Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!

unbekannter Gast

Dieses Jetzt ist anders#

Archiv externer Beiträge, Blatt #22#

von Martin Krusche

Manchmal sitze ich in meiner beneidenswerten und gelegentlich bedrückenden Stille mit einem brüllenden Gefühl der Ratlosigkeit. Ich bin von solchen Zuständen gebannt, weil es endlich keine Ausreden mehr gibt. Wer jetzt sich und andere hinters Licht führt, geht ein sehr hohes Risiko ein, von den Konsequenzen auch selbst getroffen zu werden.

Wer Nichtwissen für einen Makel hält, verbaut sich den Wissenserwerb. (Foto: Martin Krusche)
Wer Nichtwissen für einen Makel hält, verbaut sich den Wissenserwerb. (Foto: Martin Krusche)

Wer sich jetzt wichtig macht und die Welt zu erklären versucht, ist lächerlich. Wir müssen laufend verhandeln, was wir zu wissen glauben, müssen dessen Wirkungen im Handeln beachten; eine sehr anspruchsvolle Bedingung.

Was erleben wir, da eine ganze Gesellschaft herausgefordert wurde, über einen längeren Zeitraum sehr achtsam zu sein? Sehen wir die Wegelagerer, von denen dieser Zustand mißbraucht wird? Vermögen wir die Moraltrompeterei abzustellen, die bloß Ablenkung ist?

Manchmal zerspringe ich fast vor Neugier, welche Klarheiten hinter dem nächsten Horizont liegen mögen. Jegliche Sprücheklopferei dröhnt mit ihrem hohlen Klangbild in den Ohren. Ich möchte Gewißheit, hab stattdessen die Sicherheit, daß es sie im Moment nicht gibt. Nirgends. Um nichts.

Ich halte das aber nicht für die schlechte Nachricht, sondern für die Einladung zu einer radikalen Erfahrung. Dieser jetzige Zustand fordert die Selbstverantwortung heraus. Ich kann meine Tage gerade nur durch das absichern, was ich schon weiß, was sich bisher bewährt hat. Ich muß dabei vorsichtig genug sein, um dem Unbekannten begegnen zu können, ohne darin unterzugehen.

Als ferne Vorfahren die Bäume verließen und in die Savanne gingen, mußten sie sich anfangs ungewohnt aufrecht bewegen und neue Strategien erdenken, erproben, um ihren Gewinn an Raum und Zukunft zu überleben.

Wir durchlaufen immer wieder solche Erfahrungsangebote. Ich darf einen speziellen Vorteil genießen. In der Kunstpraxis ist genau das unausweichlich, unverzichtbar, da man sonst im Dekorationsgeschäft landet. Mir ist das Prinzip bestens vertraut.

Zugegeben, das macht mir die augenblickliche Situation mit ihren Ungewißheiten und der akuten Bedrohung meiner wirtschaftlichen Situation etwas leichter als vielen anderen Menschen, denn ich bin darin geübt.

Ich kenne das und weiß, wie die einzelnen Passagen solcher Touren zu fahren sind. Ich weiß auch, was im Detail geschieht, wenn man gegen eine Wand knallt. Da braucht man dann alle verfügbare Kraft. (Aufregung darüber ist eine Vergeudung von Ressourcen.)

Solche Kenntnisse machen es mir jetzt keineswegs angenehmer, ersparen mir auch keine Momente der Verzweiflung. Aber es hilft, diesen speziellen Punkt zu akzeptieren: Endlich ratlos! Endlich nicht mehr voller Vorkenntnisse, die einem oft den Blick auf neue Möglichkeiten verstellen, denn dieses Jetzt ist anders.

Post Scriptum: Ich halte genau das auch für den wichtigen Angelpunkt einer nächsten Kulturpolitik.

Erstmals publiziert in der KW 18/2020 im „Logbuch