Gedenken: Vom Frieden zum Krieg?#
(Zum Abend im Kino)#
von Karl BauerNach dem Zerfall der Sowjetunion und des Warschauer Paktes und dem Fall des “Eisernen Vorhangs” war Europa plötzlich orientierungslos und hoffte auf den Beginn eines ewigen Friedens. Die Heere wurden abgestockt, Kompetenzen und Fähigkeiten gingen verloren, die Wehrpflicht in Frage gestellt und der Wehrdienst samt Miliz randomisiert. Der Zerfall Jugoslawiens mit seinen Folgekriegen war bereits ein Ausblick auf die mangelnde sicherheitspolitische Gestaltungsfähigkeit in Europa.
Mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine (Krim, 2015) hat sich diese Beurteilung aber erst ab dem Jahr 2022 (Angriff Russlands auf die gesamte Ukraine) völlig verändert und im Westen am Ende des ersten Viertels des 21. Jahrhunderts eine “Zeitenwende” ausgelöst, die “Friedensdividende” war aufgebraucht. Der Vorstellung der Österreichischen Sicherheitsstrategie, des Risikobildes 2024, des Weissbuchs der EU und dem Aufbauplan 2024 folgen leider noch wenig Betroffenheit und konkrete Antworten.
Die dafür zuständige Bundeskompetenz wird fernab in den Ländern und Gemeinden, aber auch in Schulen und der Wirtschaft kaum antizipiert, da alltägliche Probleme im Vordergrund stehen. Nicht nur das beamtete Bundesheer samt seiner schwindenden Miliz - auch die österreichische Bevölkerung muss “kriegstauglich” werden und die Ernsthaftigkeit der geostrategischen Lageentwicklung erkennen! Hybride-, Cyber-, Terror- und subversive Angriffe werden heute mit Kriegsszenarien verglichen. Leider werden diese Szenarien als “abstrakt” zur Seite geschoben, weil wir sie uns in unserer Wohlfühlgesellschaft nicht vorstellen können - und wollen.
“Wisst ihr denn nicht, wie kostbar der Friede ist?” (ehemal. Landtagspräsident Franz Wegart)
Jedem von uns muss im militärischen Ernstfall (“Schießkrieg”) klar sein, auch selbst betroffen zu sein, sei es als Soldat oder als Zivilist. Soll man kämpfen oder flüchten? Das derzeitige Personalproblem des Bundesheeres durch Werbung und Attraktivitätssteigerung zu lösen ist gut, hat aber seine Grenzen, wenn am Ende ein Kampfeinsatz steht. Mit Blick auf aktuelle Lagebilder von Kriegsschauplätzen bin ich aber nicht der Meinung, als Zivilist dort sicherer zu sein! Und wenn sogar der ehemalige Vizekanzler Werner Kogler im Ernstfall eine Waffe in die Hand nehmen würde, hat die Gewaltfreiheitsbewegung der 80er Jahre endgültig ausgedient. Als Soldat muss ich aber darauf vertrauen können, gut ausgebildet zu sein, mein Gerät zu beherrschen, mich in der Gruppe und am Gefechtsfeld richtig (und v.a. rasch) zu bewegen, und bei Verletzung eine rasche Sanitätsversorgung zu bekommen. Dabei geht es weniger um Massen an Soldaten (wie zur Zeit der Raumverteidigung), sondern um deren Qualität, Ausrüstung (Selbstschutz) und Bewaffnung (Technik) und den damit verbundenen Fähigkeiten. Neue Herausforderungen wie die Bekämpfung von Drohnen (evtl. mit “kampfwertgesteigerten Schrotflinten”) oder die Reduzierung eigener Signaturen aufgrund neuer Aufklärungstechniken müssten bereits heute im Grundwehrdienst vermittelt werden.
Soldatische Qualität = Motivation x Wissen x Technik (Selbstschutz + Aufklärung + Waffenwirkung)
Bisher ging man global nur vom Einsatz ballistischer Raketen aus. Wenn ein Marschflugkörper oder eine Drohne auf Österreich gelenkt wird oder sich “verirrt”, können wir sie derzeit nur erkennen (“Goldhaube”), aber nicht bekämpfen und sind ohne “Skyshield” hilflos und unsere Neutralität wertlos. Eine Abwehr könnte nur durch die uns umgebenden NATO-Staaten erfolgen, die aber keine Verpflichtung dazu haben. Wir könnten zwar mit militärischer Hilfe unserer EU-Partner rechnen, wie auch wir uns dazu anderwärtig verpflichtet haben und selbst bereit sind, einen ernstzunehmenden Beitrag zu leisten.
Die Ukraine zeigt uns gerade, dass nicht das gesamte Staatsgebiet ein direkter Kriegsschauplatz ist und in den nicht betroffenen Teilen das tägliche zivile Leben weitergeht. Soll ich mir in Graz einen Schutzraum ausbauen oder lieber ein Wochenendhaus in Vorarlberg kaufen? Die bisher durchgeführte Luftraumüberwachung muss zu einer landesweiten Luftraumverteidigung ausgebaut werden. Die eigene Aufklärung muss in der Lage sein, elektronische Echtzeit-Lagebilder zum Schutz der Truppe und der kritischen Infrastruktur zu liefern.
