Die spinnt!#
(Andrea Habeler. Eine Intrada)#
Von Martin Krusche#
Das sind so Sätze, mit denen man mich neugierig machen kann: „Mir fallt grad auf, dass bei mir in jedem Winkel Projekte herumliegen.“ Oder so einer: „Ich denk, das beginnt einfach mit der Faszination Handwerk. Das kann man machen, das muss ich probieren! Motto: Verwend deine Händ!“
Und weiter? Eigentlich ganz simpel: „Ziel ist es, die Wolle zu einem Faden zu verdrehen.“ Das klingt weit einfacher als es für Ungeübte ist. Da geht man natürlich nicht gleich an eine Maschine. Andrea Habeler: „Es wird immer noch mit der Handspindel begonnen, um einmal ein Gefühl dafür zu bekommen.“
Schließlich: „Die erste hab ich mir selber gebastelt. Aus dem Teil einer Vorhangstange. Dann dieses Teil, das verhindert, dass was runterrutscht, eine Dübelstange und ein Hakerl.“ Klar? Klar! Nein, nicht wirklich. Also bitte etwas genauer!
Habeler: „Auf die Idee zu spinnen bin ich kommen als wir damals den alten Hof samt einem Hektar Grund gekauft haben. Gras vertilgende Tiere waren dazu eine Überlegung. Nach einer ersten Recherche mußte das natürlich sofort ausprobiert werden. Wolle hatte ich daheim, eigentlich zum Filzen. Wie erwähnt, aus dem Ende einer Vorhangstange, einer Dübelstange und einem kleinen Schraubhakerl hab ich noch am selben Abend meine erste Handspindel gebastelt.“
Das Flügelspinnrad#
Da ich auf diesem Gebiet unbedarft bin, hätte ich Habelers Maschinchen eher für ein folkloristisches Souvenir gehalten. All das Gedrechselte. Ein dekoratives Stück aus der inszenierten Volkskultur, das man kauft, wenn man etwas sentimental ist und zuhause genug Platz hat. So wie ich zum Beispiel in Bosnien nach dem Krieg beeindruckende Vasen gesehen habe, üppige Treibarbeiten, die aus den leeren Hülsen von abgefeuerter Artilleriemunition gefertigt worden waren.Knapp vorbei ist eben auch daneben. Das Spinnrad, mit dem Andrea Habeler arbeitet, ist ein Kromski Polonaise. Die sehen so aus und sind für den Dauerbetrieb über Jahrzehnte gemacht. Das ist ein schöner Beleg, wie Menschen manchmal ihre Werkzeuge über praktische Funktionen hinaus mit anderen Qualitäten ausstatten. Es geht dabei zum Beispiel um Ästhetik. Das Wort haben wir aus dem antiken Griechenland: Aisthesis ist die Wahrnehmung.
Was nun die Ausführung dieses Spinnrades angeht, mußte ich erst recherchieren. Wenn man den sozialgeschichtlichen Rang des Maschinchens bedenkt, die Lebenszusammenhänge, in denen es sich über Jahrhunderte entwickelt hat, bekommt das schmucke Aussehen Sinn; als ein Glanzstück in eher dunklen Stuben, die von einem meist kargen Leben gebeizt waren.
„Inspired by a wheel style that is richly rooted in the beginnings of spinning wheel history, the Polonaise was masterfully designed and engineered with longevity in mind. This enticingly beautiful wheel, a traditional Norwegian style design, captures the fashion and refinement of wheels historically found in the Baltic areas of Poland and the Scandinavian Peninsula.“ (Kromski & Sons, North America)
Aber was und wie?#
Als ich nun Andrea Habeler ein wenig auf die Finger schauen konnte, fiel mir auf, was dieses Spinnrad für ein raffiniertes Konzept hat. Wir neigen dazu, für simpel zu halten, was uns selbstverständlich zur Verfügung steht. Wir neigen dazu, „Ja eh!“ zu sagen, wenn wir taugliche technische Lösungen sehen. Wer selbst dem Handwerk eher fern steht, kann ja leicht darauf verzichten, diese Komplexität zu erkunden oder wenigstens zu durchdenken. Komplexität, die man bewältigen muß, um Problemlösungen zu finden, die sich in der Praxis langfristig bewähren.Denken Sie nur an unsere Fahrräder. Ja eh! Wir wissen doch, wie Fahrrad geht. Jedes Kind weiß das. Es war aber ein weiter Weg, bis erfahrene Handwerker und Tüftler vom Laufrad zum Tretkurbelrad fanden, zum Highwheeler und schließlich zum Kreuzrover, um endlich den Diamantrahmen zu ersinnen, der dem Tretlager in der Fahrzeugmitte genug Stabilität gab und die Muskelkraftübertragung auf das Hinterrad sehr effizient gestaltete.
