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Notiz 026: Eine interessante Krise#

(Oder: Katharsis gibt’s nicht beim Diskonter)#

von Martin Krusche
Vernetzung ist kein Inhalt,
sondern ein Werkzeug!



Ich sauge die auffallende Stille rund ums Haus ein. Viel Getöse via Medien. Corona sorgt für Umbrüche. Die Behörde rät zum Rückzug, macht Vorschriften. Für mich sind die aktuellen Anforderungen mit keiner großen Umstellung verbunden. Man könnte sagen, die letzten Jahre haben mich für so eine Situation begünstigt.

Wer sich im Kunstbetrieb dem Markt gegenüber eher spröde gibt, bezahlt das natürlich mit einer sehr fragilen wirtschaftlichen Situation. Das kann man auch so lesen: ein hohes Maß an Selbstbestimmung, womöglich mit reichlich Eigensinn untermauert, hat einen entsprechenden Preis.

Bild 'notiz026a'

Dazu könnte einem auffallen, daß Cash eben nur eine von mehreren Währungen ist, mit denen man für eine Anstrengung bezahlt wird. Mediale Sichtbarkeit, Aufmerksamkeit des Publikums, Selbstbestimmung, das sind andere Währungen.

Es ist klar, wer nicht marktgerecht produziert, hat entsprechend wenig Aussicht, von den interessanten Währungen alle zu lukrieren. Ergo hab ich zum Beispiel mehr Selbstbestimmung als Cash in der Tasche.

Das hat Nachteile, wenn die Miete fällig ist oder wenn ich bei meinem Kaufmann auf der Matte stehe. Das hat auch sehr konkrete Konsequenzen für meine Bewegungsfreiheit außerhalb des Bunkers; außer ich begnüge mich damit, Wald und Wiese für Spaziergänge zu nutzen.

Andrerseits profitieren mein Seelenheil und mein Werk von der Währung Selbstbestimmung. Beides kann aber auch Einbußen erleiden, wenn Cash zu knapp wird. Außerdem durfte ich nun über Jahre feststellen, daß selbst im nächsten Freundeskreis Kompatibilitätsprobleme schlagend werden, wenn eine Knappheit an Cash die anderen Bereiche zu sehr beeinflußt.

Trotz anderslautender Beteuerungen regieren in meiner Welt kapitalistische Grundregeln. Im Diskurs sind wir uns einig, daß unser aller Existenzen zu viel Beschleunigung erlebt haben und daß wir eine umfassende Ökonomisierung aller Lebensbereiche erleiden.

Es gibt in meinem Milieu breiten Konsens, daß das übel ist und gebremst werden müßte. In der Praxis kann ich allerdings nicht sehen, daß diesbezüglich Schonräume entstanden wären. Ich nehme das zur Kenntnis.

Die aktuelle Virenepidemie hat in diesen Zusammenhängen zu bemerkenswerten Momenten geführt, die ich für sehr aufschlußreich halte. Eben noch geschah individuelles Scheitern auf dem Kulturfeld eher im Verborgenen.

Das hat bedeutet, eine Art Doppelleben zu führen, denn man kann etwa nur aus dem Haus gehen, wenn das Geld dazu reicht, weshalb beispielsweise jeder Veranstaltungsbesuch vorher und nachher am eigenen Konsum eingespart werden muß.

Zugleich muß man nach außen den Eindruck sichern, daß alles gut läuft, weil es in meinem Metier keine Verträge, keine Deals gibt, falls sich herumspricht, daß du krachst. Die Budgets sind so knapp, daß es meist niemand riskieren will, sich auf jemanden einzulassen, dessen Existenz wackelt.

Das heißt, zusammengefaßt: sehr viel mehr Arbeit für weniger Ertrag, um den Karren wieder flottzubekommen, um in der Branche wieder stabil zu werden. Dazu ein streng kalkulierter Sparplan mit täglicher Groschenzählerei, um sich in diesem Doppelleben die gelegentlichen Schritte nach außen leisten zu können.

Diese Schritte braucht man einerseits privat ganz dringend, damit so eine Zeit erträglich ist. Andrerseits braucht man sie geschäftlich, weil in der eigenen Küche keine neuen Geschäfte entstehen.

Nicht zu vergessen: Pandora war eine Kreation, eine zielgerichtete Auftragsarbeit, die Zeus bei Schmied Hephaistos bestellt hat, um Prometheus zu schlagen. (Beide Fotos: Martin Krusche)
Nicht zu vergessen: Pandora war eine Kreation, eine zielgerichtete Auftragsarbeit, die Zeus bei Schmied Hephaistos bestellt hat, um Prometheus zu schlagen. (Beide Fotos: Martin Krusche)

Diese Anstrengung muß gelingen, während Sozialkontakte zunehmen wegbrechen, weil sich meist weder für zuhause noch für draußen Einladungen aussprechen lassen. Wer das als Freelancer lebt, als EPU, wird außerdem feststellen, daß man bei Finanz und Sozialversicherung recht schnell in Verzug gerät, wenn es gelegentlich klemmt.

Das heißt dann, was immer man aktuell mühsam erwirtschaftet, darf man zu einem großen Teil gleich an diese beiden Institutionen weiterreichen, um den Exekutor fernzuhalten. Da aber Österreich vor allem durch ein Volk von Angestellten belebt wird, sollte man selbst im engsten Freundeskreis besser nicht mit all zu viel Verständnis für so eine Lage rechnen.

Menschen mit gesichertem Krankenstand und bezahltem Urlaub, mit 14 Monatsgehältern und Arbeitsgeberanteil bei allen Abgaben können sich gewöhnlich gar nicht vorstellen, wovon ein Freelancer da redet.

Am ehesten kennen das alleinerziehende Mütter, die ihr Brot verdienen müssen. Aber das sind alles Bedingungen, die aus öffentlicher Wahrnehmung lieber ausgeblendet bleiben. Dieses Klima, diese sozialen Zusammenhänge, werden wir nicht umgehend ändern können, bloß weil es jetzt eine Epidemie gibt, die unsere Einkünfte kappt.

Ich denke, das braucht präzise Befunde, die einer Überprüfung standhalten, solide Argumente und kulturpolitische Diskurse, die wir längerfristig in der Öffentlichkeit etablieren müssen. Das verlangt nach Kooperation und nach strategischem Denken. Haben wir bisher weitgehend versäumt.

Es geschah nicht 2010, als wir die Folgen des Lehman Brothers-Fiaskos hart zu spüren begannen. Es begann nicht 2015, als im Kulturbereich neue Verteilungswettkämpfe anliefen und außerdem immer mehr Kulturbudgets gekapert wurden, um für andere Zwecke entführt zu werden.

Daher geben ich gar nichts auf das aktuelle Geschrei. Ich möchte mich auf nötige Schritte konzentrieren und mich nach Leuten umsehen, die mehr drauf haben, als sich jetzt laut zu empören.

Wir müssen nicht bei Null beginnen, aber wir sollten es ernsthaft angehen und diese Ernsthaftigkeit nicht durch einen wäßrigen Aktionismus simulieren. Nichts, was derzeit im regionalen Kulturbetrieb passiert, schafft grade neue Verhältnisse. Daher, weil ich zu tun hab, und um es mit Jimi Hendrix zu sagen: „Excuse me while I kiss the sky!“