Damit will ich nicht als Kriegstreiber dastehen, aber schon die Lehre aus den Balkankriegen hat ergeben, dass es in Mitteleuropa - trotz Humanismus und Aufklärung - nach wie vor zu grausamen Vernichtungskriegen (“worst cases”) kommen kann, die weder die Infrastruktur noch die Zivilbevölkerung schonen. Die derzeitige Praxis zeigt auch, dass die UNO, die OSZE oder das Völkerrecht darin de facto keine Rolle spielen und sich die USA aus Europa zurückziehen werden.
“Nach Clausewitz ist der Krieg die Fortsetzung der Politik, heute ist es dringend notwendig, dass die Politik die Fortsetzung des Krieges ist!” (Brigadier Heinz Zöllner, Militärkommandant von Steiermark)
Nach dem aktuellen Friedensplan von US-Präsident Trump soll die Ukraine auf die eroberten russischen Gebiete (Krim) verzichten. Das würde gegen die vertragliche Unveränderbarkeit der Grenzen verstoßen, wie sie dem Völkerrecht zugrunde gelegt ist und massive internationale Auswirkungen haben. Am Beispiel Ungarn gibt es eine Vielzahl lodernder Konflikte an den Staatsgrenzen, da in jeder Himmelsrichtung in den benachbarten Regionen der Nachbarstaaten ungarische Minderheiten leben. Ähnliches könnte folglich dann auch am Balkan, in Afrika, usw. gelten. Gilt nun wieder das Recht des Stärkeren?
Ich habe einen offenen Krieg zum Glück - wie alle anderen österreichischen Soldaten auch - nach einer bisher 80-jährigen Friedenszeit nie erleben müssen und hoffe dies auch für meine restlichen Jahre. Ich bin mir aber nicht mehr sicher, dass auch meine Kinder in Friedenszeiten leben werden - und kann es für meine Enkelkinder noch weniger voraussehen! Unser derzeitiger Wohlstand, Sicherheit und Gesundheit haben Eines gemeinsam: Zu Abstrichen sind wir nicht bereit, und erst bei deren Absinken wird uns ihr Wert bewußt, solange wir den Staat auf höchstem Niveau als Dienstleister benutzen. Trotzdem gibt es heute eine Orientierungslosigkeit um die Folgen des Klimawandels und Ängste um die demokratische Freiheiten und persönliche Sicherheit.
“Wenn die Politik von Enkeltauglichkeit redet, sollte dies auch im Kontext der nationalen Sicherheit sein.”
Wie sollen wir nun mit diesen Ängsten umgehen? Sollen wir in Klimawandelanpassungs- oder in Sicherheitsstrategien investieren? In diesem “postfaktischen Zeitalter” (n. Herwig Münkler) ist es umso wichtiger, resilient zu bleiben und die staatlichen Institutionen und demokratischen Vertretungen auf allen Ebenen zu stärken und die militärische Landesverteidigung als letzte strategische Reserve der Republik auszubauen.
Die EU hat nach den Wahlen 2024 eine neue Kommission gewählt, der Rat und das Parlament wurden neu besetzt. Nach den Wahlen in den USA, dem Krieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen auf die Welt kommt es umso mehr darauf an, die EU als Welt-, Friedens- und Wertegemeinschaft auszubauen und an weltpolitischem Gewicht zuzulegen, was mit hundertprozentiger Zustimmung ihrer 27 Mitgliedsstaaten immer langsamer und schwieriger wird. Einzig die Agrarpolitik ist voll harmonisiert, d.h. sie wird in Brüssel beschlossen und in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt, woraus sich auch der bei weitem größte Budgetansatz ergibt. Europa ist aber größer als die derzeitige EU, deshalb ist auch die Weiterführung des Integrationsprozesses wichtig. Die Schweiz, Norwegen und der Westbalkan sind noch offen bzw. werden verhandelt, Grönland wird von den USA “umworben” und Großbritannien ist seit dem Austritt in einer Krise, Ungarn fraglich.
Dem seinerzeitigen “Niemals wieder!” müssen wir im heurigen Jubiläums-, Erinnerungs- und Gedenkjahr in Europa ein “Was Tun!?” entgegensetzen, um Ersteres für die Zukunft zu erhalten. Umso wichtiger ist es heute, die liberale Demokratie und ihre Institutionen zu stärken, auf die Menschenrechte und das Völkerrecht zu achten, unsere Kultur zu schätzen, eine zeitgemäße Neutralitätspolitik zu betreiben, die Umfassende Landesverteidigung wiederzubeleben und die Aufwuchszeit zur Krisen- und Kriegstauglichkeit zu nutzen, um für den Tag X gerüstet zu sein. Die Offiziersgesellschaft Steiermark wird sich weiterhin dieser Themen annehmen und versuchen, sie breit in der steirischen Bevölkerung zu verankern, auch wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit gering ist, denn: Der Erhalt des Friedens ist unser größtes, mittel- bis langfristiges Risiko, ohne dem alles Andere wertlos ist. Dazu gibt es eine einfache Formel ...
Frieden = Freiheit X Sicherheit!
... mit einer sehr einfache Frage: WAS sind wir bereit, in unsere Freiheit und Sicherheit zu investieren?
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