Voila! Das Safety. Das Sicherheitsrad, mit dem man nicht mehr so leicht stürzte wie mit einem labilen Penny Farthing. Dabei könnte einem überdies auffallen, daß die Zahnräder praktisch Kränze von Hebeln sind. Daher kann durch die Übersetzung das von Archimedes in der Antike beschriebene Hebelgesetz zur Wirkung kommen. So wird die Ausbeute an Muskelkraft in ihrer Wirksamkeit erhöht. Tretkurbel, Übersetzung, Kraftregulierung durch Stellschrauben, derlei können Sie dann aber auch an einem Spinnrad entdecken.
Handfertigkeit und Virtuosität#
Wenn man sich überdies ein Bild macht, was an Koordination zwischen Auge, Hand und Fuß nötig ist, um gute Fäden zu erzeugen, dann ahnt man, welche Art Maschinchen das eigentlich ist, womit jene weit ältere Arbeit erleichtert und in ihrer Effizienz erhöht werden konnte. Habeler: „Eine der älteren Kulturtechniken. Nomaden haben schon im Gehen gesponnen.“Das liefert der Blick auf dem Zeitpfeil in Richtung Vergangenheit; also nach hinten. Nach vorne gesehen führt das beispielsweise zur „Spinning Jenny“ und zu den großen Mechanisierungsschritten der Ersten Industriellen Revolution. Es führt zu den Weberaufständen, den sozialen Unruhen, den bedeutenden Umbrüchen in den Produktionsweisen, aber auch zu den Wurzeln des Industriedesigns, der stellenweisen Entlastung von körperliche Schwerarbeit etc.
Nun zeigt sich vor genau diesem Hintergrund, bei dieser Entwicklung, daß wir gute Gründe haben, billige Massengüter aus der Massenproduktion auch daraufhin zu überprüfen, was uns durch solche Annehmlichkeiten genommen werden kann. Ich lasse hier beiseite, daß etwa die enorme Produktions- und Wirtschaftsmacht Chinas das Potential hat, Europa zu einer chinesischen Kolonie werden zu lassen. Ich bleib bei folgendem Aspekt…
Der Rang von Handfertigkeit#
Handfertigkeit nützt uns nicht bloß, um Dinge zu produzieren und zu warten. Sie ist auch der Angelpunkt einer Reihe kognitiver und physiologischer Vorgänge, die einem Menschen gut tun; mehr noch, mit denen die Conditio humana permanent gepflegt und stellenweise weiterentwickelt wird.Wir kennen einerseits die Debatten auf der Metaebene, welche thematisch vom Homo faber bis zur Vita activa reichen. Wir finden anderseits leicht die Qualitäten, die uns Menschen mit hohem handwerklichen Geschick bieten.
Das sind nicht bloß Qualitäten der Güter und Gegenstände. Dabei zeigen sich auch soziale und kulturelle Qualitäten. Als ich mit Fotograf Richard Mayr begonnen hab, das Projekt „Funkenflug“ zu konzipieren, sind wir losgezogen, um solchen Zusammenhängen nachzugehen und Menschen zu begegnen, die markante Kompetenzen haben.
Wir sind in der Sache noch nicht lange unterwegs und schon verdichten sich die Querverbindungen. Als wir jüngst mit Alois Siegl nach drei Ländern sahen, von Österreich aus nach Ungarn und Slowenien, habe ich das Thema „Raumüberwindung“ (Kontext Grenzen und Überfahrten) notiert.
Dabei konnte ich mir unter anderem die Werkzeuge und Vorrichtungen einer Seilerei näher ansehen. Das liegt von den Prinzipien her recht nahe am Spinnen, ist aber erkennbar etliche Nummern größer. Sie sehen, wie all diese Themen ihre Schnittstellen haben, an denen sie in andere Bereiche führen.
Das noch beachten und betrachten zu können, auch in seinen sinnlichen Dimensionen, ist sicher nützlich, wo wir längst in der Vierten Industriellen Revolution angelangt sind, was bedeutet: in ein nächsten, sehr radikalen Automatisierungswelle. Haben wir aus den europäischen Weberaufständen vom 14. bis ins 18. und 19. Jahrhundert etwas gelernt, um mit heraufdämmernden Konflikten ähnlicher Art besser zurechtzukommen?
- Fotos: Andrea Habeler
- Funkenflug (Eine Erkundung)