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Filmstill aus „Die Partisanen der Eisenstraße“ von Fritz Aigner
Filmstill aus „Die Partisanen der Eisenstraße“ von Fritz Aigner

Gedenken: Was zu tun!#

(Einen Ausgangspunkt zu markieren)#

von Martin Krusche

Es ist ein Wort von erheblicher Bedeutungsschwere, auf vielfältige Art befrachtet: Gedenken. Wie verlockend, es als einen prominenten Containerbegriff zu benutzen, der dann – anlaßbezogen – recht beliebig befüllt werden kann. Wir haben nun 2025. Es ist naheliegend, über Europa nachzudenken.

In dieser Welt sind die Länder wie ein Mobile miteinander verknüpft. Egal, wo jemand einen größeren Effekt zur Wirkung bringen kann, es rührt sich das ganze Gefüge und es kann sich am anderen Ende des Vernetzten ein Ausschlagen des ursprünglichen Effektes zeigen.

Verhält sich das mit der Tiefe der Zeit, mit unserer Geschichte, ebenso? Geschichtsbetrachtung hat als kulturelle Praxis zentral mit dem Erinnern und dem Vergessen zu tun. Und mit der Deutung von verfügbaren Quellen. Aber! Nachdenken über Europa…

Als der Dreißigjährige Krieg den Kontinent radikal verändert hatte, war der Westfälische Frieden ein markanter Prozeß, in dem seine Neuordnung verhandelt und festgelegt wurde. Als die Napoleonischen Kriege geschlagen waren, Europa dadurch völlig verwandelt, wurde der Wiener Kongreß zum Rahmen der nächsten Neuordnung.

Als nach dem Großen Krieg die Waffen schwiegen, waren es die Verhandlungen in Versailles und Saint-Germain, durch die Verhältnisse in unserem Lebensraum neu festgelegt wurden. Diese Kräftespiele gerieten zu so manchem Vorwand, den Zweiten Weltkrieg loszutreten.

Dessen Ende hatte eine sehr komplexe Situation zur Folge, weil Europa inzwischen sehr wesentlich aus industrialisierten Nationalstaaten bestand, die Feudalzeit mit ihren Dynastien völlig abgeräumt war. Dafür gab es zwei atomar hochgerüstete „Supermächte“, zu denen China damals noch nicht zählte; was heute fundamental anders ist.

In diesem gewaltigen Transformationsprozeß zur Mitte des vorigen Jahrhunderts ist der 8. Mai 1945 eine bedeutende Markierung. Darauf konzentrieren wir – Regisseur Fritz Aigner und ich – uns heute mit der Frage, welche individuellen Konsequenzen derlei Geschichtskenntnisse nahelegen. Da wir davon wissen, was bedeutet das?

Dieser 8. Mai 1945 steht symbolisch für die enorme Anstrengung, das höchste Organisationsniveau der Menschenverachtung abzustellen und neue Regeln zu etablieren. Wanken diese Übereinkünfte heute?

Da reicht es Aigner und mir nicht, uns ein dahingesagtes „Nie wieder!“ abzuringen. Wir debattieren die Möglichkeiten der individuellen Konsequenzen, die nicht davor einknicken, daß eine Einzelperson auf ein System kaum merkbar einwirken kann. Jedes System ist die Folge von individuellen Entscheidungen und Handlungen konkreter Personen.

Was immer dann an Dynamik entstehen mag, es obliegt erkennbaren, benennbaren Individuen, darauf handelnd zu reagieren und etwas zu Kursänderungen beizutragen, wenn die Menschenwürde zu unterliegen beginnt. Keine große Pose, sondern erst einmal eine Reihe von persönlichen Verständigungsschritten. Teils im Privaten, teils im Rahmen eines öffentlich wahrnehmbaren kulturellen Vorhabens.

Wir sind uns einig, daß wir in solchem Begehren keinesfalls auf Geschichtskenntnis verzichten können, um uns zu orientieren und unsere Kriterien zu justieren. Aber der Erwerb von Geschichtskenntnis ist noch nicht jenes Handeln, das ich vorhin erwähnt habe. Es ist bloß ein Beitrag, um handlungsfähiger zu werden.

Aigner und ich haben nun also Schritte gesetzt, für unserer Wissens- und Kulturarbeit eine vertretbare Praxisform zu erschließen, die über gängige Arten der Erinnerungsfolklore hinauskommt. Das bedarf erst einmal weiterer Debatten mit sehr unterschiedlich orientierten Menschen. Die Erkundung hat begonnen.