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Notiz 003: Die Fülle#

von Martin Krusche

Manchmal bin ich so voller Geschichten, daß es mich ganz traurig macht. Das ist kein besorgniserregender Zustand, sondern eine banale Befindlichkeit, wenn die Fülle alles überfordert, wozu man in der Lage wäre. Es gehört zu den Lektionen, die lange auf sich haben warten lassen. Die frühen Jahre einer Existenz ohne ausreichende Erfahrung, wenn man von Wissensdurst und Tatendrang kontaminiert ist, haben quälende Momente, die sich mildern, indem man vorwärts drängt.

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Auf dieser Strecke befindet sich ein Lehrstück, das dagegen so unscheinbar wirkt, man möchte einfach darüber hinwegschreiten. Diese Eile hat viel mit Eitelkeit zu tun. Im Kontrast dazu kann etwas sehr Irritierendes geschehen. Plötzlich schlägt dieser Gedanke um. Aus einem „Was werde ich tun?“ wird ein „Wozu sind Menschen in der Lage?“

Ich hab lange nicht verstanden, daß das ein Kategoriensprung ist, auch ein Dimensionenwechsel, der dennoch mich meint, genau mit dieser Leidenschaft in der Kunst zu sein, von der ich mich nun Jahrzehnte nicht abbringen lasse, durch nichts.

Waren denn solche Zusammenhänge nicht immer mit großen Gesten assoziiert? Kennt man nicht die Posen, in denen jemand dann vor ein Publikum hintritt und lächelt?

Vor Jahren hab ich eine Ausstellung realisiert, die erhielt den Titel „Nobody Want’s to be Nobody“. Sie zielte selbstverständlich auf die Frage, wie sehr und wie weit man sich hinter sein Werk zurücknehmen könnte. Wenn Geltungsdrang eine derart boomende Emotion ist, wie kühn wäre es dann, niemand sein zu wollen?

Aber das Werk! Na, was denn? Wirkt nicht, was Menschen versuchen, allemal, ganz ohne Rücksicht auf die allgemeine Kenntnis der Autorenschaft? (Ich nehme an, das wird etlichen Menschen viel zu buddhistisch vorkommen.)

Hat nicht Villem Flusser in seinem Buch über die Schrift einerseits ihr unausweichliches Verblassen betont, andrerseits aber die Kenntlichmachung der Autorenschaft damit begründet, daß ja sonst mögliche Antworten auf einen Text nicht adressiert werden könnten? Kommt einem dann womöglich noch Aby Warburg mit seinem Denken in Bildern in die Quere und… Sie merken schon, in all dem ist etwas Uferloses. Darin liegt einer der Gründe, warum ich das Projekt „The Long Distance Howl“ auf 20 Jahre Laufzeit angelegt habe.

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Ich traue dem einzelnen Ereignis nicht gar so viel zu. Aber 20 Jahre sind eine Laufzeit, in der man sich selbst verändert, in der sich neuerdings sogar die Welt anders dreht. Innerhalb solcher Kräftespiele lassen sich doch einige Klarheiten finden, die über erste Kurzlebigkeit hinauskommen. Manchmal scheint mir allerdings, im Vorgefundenen sei schon alles gesagt.