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Martin Krusche als Soldat der Republik, in einer Pose, wie sie durch Literatur und Kino angeboten wird.
Martin Krusche als Soldat der Republik, in einer Pose, wie sie durch Literatur und Kino angeboten wird.

Gedenken: Mars#

(Kulturgüter)#

von Martin Krusche

Identität ist ein Flickenteppich von Narrativen, wo sich an manchen Stellen etwas überlappt, an anderen etwas verzahnt. Nach Jahrzehnten läßt sich das im Rückblick ganz gut lesen und entschlüsseln.

Es nützt dabei sehr, die eigene Kultur zu kennen, um besser zu sehen, was private, familiäre Prägungen sind, was Kulturgut aus größeren Zusammenhängen ist, und wo man von der Propaganda einer vorherrschenden Männerkultur beeinflußt wurde.

Ich neige heute zur Ansicht, daß mein ganzes Leben von einem Ringen um Klarheit ist, was mir an Rollenbildern von außen angedient, vielleicht auch unterschoben wurde, und was dem gegenüber meine eigene Wünsche sein könnten. Aber möglicherweise ist das untrennbar. Möglicherweise sind das bloß verschiedenen Komponenten eines durchgängigen Prozesses, eines Daseins.

Mit welchen Symbolen wurde meine Existenz belegt? Welche Erzählungen bieten mir Schnittpunkte an, auf die ich mich bequem einlassen könnte? Welche Art der Autorenschaft würde mich dazu befähigen, daraus meine eigene, sehr individuelle Erzählung abzuleiten, um ein Bild zu zeichnen, in dem ich mich finde?

Mein Name Martin leitet sich vom lateinischen Martinus ab. Das bedeutet: dem Gott Mars gehörig; auch: Sohn des Mars. Ganz klar, daß die Finnen Martti sagen. Bei den Polen heißt es Marcin, in Ungarn Márton. Das chinesische Mading wird auch in diesem Sinn gedeutet.

In Europas christlicher Mythologie ist der Martin nicht als Märtyrer zum Heiligen geworden, sondern als Bekenner. Wenig überraschend, denn er war ein Mann des Schwertes. Der Krieger wurde als Sohn eines römischen Militärtribuns in meiner Nähe geboren, nämlich im Gebiet der ungarischen Stadt Szombathely, damals Colonia Claudia Savaria. (Das macht von Gleisdorf aus mit dem Auto knapp hundert Kilometer. Da bin ich auf meinen Wegen nach Nagykanizsa schon öfter durchgekommen.)

Martinus wurde schließlich als Soldat der Reiterei der Kaiserlichen Garde in Amiens stationiert. Die Legende besagt, daß er in jener Zeit seinen Mantel zerschnitten und zur Hälfte einem Armen überlassen habe. Er war Mitte 30, als er getauft wurde, um wenige Jahre später die Entlassung aus dem Armeedienst zu erbitten.

Der miles Caesaris wurde zum miles Christi, schließlich ein Einsiedler. Als Asket reüssierte er zuletzt in einer neuen Sphäre, wurde Bischof von Tours. Martinus starb im damals untypisch hohen Alter von 81 Jahren.

Ich hab das deshalb in solchen Details skizziert, weil es ein anregender Beleg für ein Narrativ ist, in dem ein Soldat das Kriegshandwerk hinter sich läßt, um sein Leben grundlegend anderen Aufgaben zu widmen. Eine wichtige biografische Variante in dieser vorherrschenden Männerkultur, wo so manche Gewalttätigkeit gerne als naturgegeben und angeblich unvermeidbar behauptet wird, wo sie doch soziokulturell begründet ist.

Ich sehe derlei Motive, wie diese Heiligenlegende, für mich nicht als schicksalshafte Prägungen, sondern als inspirierende Elemente zum Entwerfen jener Erzählungen, in denen wir uns selbst orientieren. Als was möchten wir in menschliche Gemeinschaft vorkommen? Wie wollen wir leben? Was läßt sich daraus an Ethos ableiten?

Solche Erzählungen sind der Stoff für das, was ich als eine grundlegende Situation menschlicher Gemeinschaft erachte: Wir erzählen einander die Welt. Wenn die Alltagsbewältigung ruht, lieben es Menschen unzähliger Generationen, beieinanderzusitzen. Jemand erzählt, jemand hört zu. Ich sehe den Dialog zwischen Karin Klug und mir in eben diese Tradition.