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Notiz 042: Mummenschanz und Pose#

(Die neue Bourgeoisie)#

von Martin Krusche

Wenn ich jemanden Bourgeois nenne, meine ich das nicht freundlich. Ich meine damit (ein wenig ahistorisch) ein Bildungsbürgertum, das mich umgibt, an dem mir auffällt, daß es überwiegend die Bildung aufgegeben hat, während es sich aber mit erheblichen Kompetenzmängeln als Funktionselite wichtig macht.

Es geht eben auch ohne Verkleidung: Künstler Christian Eisenberger (Foto: Martin Krusche)
Es geht eben auch ohne Verkleidung: Künstler Christian Eisenberger (Foto: Martin Krusche)

Aus der Diskrepanz zwischen gelebtem Kompetenzmangel und angestrebten Positionen ergeben sich zahlreiche Konfliktpotentiale. Dazu gehört das bloße Behaupten von Qualifikationen, das Simulieren gelingender Projekte und eine intensive Einflußnahme auf die Möglichkeit kritischer Debatten.

Ursprünglich bezeichnete der französische Begriff Bourgeoisie etwa das, was man Besitzbürgertum nennen könnte. Mit Bourgeoisie war in anderen Zusammenhängen jene herrschende Klasse gemeint, der das besitzlose Proletariat gegenüberstand, die Arbeiterschaft.

Das alles kam in meiner Biographie noch vor. Als Kind hab ich gestaunt, daß „Arbeiter und Angestellte“ als zwei verschiedene Kategorien galten, die einen unterschiedlichen sozialen Status hatten. Eine Differenz, die ich nicht verstand. „Das Bürgertum“ war demgegenüber etwas anderes, blieb für mich aber ganz unscharf.

Mein Vater ein Kriegskrüppel und Trafikant. Meine Mutter eine Krankenschwester, die als Hausfrau lebte, aber zuletzt in ihren Beruf zurückkehrte. Was waren wir? Es gab in unserer Wahrnehmung auch noch die Bauernschaft, von der wir keinen klaren Begriff hatten und auf die wir grundlos herabblickten, ohne diese Milieus zu kennen.

Damals wußte ich noch nichts von den Legionen des ländlichen Proletariats und vom Elend subalterner Schichten. In diesen Zusammenhängen liegt ein Schnittpunkt für mein Thema. Spätestens im 17. Jahrhundert hatte sich das österreichische Staatswesen mit seiner Verwaltung und allen nötigen Institutionen so entwickelt, daß ein wachsender Bedarf an grundlegend ausgebildeten Menschen bestand.

Ursprünge#

Dazu ein paar Details. Karl VI., der Vater von Maria-Theresia, hatte diverse Post- und Kommerzstraßen errichten lassen. Eine davon führte von der Residenzstadt Wien durch Graz zum Hafen in Triest und ist uns steirischen Leuten in Teilen noch als Alte Poststraße vertraut. Da ging es um die Wirtschaft, um Kommunikationslinien und Warentransporte.

Daß Maria-Theresia in ihrem Herrschaftsgebiet am 6. Dezember 1774 die Schulpflicht einführte, indem sie eine „Allgemeine Schulordnung für die deutschen Normal-, Haupt und Trivialschulen in sämtlichen Kayserlichen Königlichen Erbländern“ unterzeichnete, lag nicht daran, daß sie eine „gütige Monarchin“ gewesen wäre, denn das war sie nicht.

Es ergab sich als eine praktische Anforderung, weil das Land nur gedeihen konnte, wenn seine dienstbaren Geister sich mehr Kompetenzen aneignen würden. Das waren Prozesse, in denen sich ein Bildungsbürgertum als nützlich entfalten und hervortun konnte. Diese Schicht hatte freilich gegenüber dem Besitzbürgertum ein paar Distinktionsprobleme, man könnte auch sagen: ein Minderwertigkeitsgefühl.

