Volksmusik I#
(Archiv externer Beiträge, Blatt #36)#
von Martin KruscheSie denken doch nicht, die Bevölkerung der agrarischen Welt oder der aufkommenden Industrialisierung hätte damals von „Volksmusik“ gesprochen? Solche Zuschreibungen kamen aus anderen Milieus und sind ganz jung. Wer in sich Musikalität findet, wer Freude am Singen oder am Spielen eines Instrumentes hat, wer das Tanzen mag, braucht kein wissenschaftliches Personal, von dem ihm Kategorisierungen zugerufen werden.
Wir sind freilich mit solchen Einteilungen aufgewachsen. Wir haben schließlich auch herausgefunden, worin sich Geschmäcker, Klänge und Inhalte unterscheiden. In meinen Kindertagen waren vor allem einmal das E und das U zu beachten, also „ernste Musik“ und „Unterhaltungsmusik“.
Da wußte ich freilich noch nichts von Bildungsdünkeln und von Standesdünkeln. Ich hatte keine Auffassung, worin sich Heftchenroman und Bücher von Dostojewski kategorial unterscheiden. Es wurde uns reingesemmelt, daß wir „Schmutz und Schund“ meiden sollten, womit etwa Comic-Heftchen gemeint waren, die als ein Beitrag zum Untergang des Abendlandes gedeutet wurden.
Ich habe Innenansichten jener Prozesse, die bei meiner Generation in der Steiermark dazu geführt haben, auf dem Umweg über die Musiken anderer Völker das Interesse an der österreichischen, beziehungsweise alpenländischen Volksmusik zu finden.
Das wurde nicht in Konservatorien ausgebrütet und das vollzog sich abschnittweise in Konfrontation mit „traditionellen Volksmusikanten“. Wo aber in den verschiedenen Lagern die Spielfreude dominiert hat, wo folglich der Respekt vor Virtuosität möglich war, wurden auch die diversen Felder offener, fand zunehmend Austausch statt, wuchs Akzeptanz der neueren Formen.
Die Jahre, da es zum Beispiel noch ein „Bärnbacher Folkfestival“ gab („Bärfolk“), wurden von Verläufen getragen, die teilweise von der Pop-Musik zu deren Wurzeln führten, von da dann über Countrymusik, Blues, aber auch über Musiken von den Inseln (England, Irland, Schottland), von bretonischen Gefilden und anderen Weltgegenden zu den eigenen musikalischen Wurzeln. Einer dieser Prozesse ließ aus der Gruppe „Folkfriends“ die Formation „Aniada a Noar“ (= Ein jeder ein Narr) werden. Allein schon diese Namensänderung, als ein Abbild der inhaltlichen Entwicklung, markiert solche Zusammenhänge.
Wir hätten freilich bereits als Kinder mit dem in Berührung kommen können, was heute als „authentische Volksmusik“ verstanden wird. Da wären durchaus raffinierte Musiken kennenzulernen gewesen. Da hätten wir freche, rebellische, auch erotische Texte zu hören bekommen. Statt dessen wurde uns allerdings im Schatten der Unterhaltungsindustrie ein merkwürdiger „Kulturkampf“ aufgebürdet.
Wir bekamen einen sozialromantischen Schmonzes serviert, wozu man mir erst einmal jene alten Dienstboten, Keuschler, Bäuerinnen vorstellen sollte, die so was a) formuliert und b) auch gesungen haben könnten: „Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt. / Er setzt seine Felder und Wiesen in Stand. / Er pflüget den Boden, er egget und sät / und rührt seine Hände früh morgens und spät.“ In der Volksmusiksammlung der „Zeit“ heißt es, dies sei „Melodie und Text: Volkslied aus Mähren, seit 1884 nachgewiesen“. Quelle
Eine andere Quelle führt genauer aus: „’Bauernlied’ im ‚Liederbuch für die Deutschen in Österreich’, 1. u. unveränderte 2. Aufl., Wien 1884. Der Herausgeber Josef Pommer fügte hinzu: ‚Ein von der deutschen Landbevölkerung der mährischen Sudeten häufig gesungenes und beliebtes Volkslied. Eingesandt (zwischen 1882 u. 1884). vom Sternberger Männer-Gesang-Verein. Volksweise.’- Nach Georg Amft ‚Volkslieder der Grafschaft Glatz’, Habelschwerdt 1911, blieb in zehn Grafschaftsorten (z. B. in Langenbrück bis 1909) mit der gleichen Melodie das Lied ‚Nun lasset die Sorgen’ lebendig, das allen Monaten einen Vierzeiler widmete; die März-Strophe ähnelt der obigen 1. Strophe; mythologische Namen in anderen Strophen wie Philis und Damon lassen das volkstümliche, auch auf zwei Flugblättern (in Neiße bzw. Oels) gedruckte Lied als ein Kunstlied aus dem 18. Jahrh. erscheinen.“ Quelle
Da merken Sie schon, an solchen Stoffen haben bildungsbürgerliche Interessengruppen gewoben. Das handelt von Motiven, die sicher nicht im Wesen jener hart schuftenden Leute begründet lagen, welche sich die knappen Pausen der anstrengenden Arbeit auf den Feldern, im Wald oder in Industriehallen mit Sangesfreude versüßten.
Die halbseidenen Intention der Herolde des „Erbaulichen“ sind leicht zu erkennen. Das Rösslein riecht gewiß nicht so streng wie ein Gaul und lärmt auch nicht wie ein Traktor. Mit solchen Stoffen wurde Sozialgeschichte zur Sozialromantik umgekupfert. Da war viel Ideologie im Spiel, die bis heute an diesen Zusammenhängen wirkt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchsen wir 1950er Jahrgänge in einem Ausmaß an Wohlstand, Sicherheit und Freiheit auf, wie das die Menschheit zuvor noch nie erlebt hatte. Wir sind die Brut der Tyrannis, denn unsere Eltern und Großeltern haben atemberaubende Dinge getan. Wir sind Kinder einer Popularkultur, die vieles über den Haufen geworfen hat.
Erstmals in der KW 11/2016 publiziert in der Reihe „Kultur kurios“ bei „WOCHE“- Spielt’s weiter (Eine Erzählung)
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