Notiz 029: Selman und ich#
(Zur Konferenz in Permanenz)#
von Martin KruscheMit dem serbischen Künstler Selman Trtovac verbindet mich eine erhebliche Vorgeschichte. Wir gehören zwei verschiedenen Generationen an, auch zwei verschiedenen Gesellschaften. Meine wurde vom Krieg erschüttert, bevor ich auf die Welt kam. Ich wuchs mit den Irritationen und Doppelbödigkeiten auf, die sich das Volk des Aggressors zurechtgerichtet hatte.
Selman war schon ein junger Mann, als der Untergang Jugoslawiens das gewohnte Leben seiner Leute verschlang. Sein Weg führte ihn dann unter anderem nach Düsseldorf, wo er bei Klaus Rinke studierte. Wie mag sich ein Leben entfalten, wenn es das Land, in dem man geboren wurde, nicht mehr gibt?
Auch das macht ein Stück des Kontrastes zwischen uns aus: Zugänge, Verfahrensweisen, Strategien. Ich, der gewesene Lehrbub, stur und romantisch davon überzeugt, daß man in die Kunst eingehen werde, wenn man das will und wenn man es tut.
Er, der sein Talent mit einer fundierten Ausbildung untermauerte und in diesem Prozeß vor einem Lehrer bestehen mußte, der nicht im Traum daran dachte, es den Jungen leicht zu machen.
Trtovac sagt: „Im Zentrum meiner Kunst hat immer der Mensch als Wesen gestanden. Daraus kamen die einzelnen Fragen.“ Darüber entfaltete er seine Wahrnehmung der Welt. Das ging über sehr verschiedene Abschnitte, mit Prozessen verschiedener Art, einzeln und in der Gruppe.
Ein Aspekt, der uns mit Sicherheit verbindet. Dieses Pendeln zwischen der Zeit für sich, da man als Solitär mit seinen Aufgaben ringt, andrerseits aber auch in Formationen der kollektiven Wissens- und Kulturarbeit aufgeht.
Trtovac ist in Fragen der Kunst sicher strenger als ich. Er kennt das Gewicht und die Relevanz eines Kollektivs, dessen dynamische Kräftespiele. Doch immer kommt es ebenfalls zu Fragen nach Handwerk und Gestaltungsvermögen. Trtovac fragt als bildender Künstler nach „Komposition, Linie, Rhythmus, Fläche usw.“
Er räumt freilich ein: „Ich glaube, zum größten Teil ist es ein Mysterium. Warum ich das mache, woher das Bedürfnis kommt… Ich bin ein Agnostiker. Aber manchmal denke ich, es gibt etwas, was Kunst und das Göttliche verbindet.“
Na klar, wir erleben die Praxis der magischen Handlungen, wenn Werke gelingen. Diesen Flow. Die momentane Fraglosigkeit. Das ist ja auch sinnlich erfahrbar. Die Begründung, die Quellenfrage, das bleibt für mich nachrangig. Ich mache es. Ich bin es. Das ereignet sich in einem größeren Kontext, der weit über mich hinausreicht.
Was immer uns gelingt, tun wir, indem wir auf den Vorleistungen anderer ruhen. Trtovac: „Etwas Grösseres als der Mensch, aber für den Menschen.“
Dabei sind wir in Personalunion Künstler, die keine Aufträge von außerhalb der Kunst brauchen, zugleich sind wir auch politisch anwesende Männer, deren Tun zum Geschehen rundum in einer klaren Beziehung steht.
Trtovac: „Daraus folgend interessieren mich die gesellschaftlichen Prozesse und Beziehungen. Auch die Politik. Aber wir müssen dabei in der Kunst bleiben, durch eine künstlerische Sprache sprechen. Mich interessiert weniger Wissen als die Wahrheit. Immer das Neue, das Unbekannte. Das ist – kurzgefaßt - wie ich die Kunst sehe.“
Dazu hab ich ihn gebeten, mir ein Blatt zur Verfügung zu stellen, welches er als Zweijähriger gezeichnet hat. Trtovac: „Und meine Urzeichnung sagt mir, am Anfang gab es eine Grundlage für die spätere Entwicklung. Ja, in der Kunst bleiben, denn wenn wir Politiker spielen, werden wir zu den Dilettanten.“ Tako je! In der Kunst bleiben. Aber als Bürger politisch anwesend sein…
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