Notiz 027: Zwiebelchen legt los#
(Oder: Ich bin ein Künstler, holt mich hier raus!)#
von Martin KruscheNimm mir das nicht übelchen.
(Joachim Ringelnatz)
Es ist mir in meiner Profession während der letzten rund 40 Jahre noch nicht aufgefallen, daß Appelle und Petitionen starke kulturpolitische Werkzeuge seien; außer sie werden wie Leuchtfeuer an einen soliden inhaltlichen Diskurs geheftet. Die Faustregel besagt ja: erst wenn ich genau weiß, was ich will und warum ich es will, kann ich klären, wie ich es bekomme. Um Forderungen begründen zu können, muß ich die Gründe erarbeitet haben.
Mir ist kein politisches Gremium bekannt, welches es riskieren würde, am Status quo dieses Landes ohne gute und benennbare Gründe etwas zu ändern. Da sehe ich meine Berufsgruppe also laufend in der Pflicht.
Wer nun auf selbstreferentielle Art behauptet, Kunst und Kultur seien wichtig, weshalb ihre Akteurinnen und Akteure aus öffentlicher Hand eine Existenzsicherung erhalten müßten, ist entweder aus den Träumen noch nicht aufgewacht oder hat vergessen, sich die Augen zu reiben. Ich mag solche Posen als Spielart der Geschwätzigkeit abtun.
Bei meiner Orientierung hilft mir aktuell der Blick auf die letzten 200 Jahre Arbeiterbewegung und Frauenbewegung. Was von den sozialen Annehmlichkeiten, die wir heute genießen dürfen, wäre ohne außergewöhnliche Anstrengungen möglich geworden, indem man einfach etwas fordert? Ich kenne dafür kein Beispiel.
Während ich null Ahnung hab, was aus der Arbeiterbewegung geworden ist, sehe ich die Frauenbewegungen bis zum heutigen Tag ringen, Schritt für Schritt und Zentimeter für Zentimeter um manche Möglichkeiten kämpfen, über deren Verfügbarkeit ich als Mann gar nicht nachdenken muß.
Aber eine ÖVP-dominierte Regierung wird uns Freelancers und EPU-Leuten nun flugs entgegenkommen, sogar das bedingungslose Grundeinkommen angehen, weil nun tausende Kulturschaffende im Land unruhig geworden sind? Wohl kaum!
Wo stand die öffentliche Debatte dieses Themas, als der ÖVP-Frontman kürzlich wieder Leute gelobt hat, die „in der Früh aufstehen und zur Arbeit gehen“? Was wissen wir neuerdings über die völlig trübe Kategorie „Leistungsträger“.
Da fehlt mir nun was im Lauf der Dinge. Also: Augen reiben, umdrehen, weiterschlafen? Eher nicht! Aber was dann? Heulen und Zähneknirschen? Die Schlechtigkeit der Welt beklagen? Den Landeskulturreferenten beschimpfen?
Hatten wir alles schon. Müßige Übungen. Darum notfalls von vorne beginnen, wo wir als Berufsgruppe zuletzt ins Leere gelaufen sind. Damit meine ich, kontinuierliche und kompetente inhaltliche Arbeit. Etablierung tauglicher kulturpolitischer Debatten innerhalb der Branche(n), um erstens die Vielfalt der Lebenskonzepte auf diesen Berufsfeldern darzustellen, um zweitens vorteilhafte Bedingungen für die Berufspraxis zu präzisieren.
Ich denke, das kann aber nur fruchten, wenn wir solche Praxis gelegentlich im Sinn einer Best Practice belegen. Dazu kann ich den Status quo der Steiermark nicht beurteilen. Aber meine Region ist diesbezüglich total im Arsch. Dieser Zustand wurde mit Zuckerguß glasiert. Drum, wie erwähnt… von vorne beginnen, um den Ausgang aus dem Jammertal freizuschaufeln.
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