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Lyrischer Wettstreit#

Kleine Anregungen #7#

von Martin Krusche

Nun endet die Einreichfrist für den 2020er Lyrikwettbewerb, dessen Ergebnisse Fokus Freiberg dann darstellen wird. Unabhängig davon lohnt es sich, das Thema ein wenig weiterzuverfolgen. Es steht außer Streit, daß Sprache unser Denken prägt, also starke Wirkung auf unser Denkvermögen hat.

Ariadne von Schirach. (Foto: Rahel Täubert, Creative-Commons)
Ariadne von Schirach. (Foto: Rahel Täubert, Creative-Commons)

Die Lyrik macht uns dazu wenigstens zwei sehr interessante Angebote. Einerseits kann der Fokus auf sprachlicher Genauigkeit und auf eleganter Komposition liegen. Man muß in der knappen Form jede Schlamperei dringender vermeiden als in der Prosa, weil Lesende schneller durch und draußen sind, wenn es im Text wo klemmt.

Andrerseits erlaubt uns die Lyrik weit mehr als große Prosa, auf gut entschlüsselbare Sätze zu verzichten. Sie können über Klang, über Rhythmus, über Zwischentöne und Widersprüchliches zu einer Erzählungen vordringen. Die teilt sich vielleicht nicht in Eindeutigkeit und Unmißverständlichkeit mit, sondern bleibt in der Schwebe Ihrer Phantasie.

Das meint, im Gedicht kann man bezüglich der Formalen Dinge nicht gut schummeln. Bei Prosa blättert man vielleicht ein, zwei Seiten weiter, wenn eine Passage lahmt, findet wieder den Anschluß. Ein Gedicht wird gleich in die Tonne getreten, wenn es zu sehr holpert.

Konzentration#

Es kann einem Spaß machen, sich solchen sprachlichen Anforderungen zu widmen. Und mehr muß das nicht können. Aber es eignet sich auch, seine Wahrnehmung mit interessanten Aufgaben zu beschäftigen. Im Buddhismus gibt es ein spezielles kulturelles Phänomen, das - mehr noch als vertraute Lyrik - zu solchen Möglichkeiten hinführt. Das Koan.

Koans sind kleine Texte oder Sentenzen, die in eine Frage münden, welche mit rationalen Mitteln nicht beantwortbar ist. Damit werden Sie aufgefordert, über den Tellerrand Ihrer vertrauten Denkweisen zu gehen.

Man könnte Koans für die Mittel einer Schule des Wahrnehmens und des Denkens deuten, wobei es verpönt ist, simple Wege zu beschreiten, geläufige Schritte zu setzen. Das hat auch in die Popkultur Eingang gefunden. Ein Klassiker unter den Beispielen für ein Koan ist die Frage: „Wie klingt das Klatschen einer Hand?“

Nun weiß jedes Kind, daß man zum Klatschen zwei Hände oder irgendeine Unterlage braucht. Welchen Sinn macht also die Vorstellung, daß man mit einer einzelnen, leeren Hand ein Klatschen und dabei ein bestimmtes Geräusch machen könnte?

Das weist in Bereiche, wo auch Kunst zu Hause ist, wo sich manche Lyrik ereignet. Aber zurück zum Popkultur-Beispiel. Der irische Sänger Van Morrison singt in „Enlightment“ („Erleuchtung“):

Chop that wood
Carry water
What's the sound of one hand clapping
Enlightenment, don't know what it is

Also: „Hacke dieses Holz. Trag das Wasser. Wie klingt Einhandklatschen? Ich weiß nicht, was Erleuchtung ist.“ Das ist leicht als eine Referenz an den Zen-Buddhismus zu erkennen. Gut, das mag manchen vielleicht etwas zu steil sein. Ich erinnere mich an meine Mühen, Zazen kennenzulernen. Das Hocken und die Anforderung, nichts zu denken, gar nichts. Es ist für mich schon beunruhigend, auch nur daran zu denken. Und genau damit wäre man bei Zazen vorerst sehr weit vom erwünschten Ziel entfernt.

Diese Aufgabe, solche Distanz zu überwinden und ein Nichts im Kopf zuzulassen, führten im Verlauf jener Woche dazu, daß die fröhliche buddhistische Nonne ihre Hand kurz auf meine legte, lächelte, und sagte: „Es ist nicht für jeden“. Aus mir konnte kein Zen-Buddhist werden. Ich blieb Lyriker. Auch gut.

