Kontraste der Zuversicht#
(Eine kulturpolitische Debatte III)#
Von Martin Krusche#
In meinem Metier höre ich oft ein Gerede von a) Freiheit, b) Autonomie und c) Solidarität, weil es da angeblich d) eine „Szene“ gebe. Ich neige zur Ansicht, das sind inzwischen antiquierte Sprachregelungen, die wir aus den 1970ern herübergetragen haben, ohne daß sich damit der aktuelle Betrieb heute treffend beschreiben ließe. Es gehört zum sentimentalen Wortschatz eines soziokulturellen Kameradschaftsbundes.
In der Antike war einst von den freien im Kontrast zu den „knechtischen“ Künsten die Rede. Da muß man nun nicht gleich zwischen opera servilia und artes liberales zu unterscheiden wissen. Wir dümpeln notfalls in trüben Gewässern, während uns ein Echo von versunkenen Distinktionsmaschinerien noch als letzte Krücke dient.
Manchmal bleiben bloß noch Schatten infamer Zuschreibungen übrig. War da nicht kürzlich eine hierarchische Anordnung, wonach der Hackler geringer sei als ein „gebildeter Mensch“? (Ich habe erlebt, was mein Sohn unterstellt bekam, weil er ein Fabriksarbeiter wurde.)
Haben nicht immer noch manche Leute die Chuzpe, andere als „bildungsferne Schichten“ zu denunzieren? Falls an all dem etwas dran wäre, falls das so nicht der Schutt längst vollzogener tektonischer Verschiebungen in unserer Kultur wäre, wie kommt es, daß ich kaum Gelegenheit finde, über solchen Fragen eine fundierte Debatte zu führen?
Manchmal sitze ich Leute gegenüber, die mich mit ihren akademischen Titel behelligen, gerne ein paar wohlklingende Sätze raushauen, die ich leicht als hohlklingende Sätze identifizieren lassen, aber das hilft alles nichts. Wie ein versierter Automechaniker oder eine erfahrene Krankenschwester nach drei bis fünf Minuten Gespräch weiß, ob einem da ein Schwätzer gegenübersitzt oder ob jemand was zu sagen hat, so geht es mir natürlich auch in meinem Metier.
Begriffe überprüfen, neue Fragen finden#
Zugegeben, das war nun eine etwas polemische Intrada. Aber irgendwas klemmt ja in unserem Lauf der Dinge, wenn zwar die aktuellen Umbrüche unserer Zeit so massiv spürbar sind, aber in meinem Metier allerweil noch in Begriffen geredet wird, die anscheinend wenigstens 30 Jahre nicht mehr auf ihren Gehalt überprüft wurden, auf ihre Aussagekraft.Dann aber sitze ich einem altgedienten Routinier wie Franz Majcen gegenüber und wir scheinen uns einig zu sein, daß wir die Begriffe abklopfen müssen, um rauszufinden, worüber wir reden. Ich danke meiner Schicksal derzeit für jeden Menschen, der noch Fragen stellt, weil dieses ganze 2022er Jahr von Leuten überrannt wurden, die alle schon wissen, was ansteht, was fällig und was nötig ist. Ich weiß es nicht. Ich brauche erfahrene Gegenüber, die den Mumm haben, was sie alles wissen, erst einmal beiseite zu lassen.
Kennt noch jemand mein Lieblingsmantra aus den 1990ern? Mit einem gebildeten Konservativen bringe ich mehr weiter als mit einem goscherten Linken. Komisch! Das wurde mir bis heute essenziell nicht entkräftet. Ich werde noch darauf näher eingehen, weshalb ich überzeugt bin, daß ein Teil meines Milieus sich zu einer Art von Bettelorden entwickelt hat. Scheppernde Heilige, die sich mit unserer Bürokratie gutstellen, statt sich energisch dem zuzuwenden, was heute noch nicht gedacht werden kann.
Ich gehe meine Notizen noch einmal durch und fasse im Folgenden Schritt (der kommenden Notiz #4) kurz zusammen, welche Stichworte aus den vorangegangenen zwei Texten mir im Moment wesentlich erscheinen. Das meint, meine Notizen I und II zur Fürstenfelder Session enthalten eine Dichte an Stichworten, auf die ich in Notiz IV noch einmal speziell eingehen möchte.
Was man kommen sehen konnte#
Aber zuvor noch eine Anmerkung zum regionalen Status quo. Am 19.12.2022 fand in Gleisdorf eine Sitzung des Gemeinderates statt. Da konnte man unter anderem erfahren, daß alle freiwilligen Zuwendungen der Kommune an wen auch immer, soweit dazu noch keine vertraglichen Vereinbarungen bestünden, vorerst ausgesetzt würden. Das bedeutet unter anderem, ein neuer Antrag auf Kulturförderung ist derzeit aussichtslos.Das hätte man natürlich kommen sehen können, weil schon die Pandemieerfahrung ab März 2020 klar gemacht hat, daß es in vielen unserer Lebensbereiche Einbußen geben werde. Das schien mir zwingend. Unausweichlich. Der Überfall Rußlands auf die Ukraine hat diese Gewißheit noch vertieft. Kosten gehen hoch, Einnahmen gehen runter, in der Politik wird es zu weiteren Priorisierungen kommen, was den Einsatz verbliebene Ressourcen angeht.
Natürlich verlieren wir derzeit an Wohlstand und Komfort. Wer das beklagt, soll mir aus dem Blickfeld verschwinden. Andere verlieren ihre Würde, ihr Zuhause, ihr Leben, wir haben noch sehr viel Spielraum, um uns zu beklagen.
Was das alles für den Kulturbetrieb abseits des Landeszentrums bedeutet, wissen wir schon. Als 2008/2009 in den USA eine Weltwirtschaftskrise ausgelöst wurde, traf uns das spätestens 2010 mit aller Härte. An die Konsequenzen mag man sich erinnern oder auch nicht. Seit damals wären wir im Kulturbetrieb gut beraten gewesen, für derlei Phasen passende Strategien zu entwickeln. Haben wir aber nicht.
Beim Staat um mehr Geld vorstellig zu werden, ist keine Strategie. Der Welt die Relevanz des eigenen Tuns zu beteuern, ist keine Strategie. Wenn ich das Stichwort Strategie betone, denke ich an Schritte der Selbstermächtigung durch Verfahrensweisen, die der Autonomie Vorschub leisten. Autonomie bedeutet: ich gebe mir selbst die Regeln.
Das müssen wir unter uns erdenken, verhandeln, klären, innerhalb des eigenen Metiers. Von da aus kann ich mit den anderen Sektoren in Verhandlungen treten, mit Staat und Markt. Also mit a) Politik & Verwaltung sowie b) Wirtschaftstreibenden. Und das vorzugsweise nicht im Status eines Bettelordens, der sich „höheren Prinzipen“ verpflichtet sieht und daher in der Art von Priesterschaft freigestellt werden möchte. (Vorlauf: Teil II) (Fortsetzung: Teil IV)
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- Fotos: Martin Krusche