Kulturveranstaltungen: Bühne ist nie bloß vorne. Auf dem gesamten Feld wird um Sichtbarkeit gerungen. (Foto: Martin Krusche)
Kulturveranstaltungen: Bühne ist nie bloß vorne. Auf dem gesamten Feld wird um Sichtbarkeit gerungen. (Foto: Martin Krusche)

Diese Schrullen konnten zum Beispiel kompensiert werden, indem man sich Mündel suchte, welche sich erziehen und belehren, also bevormunden ließen: subalterne Schichten, ländliches Proletariat. Die oben erwähne Abschätzigkeit meiner Leute gegenüber diesen Milieus dürften in solchen Entwicklungen wurzeln. Ressentiments helfen einem ja, sich auf Kosten anderer Kreise zu profilieren.

Das hat uns dann übrigens auch die „Volkskunde“ nahegebracht, von der ich als Kind deshalb erfuhr, weil die „Hochkultur“ einen Referenzpunkt brauchte, damit ein Bürgertum die eigene Superiorität behaupten und darstellen konnte. Dazu bedurfte es unter anderem der „Volkskultur“.

Als Proletenkind aus dem Gemeindebau sollte ich lernen, daß man von der Volkskultur zur Hochkultur streben möge, was damit zu beginnen habe, daß man „echte Volkskultur“ von „volkstümlicher Kultur“ unterscheiden könne. Auch in diesen Fragen holte sich das Bildungsbürgertum auf Kosten anderer Kreise Selbstbewußtsein und wir bekamen manchmal Schläge, wenn man uns mit „Schmutz und Schund“ erwischte; also mit Produkten der Popkultur.

Rang und Ressourcen#

Da wären wir nun angekommen, bei Leuten, die jünger sind als ich und eine Bundesregierung stellen. Bildungseinrichtungen haben ihr Personal. Ich möchte hoffen, unsere Schulen funktionieren nicht mehr wie Kadettenanstalten. Lokale und regionale Gemeinwesen stützen sich auf ihre Funktionärswelt. Die hat in weiten Bereichen kritische Diskurse längst abgeschafft; wohl auch, weil andere es zuließen. Und sie hat junge Menschen rekrutiert, die auf YouTube älter klingen als meine Oma.

Dem drängt aus meinem Milieu so allerhand Kulturvölkchen entgegen, das sich derlei Verhältnissen anpaßt, notfalls dafür auch kostümiert. So wird im Bedarfsfall ein Kulturgeschehen simuliert, so muß manch dekoratives Gestalten und Basteln sich das Etikett „Kunst“ anheften lassen.

Es geht eben auch ohne Verkleidung, von links: Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov sowie Sergej Romashko und Sabine Hänsgen von den „Kollekiven Aktionen“. (Foto: Martin Krusche)
Es geht eben auch ohne Verkleidung, von links: Kuratorin Mirjana Peitler-Selakov sowie Sergej Romashko und Sabine Hänsgen von den „Kollekiven Aktionen“. (Foto: Martin Krusche)

All das ist stets den Fragen gewidmet, wer die vorhandenen Budgets wofür abholen kann, seien es öffentliche, seien es private Gelder. Aber immer wird auch Sozialprestige als eine der gefragten Währungen verhandelt. (Gunnar Heinsohn: „Um Brot wird gebettelt, um Rang wird geschossen.“)

Das hat in den letzten zehn Jahren eine Progression erfahren. Das wurde in der Corona-Krise intensiviert. Ich habe an einigen Stellen schon betont, der Zusammenbruch der Lehman Brothers löste Prozesse aus, die sich rund um unsere Welt mit hausgemachten Problemen verzahnt haben.

Spätestens 2010 wurde der steirische Kulturbetrieb davon hart getroffen. Ab 2015 zeigte sich ein verborgener Verdrängungswettkampf, der in meinem Metier nicht thematisiert werden konnte. Nun, 2020, wirft uns die Corona-Krise zugelassene Fehlentwicklungen unübersehbar vor die Füße.

In dieser Zeit, 2010 bis 2020, hat sich unser Kulturgeschehen grundlegend verschoben. In dieser Zeit haben sich jene Rollenfächer noch deutlicher herauskristallisiert, von denen ich einige exemplarisch beschreiben werde. Es ist eine Zeit, in der von vielen Leuten immer unverfrorener auf Ressourcen des Kulturbetrieb zugegriffen wurde, ohne sich an die vereinbarten Widmungen der Gelder gebunden zu fühlen. Eine kuriose Form der Korruption des Kulturgeschehens. Ein Feld der Spießer, das einer neuen Bourgeoisie.