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In der Unterwelt#

Archiv externer Beiträge, Blatt #30#

von Martin Krusche

Karlheinz Rathkolb, Leiter des Museums, hat laufend mit technisch interessierten Menschen zu tun. Dieses Interesse reicht quer durch die Zeiten. Dazu bietet aber auch die Gegenwart einige sehr interessante Themen. So ist in der Steiermark zum Beispiel das Thema Tunnelbau von Bedeutung, wenn auch etwas exotisch. Die steirische Tradition der Bergarbeit reicht bis in die Antike zurück. Der Erzberg, damals in der römischen Provinz Norikum verzeichnet, war die Quelle für das hochwertige Norische Eisen. Dieser geschichtliche Aspekt klingt auch begrifflich im Namen der Pferderasse des Norikers an, von dem es eine Pinzgauer-Variante gibt.

Als wäre man in einem U-Boot. (Foto: Martin Krusche)
Als wäre man in einem U-Boot. (Foto: Martin Krusche)

Sie ahnen schon, das schlägt in unserer Fahrzeuggeschichte durch. Der Steyr-Puch Pinzgauer wurde ein Riesenerfolg, der Noriker (auf VW-Basis) blieb ein Experiment. Und da wäre noch die kleinere Pferderasse der Haflinger, wovon sich der Name einer Jahrhundertkonstruktion herleitet, die man Puch-Fans nicht erläutern muß.

Nun ist Andreas Kiesling ein Haflinger-Liebhaber und -Experte. Doch er ist überdies ein versierter Techniker und der Projektleiter des Tunnelbaus, mit dem durch die Koralm eine neue Nord-Süd-Verbindung für die Eisenbahn geschaffen werden soll. Ein gigantisches Unternehmen, dank dessen wir in einigen Jahren ziemlich flott von Graz nach Klagenfurt gelangen können.

Dazu kommt, daß in einer der zwei Tunnelröhren mit ihren zehn Metern Durchmessern eine Bohrmaschine von einschüchternder Dimension steckt. Diese Monstermaschine gräbt sich jeden Tag 20 bis 25 Meter durch das Gebirge. Die mobile Anlage bringt das Abraummaterial nach hinten und die Betonelemente zur Auskleidung der Felswände nach vorne. Diese Teile großer Betonringe werden übrigens vor dem Portal in einer eigenen Anlage gefertigt.

Rathkolb hatte es für das Museums-Team arrangiert, diese Anlage aus der Nähe sehen zu können. Puch-Pilot Peter Piffl-Percevic lud zur Landpartie in seinen familienerprobten VW Bus. So ging es nach St. Paul zum Kärntner Tunnelportal. Ein Terrain nahe St. Andrä im Lavanttal. Kiesling instruierte seine Gäste bezüglich der Sicherheitsmaßnahmen, was nicht nur die Kleidung betraf, sondern auch ein kleines Ortungsgerät und einen Rucksack mit Schutzausrüstung, wie ihn jede Person aufzunehmen hatte.

Was folgte war ein ungewöhnlicher Gang, als würde man sich im Bauch eines U-Bootes umtreiben. Nachdem einen die Grubenlokomotive etliche Kilometer über eine Strecke gezerrt hatte, die einem alle Plomben im Mund lockert, waren schmale Gitter, Platten und Treppen der halbwegs sichere Boden, um auf dem Monster herumzusteigen wie eine Schar Käfer.

Das Tunnel-Taxi, kuschelig und etwas laut. (Foto: Martin Krusche)
Das Tunnel-Taxi, kuschelig und etwas laut. (Foto: Martin Krusche)
Man hat besser keine Platzangst. (Foto: Martin Krusche)
Man hat besser keine Platzangst. (Foto: Martin Krusche)
Unter der Bohrmaschine werden die Teile der Tunnelverkleidung angeliefert. (Foto: Martin Krusche)
Unter der Bohrmaschine werden die Teile der Tunnelverkleidung angeliefert. (Foto: Martin Krusche)

Hitze, Staub und Lärm mischen sich zur natürlichen Umgebung der Mannschaften, die den Betrieb in drei Schichten rund um die Uhr am Laufen halten. Kiesling erläuterte all die für Laien kuriosen Details und gab einen kontrastreichen Eindruck, welche verblüffende Komplexität in so einem Projekt abgearbeitet wird.

Das verteilt sich auf alle denkbaren Tätigkeitsbereiche, von Planungsschritten, Konstruktionsleistungen, über Maschinenbau und Erdbewegung, bis zum jahrelangen Kontakthalten mit Anrainern der Gegend, aufwendiger Logistik und gelegentlich brisanten Interventionen, um eine Krise abzufangen. Kiesling scheint so gut wir jeden der nötigen Arbeitsbereiche zu kennen. Teilweise muß zwischen Menschen vermittelt werden, deren Begegnungen in der Praxis vermutlich auf einen Kulturschock hinauslaufen, weil sie in völlig verschiedenen Lebenswelten zu Hause sind.

Andreas Kiesling (links) und Karlheinz Rathkolb. (Foto: Martin Krusche)
Andreas Kiesling (links) und Karlheinz Rathkolb. (Foto: Martin Krusche)
Der riesige Bohrkopf ist aus Sicherheitsgründen gut abgeschottet. (Foto: Martin Krusche)
Der riesige Bohrkopf ist aus Sicherheitsgründen gut abgeschottet. (Foto: Martin Krusche)

In all dem werden wohl auch politische Prozesse ihre Wirkungen zeigen, denn für so ein Unternehmen müssen enorme Geldsummen bewegt werden, die für einen Laien völlig abstrakt sind. Was die Baustelle ausmacht, die irgendwann verschwinden wird, sind so manche Entscheidungen auf eine Art zu fällen, die sich auch nach Ende der Arbeiten noch bewähren.

Und sei es bloß die Frage, was mit den zwei Trafos geschehen soll, von denen jeder etwa eine Millionen Euro kostet. Komponenten, die nötig sind, damit während der Arbeiten rund 35 Megawatt Strom bereitgestellt werden können. Zum Vergleich, für das ganze Lavanttal werden fünf Megawatt verfügbar gehalten. Der Energiebedarf ist also gewaltig.

Über all dem das Gebirge, in dem stets Bewegung herrscht. Es paßt durchaus, hier von einem Titanenwerk zu sprechen. In der Mythologie Europas bedeutete Vergleichbares, daß der Mensch die Götter herausfordert. Das ist keineswegs eine abwegige Vorstellung. Kiesling erzähle: „Früher war die Faustregel: ein Toter pro Kilometer Tunnel.“ Das hat sich heute durch Technik und Sicherheitsmaßnahmen drastisch reduzieren lassen. Dennoch bleibt klar: Unter Tage zählt der Mensch zu den bedrohten Arten. Sie werden es sich vorstellen können: wir haben uns dort vorsichtig bewegt.

Erstmals publiziert in der KW 27/2018 im „Johann Puch Museum Graz