden Euro).“ (Quelle)
Das sind Territorien, über die wir uns vermutlich nicht rasend viele Gedanken machen müssen, außer im Rahmen jener Reflexionsarbeit, die für unser Kunstfeld unverzichtbar ist, um zu begreifen, in welchen Zusammenhängen und Kräftespielen wir agieren.
Es muß einen auch nicht echauffieren, denn alle Arten der Distanzlosigkeit zwischen hochkarätigen Künstlern (kaum Frauen in guten Marktpositionen) und sehr reichen Menschen sind ja seit Jahrtausenden Standard. Damit deutlich wird, welche enorme Distanz und von diesen Distanzlosen trennt:
„Die renommierte Ökonomin Clare McAndrew, die 2016 von Tefaf zur Art Basel wechselte, nennt diese Zahlen: Seit etwa 2000 haben sich die Umsätze in weniger als 15 Jahren mehr als verdoppelt - von einer Delle nach der Finanzkrise 2008 abgesehen. 2014 erreichte der Markt für Kunst und Antiquitäten den Allzeitrekord von 68,2 Milliarden Dollar, unter anderem angeheizt durch China. Seitdem ist er um 17 Prozent geschrumpft, auf 56,6 Milliarden Dollar 2016.“ (Quelle)
Um diese 56,6 Milliarden Dollar in eine anschaulich Relation zu setzen, ein Vergleich mit dem 2017er Budget des Staates Österreich. Im heurigen Jahr „stehen Einnahmen von 73,16 Milliarden Euro Ausgaben von 77,46 Milliarden gegenüber.“ (Quelle)
Wir leben und produzieren hier in weit unaufgeregteren Zusammenhängen. Ich hatte nun rund ein Jahrzehnt lang die Möglichkeit gefunden, im Raum Gleisdorf mit exzellenten Leuten zu arbeiten, die vielfältig das repräsentieren, was mit gutem Gewissen der Gegenwartskunst Europas zugerechnet werden darf.
Leute solchen Formats sind eben auch bereit, hier in der Provinz in Projekte einzusteigen. Um nur einige Beispiele zu nennen, mit Edith Hemmrich und Mark Blaschitz vom SPLITTERWERK hab ich mich gerade dieser Tage wieder zusammengesetzt: (Link) Eine Notiz aus dem Jahr 2005 erinnert an ein Treffen in Gleisdorf, bei dem wir damals eine konkrete Zusammenarbeit erörtert haben, die sich schließlich in einem Projekt für das Festival steirischer herbst eingelöst hat: (Link)
Zu den fulminanten Kooperationssituationen gehört auch die Woche gemeinsamer Arbeit zu dieser Session: "Virtuosen der Täuschung Ein Einblick in das Universum der Gruppe 'Kollektive Aktionen'" (Link)
Wie ich nun auf die Spanne 1918-2018 blicke, war in eben diesem Zusammenhang 1914-2014 zu bedenken. Zu diesem Bemühen um Klarheiten über derlei historischen Zusammenhänge kamen zum Beispiel auch Selman Trtovac und Radenko Milak ins Spiel. Siehe dazu den Eintrag von 2014: (Link)
Die Gleisdorfer Administration hat ihre Unterstützung und Begleitung von solchen Prozessen, die auf ein anspruchsvolles geistiges Klima zielen, inzwischen aufgegeben; etwa zugunsten ambitionierter Bastelarbeiten, die uns stellenweise ziemlich großspurig als „weltweit einzigartig“ angedient werden.
Ich versuche zur Zeit noch, zu verstehen, welche Motive dazu führen mögen, Gegenwartskunst auf der Höhe der Zeit im Gemeinwesen wieder zur Ausnahmeerscheinung zu machen, während Arbeiten, die sich nicht einmal mit „Garten-Deko“ aus dem Baumarkt messen können, lokal gefeiert werden.
Derweil ist übrigens Radenko Milak bei der Biennale in Venedig angekommen; siehe: (Link) Dazu ein weiteres Detail, das ich übrigens sehr amüsant finde. Robert Alagjozovski war nun einige Jahre unser Projektpartner in „From Diaspora to Diversities“; siehe: (Link) Was geschah nun ein paar Tage vor unserem gemeinsamen Projektabschluß? Er wurde Kulturminister von Mazedonien; siehe: (Link)
Was ist aus all dem zu schließen? Um den überhitzten Kunstmarkt brauchen wir uns nicht zu scheren. Da herrschen Kräftespiele, auf die wir keinerlei Einfluß nehmen können. Daß eine aufstrebende Kommune relevanter Gegenwartskunst über markante Bereiche hinweg den Boden entzieht und dafür der Hobby-Liga den Vorzug gibt, darf in einer Demokratie eben sein. Möge dort verhandelt werden, was denn einer Region Zukunftsfähigkeit erwachsen läßt.
Nichts hindert uns, in Nachbarschaft zu all diesen Phänomenen jene Kultur- und Wissensarbeit zu leisten, die über Blicke in die Vergangenheit und in die Zukunft zu den aufregenden Momenten führt, bei denen genau nicht klar ist, was uns nun gegenüber steht, wohin uns diese Gegenwart führen wird...
Erstmals publiziert in der KW 25/2017 bei „1977-2014 (40 Jahre in der Kunst)“- Stoff aus Jahrzehnten (Die Archiv-Übersicht)