Flocke: Flamingo#
(Über Tango und „sprechende Beine“)#
von Martin KruscheIch hatte erstaunliche Eindrücke gewonnen, als ich einige grundlegende Schritte des Tangos gemacht habe. Die Caminata schafft sehr schnell Klarheit, daß hier erstens zwei Körper auf sehr komplexe Art miteinander kommunizieren müssen, um zweitens über ein entsprechendes Körper-Vokabular nach außen eine Erzählung aufblättern zu können.
Da ist ein kategorialer Unterschied gegenüber dem, was ich schon kannte. Walzer oder Polka schienen mir von vorhersehbaren Abläufen bestimmt. Das konnte ich mir mühelos aneignen. Als ich den Kolo kennengelernt habe, sah ich ein klares wie knappes Muster an Schrittfolgen, welches mir auf Anhieb als eine Überforderung erschien. Dennoch gut erlernbar.
Etwas komplexer der griechische Hasapiko, aber klar geordnet. Die arabische Dabke hab ich ähnlich gesehen, wobei ein paar bemerkenswerte Schritt-Varianten vorkamen. So oder so, es ist allemal ein Stück Körpersprache, die sich über motorisches Lernen im Muskelgedächtnis etablieren kann.
Im Kontrast dazu sehe ich den Tango als eine Erzählform, die je - nach dem Kompetenzlevel eines Paares - völlig unvorhersehbare Folgen von Figuren und Passagen nahelegt. Gleichermaßen raffiniert in den verschiedenen Tempi; bis hin zu einer Langsamkeit wie in Zeitlupe; was es nicht leichter macht. Im Gegenteil!
Dabei müssen die beiden Körper einander verläßlich mitteilen, was nun folgen wird. Ich habe feststellen müssen, daß ein Mangel an Spannkraft und Dynamik einen dabei zum Stotterer werden läßt. Ich ahne ferner, daß der Tango eine Art der raffinierten Zärtlichkeit zwischen zwei Menschen ist, weshalb man zu Bewegungsnuancen fähig sein sollte. Ich mußte mir eingestehen, daß ich derzeit keine „sprechende Beine“ habe, denn auf die kommt es sehr wesentlich an.
Wie ich mit Zunge, Mundraum und Lippen Laute bilde, um zu sprechen, müßte mein ganzer Körper Nuancen beherrschen. Also wollte ich herausfinden, was zu tun sei. Der überzeugendste Rat lautet für den Anfang: abwechselnd auf einem Bein stehen. Da wurde deutlich, was ich erst einmal gar nicht glauben wollte. Wie wackelig ich bin, was ja unübersehbar bedeutet: von schwacher Konstitution.
So hab ich erst einmal nachgefragt, was angemessen sei, was möglich sein sollte. Dabei kam ich auf den sogenannten „Flamingo-Test“. Zusammengefaßt läßt sich sagen, in meinem 70 Jahr sollte ich wenigstens 20 Sekunden stabil auf einem Bein stehen können, was (noch) nicht zutrifft.
Im Alter zwischen 18 und 49 möge eine Minute geschafft werden, von 50 bis 59 seien es mindestens 40 Sekunden. Ich bin aus der Zone mit 35 Sekunden (60-69-Jährige) nun schon so gut wie draußen, werde mir dieses Maß aber holen. Wundern Sie sich also nicht, falls Sie mich gelegentlich auf einem Bein herumstehen sehen. Und sollte ich grade umgefallen sein, verzichten Sie darauf, mit hochzuhelfen. Das muß ich natürlich selbst hinbekommen. Am besten, ohne dabei die Hände zu brauchen.
- Vorlauf: Caminata (Eine Linie von Belang)
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