Simulation#

Wer also die knappe Form lieber etwas greifbarer erlebt, findet heute mühelos allerhand Beispiele. Belangloses Verserlschmieden ebenso wie elegante kleine Texte. Ich hab eben nachgesehen. Das Internet quillt von schlechten Beispielen über. Dafür muß ich hier keine Zitate vorlegen. Sie werden es selbst leicht unterscheiden können, wenn ich Ihnen daneben ein paar feine Beispiele hinlege.

Okay, wenigstens ein Beispiel. Pawel Markiewicz schickte mir unverlangt einen Text, „den Sie gern auf Ihren Seiten veröffentlichen können“. Ich zeige Ihnen kurz, wie jemand Stil, Bedeutung und Poesie simuliert. Es ist eine sprachliche Version von „Malen nach Zahlen“. Dazu befüllt man eine Vorratskiste mit Wörtern, die man für „lyrisch“ oder „malerisch“ hält, sozusagen: Glitzer in der Tube, und fangt dann zu basteln an.

Gedicht senso stricto#

die anmutige Fee in aller Winter-Herrgottsfrühe
weint
der Winterregen in Gestalt von Zauberzähren fällt hinab
er ist in Musenträumen zu verzaubern
der Hirtenjunge hört den tränchenholden Regen zärter prasseln

die gutmütige Nixe am Weihnachtsmorgen
weint
der Winterregen in Form von Zaubertränen fällt herab
er wird in Musenseelen verzaubert
das Falknerkind probiert diese Regentropfen
(Textausschnitt)

Das ist noch nicht einmal Kitsch, sondern belanglose Wichtigtuerei, ohne jede Bedeutung und literarische Qualität. Die Schlamperei des Autors zeigt sich schon im gewählten Titel, denn die Formulierung lautet „sensu stricto“, was mit „strenger Sinn“ zu übersetzen wäre. Da mochte man Herrn Markiewicz nun im „tränchenholden Regen“ stehenlassen, um mit einem anderen Beispiel deutlich zu machen, wie schlicht und unaufgeregt Lyrisches sein kann, indem es Wirkung entfaltet.

Knappe Form#

Ich bin auf diese Autorin durch ihre Essays aufmerksam geworden. Und dann diese feinen, kleinen Zeilen bei Twitter. Ich mag die lyrischen Tweets der Ariadne von Schirach sehr. Sie können Ihnen als Exempel nützen, wie man selbst in der laufenden Alltagsbetrachtung, im Anschauen banaler Momente, durch einen minimalen Perspektivenwechsel zu Eindrücken kommt, die in einem nachklingen können.

Der enge formale Rahmen verlangt einem sprachliche Genauigkeit ab, die man während der Alltagsbewältigung sonst eher verplappern würde. Außerdem könnten Sie sich eben diese Form als Anregung nehmen, falls Sie mit dem Verfassen von Gedichten noch wenig vertraut sind. Wenn Sie sich in diesem knappen Rahmen üben, sehen Sie umgehend, was ihnen gelungen ist, was schiefging. Es sollte kein großer Trennungsschmerz entstehen, wenn man untaugliche Textchen verwirft. Hier drei Beispiele für gelungene Stücke.

  • „Schon recht warm/Die Vögel schweigen/In ihren Nestern/In den Zweigen“ (Quelle)
  • “Morgenfrische/Müllabfuhr/Von Regen heute/Keine Spur“ (Quelle)
  • “Wie es regnet/Schüttet, gießt/Und der Boden/Still genießt“ (Quelle)
Sie finden bei Laune mehr unter den angebenden Links im Twitter-Account der Ariadne von Schirach. Übrigens! Lassen Sie sich nicht täuschen! Was so leicht wirkt, ist für Ungeübte nicht leicht. Denken Sie etwa an das Geigenspiel. Nur Virtuosen können einem damit den Eindruck von Leichtigkeit bieten. Aber wenn Sie konsequent loslegen, das könnte jeden Tag so ein kleines Stück ergeben, bin ich sicher, nach einem Monat stellen Sie an sich fest, daß sich im Umgang mit derlei Texten etwas verändert hat.