Raumüberwindung#
(Kontext Grenzen und Überfahrten)#
von Martin KruscheAuf meiner Fahrt mit Fotograf Richard Mayr und Musiker Alois Siegl sah ich etliche Objekte, die Grundlagen der Raumüberwindung ausgemacht haben, bevor es Kraftfahrzeuge gegeben hat. Ich fasse das hier ein wenig zusammen, denn wir leben immer noch mit Menschen, die in ihrer Kindheit gesehen haben, daß Ochsengespanne einen Fahrzeug-Standard darstellten und Pferdefuhrwerke nur für bessergestellte Leuten verfügbar waren
Diese zeitliche Nähe zur alten agrarischen Welt ruft in Erinnerung, welches Entwicklungstempo sich nach dem Zweiten Weltkrieg entfaltet hat. Im slowenischen Schloß Grad fand ich eine Stellmacher-Werkstatt eingerichtet. Das betrifft den Wagenbau und die Herstellung von Rädern.
Sie sehen hier rechts ein Wagen- Chassis vom Heck her. Am oberen Ende, im Hintergrund, der Drehschemel zum Lenken der Vorderachse. Im oberen Drittel des Chassis ist das Reibscheit gut erkennbar, das den Drehschemel beim Schwenken gegen den Langbaum abstützt.
Vor den Kutschen#
Ursprünglich mußten die Menschen ihre Lasten tragen. Die Ladekapazität ließ sich schließlich durch eine simple Konstruktion erhöhen: Stangenschleifen. Das bedeutet, zwischen zwei dreieckig gespreizten Stangen, konnte eine Ladefläche genutzt werden. Das ließ sich später mit domestizierten Tieren kombinieren. Hunde, Rinder und Pferde sind gut geeignet, Stangenschleifen zu ziehen.Die älteste Rad-Achsen-Kombination, von der wir bisher wissen, wurde im heutigen Slowenien gefunden, in einem Moor nahe Ljubljana. Es heißt, daß Menschen zwei Scheibenräder mit einer Achse an so einer Stangenschleife befestigt haben und damit einen schlichten Karren schufen.
Vom Stellmacher kamen freilich auch allerhand hölzerne Gebrauchsgegenstände und Werkzeugteile, die man zur Alltagsbewältigung brauchte. Diese Kompetenzen werden heute noch vielfach benötigt, etwa beim Restaurieren von alten Automobilen, von denen etliche eine mit Blechen beplankte Holzkarosserie haben.
Przewalski-Pferde#
Aber ich greife vor. Eine besonders schöne Begegnung hatte ich auf unserer Fahrt schon in Ungarn. Dort hab ich zum ersten Mal reale Przewalski-Pferde gesehen. Es heißt, das sei die einzige europäisches Wildpferderasse, die bis heute überlebt hat. (Fachleute debattieren da noch, für mich ist das unerheblich.)Ich sehe diese stämmigen Tiere als die ältesten Art jener Wesen, durch die menschliche Kultur in über fünftausend Jahren der Koexistenz sich radikal verändert hat. Der „Kentaurische Pakt“ ermöglichte unserer Spezies völlig neue Formen der Raumüberwindung. Und durch den Fahrzeugbau wurde der „Hafermotor“ zum lebhaften Teil einer enorm leistungsfähigen Hybridmaschinerie.
Am Rande des sehr weitläufige Geheges war ich mit meiner kleinen Kompaktkamera naturgemäß schwach aufgestellt. Die Tiere befanden sich weit weg. Eines der Pferde stand bei den Wisenten, die dort auch leben. (Das sind etwas kleinere europäische Verwandte der amerikanischen Bisons.) Da ist Richard Mayr als Profi natürlich im Vorteil gewesen.
Schließlich war eines der Pferde so freundlich, zu mir herüberzukommen. Ich bin in solchen Momenten stets gelaunt wie ein staunendes kleines Kind. Es verblüfft mich jedes Mal, wenn so ein Wesen sich in meine Nähe begibt und da eine Weile aufhält. Ich hatte auf Tour mit Mayr einen ähnlichen Moment; siehe: „Trakehner“ (Und was sonst noch zu notieren war)!
Alois Siegl brachte uns unter anderem auch nach Neumarkt an der Raab, wo ein sehenswertes altes Ensemble steht; als Teil eines Künstlerdorfes. Dort fand ich das robuste Exemplar des Fernitzer Pfluges. Der Dorfschmied Pangratz Fuchs aus Wagersbach hatte diese Innovation einst erdacht: den Messersech, der wie eine Klinge vor der Pflugschar am Grindl befestigt ist und die Effizienz des Pfluges erhöht. So ging es etwas flotter über die Felder.
Im Őrségi-Nationalpark bekam ich dann noch was zum Grübeln. Ist es eine Presse oder ein Radbock für sehr große Werkstücke? (Die Backen sind verstellbar, vielleicht um unterschiedlich große Räder einspeichen zu können.) Ich durfte jedenfalls annehmen, das Teil sei dem Wagner-Handwerk zuzurechnen. Aber so eine wuchtige Version hatte ich nie zuvor gesehen. Ich dachte zuerst etwas umständlich: eine Vorrichtung, um Achslager in die Naben der Wagenräder zu pressen. Aber das war wohl zu „modern“ gedacht. Nein, es ist eine Ölpresse.
Ich hatte das vorhandene Schildchen fotografiert und hieb zuhause die Worte bemüht in die Tastatur. Versuchen Sie das ruhig mit beliebigen ungarischen Textstellen. Das lehrt Demut. Man muß mit einiger Geduld vorgehen, weil sich derlei Worte nicht so leicht merken lassen, denn sie sind ohne Referenzpunkte in irgendeiner mir vertrauten Sprache.
Immerhin klingt es exotisch und ich hoffte, genauere Auskunft über den Apparat zu bekommen, wenn ich die Zeile mit der Übersetzungssoftware schreddere: „Az itt lathato tölmagoplajütö pres kezelese a latogatok szemara tilos“. Es kam aber bloß eine strenge Mahnung heraus: „Die Nutzung der hier gezeigten Eichenpresse ist Besuchern untersagt“. Okay, danke, ich weiß, das ist eben in Museen so.
Am Ende dieser Bilderserie sehen Sie übrigens einen handlichen Kutschentyp, der etwa dem entspricht, was einst quer durch Mitteleuropa als „Steirerwagerl“ bekannt war. Ich zitiere dazu Fachmann Carl Gustav Wrangel aus dem Jahr 1898: „Wie leicht und praktisch die Kutschier-Phaëtons und Dog-Carts aber auch sein mögen, auf holperigen Waldwegen und im Gebirge wird sich der Sporting-Gentleman doch gerne eines niedrigeren, weniger eleganten Fuhrwerkes bedienen.“ (Siehe dazu meine Notiz „Das Steirerwagerl“!)
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