Notiz 081: Zur Autonomie im Kulturbetrieb II#
(Zusammenfasssung mehrerer Glossen aus der Origami Ninja Association)#
von Martin Krusche[Vorlauf: Teil I|https://austria-forum.org/af/Kunst_und_Kultur/Volkskultur_und_Mythen/howl/063_autonomie]] Wir haben das Jahr 2021 und ich sehe ah wie vor, daß der Begriff Autonomie m Zusammenhang mit dem steirischen Kulturbetrieb völlig beliebig eingesetzt wird. Es erscheint offenbar nicht notwendig, die Zuschreibungen aus dem vorigen Jahrhundert zu überprüfen und allenfalls einen kulturpolitischen Diskurs zu eröffnen, der die aktuelle Situation erkunden hilft. Ich denke, wir brauchen eine neue Beschreibung des Status quo. Wie originell, daß Autor Peter Glaser gerade heute (1. Augst 2021) auf Facebook ein treffendes Camus-Zitat rausgehauen hat.
autonomie IV#
der rückblick macht deutlich, daß wir ende der 1970er unser verlangen nach AUTONOMIE, dieses ringen um selbstbestimmung, als eine individuelle aufgabe sahen. bis in die 1980er hinein folgte dem weder ein relevanter diskurs, noch haben wir an modellen gearbeitet, mit denen sich auch ökonomische und soziale fragen lösen ließen.
wir? dieses WIR war eine ziemlich lose verdichtung sehr unterschiedlicher existenzen. wir sahen uns nicht als bohèmiens, denn dieser begriff war mit figuren von balzac oder zola assoziiert, schließlich auch mit typen wie picasso & co., während sich mit künstlern wie baudelaire vielleicht mancher unter uns identifizieren, aber nicht vergleichen wollte.
mit dem nachhall von dada hatten wir es leicht. mit dem erbe der russichen avangarde konnte man die eltern ärgern. beuys war uns zu anstrengend, zu komplex. wer heute meint, damals mit ingeborg bachmann mitgefühlt zu haben, macht sich vermutlich was vor. und für das denken von hannah arendt mußten wir erst einmal etwas älter werden.
da ich benno käsmayr gekannt hab, wußte ich, was der maro verlag ist. also war mir klar, woher die deutschen fassungen der texte von charles bukowsky, richard brautigan und anderen amerikanischen autoren kamen, die davor wohl kaum jemand bei uns kannte. diese neuen inputs lagen unter anderem an den übersetzungen von carl weissner, der – wenn ich mich recht erinnere – zwischendurch als autor auch eigene texte publizierte.
da wir uns nicht als steirische bohème sahen, blieben die begriffe SUBKULTUR und UNDERGROUND naheliegend. das war selbstverständlich mit antibürgerlichen ressentiments verknüpft. wir verachteten spießer demonstrativ. das fiel leicht, denn kindheit, schule, ausbildung, militär, beruf… da hatte einer wie ich schon hinreichend klären können, welches leben NICHT in frage kommt, welche konventionen übergangen werden müssen.
was wir an künstlerischen verbänden vorfanden, kam uns überwiegend altbacken, verstaubt und teilweise auch lächerlich vor. unsere subkulturelle pose bezog sich wesentlich aus einer mischung von lebenwandel, materieller genügsamkeit, großer trinkfreude und obsessiver konzentration auf die individuell bevorzugte kunstform. erst kam die pose, später kamen die diskurse.
ich hatte im autor und musiker peter köck ein unmittelbares rollenvorbild, einen vertrauten mit erfahrung. der unrettbare trinker, so sein selbstverständnis, erfinder der „overdreamfolie“, pendelte zwischen seinem schreiben und seinem trompetenspiel sowie zwischen etlichen positionen in einem schillernden panorama menschliche zustände.
für mich schien dabei alles in ordnung, denn ich sah peter, wie er der poesie verfallen war, sich niemandem andiente, nirgends buckelte. das gefiel mir. da ich mir stets wo ein geld verdienen konnte, wenn auftritte und publikationen nicht genug abwarfen, als hilfsarbeiter auf baustellen, als blumenkutscher, als statist bei schauspiel und oper, egal, sah ich lange keine notwendigkeit, meinen beruf hinsichtlich sozialer und betriebswirrtschaftlicher fragen zu untersuchen.
so ging eben subkultur. noch hatten wir niemanden aus der nähe verzeifeln und verrecken gesehen. noch hatten wir keine harten widerstände erfahren, wenn wir spießer anrempelten.
post scripterl:#
…um etwas zu verdeutlichen. zitat wikiped: „Der Begriff Bohème oder Boheme bezeichnet eine Subkultur intellektueller Randgruppen mit vorwiegend schriftstellerischer, bildkünstlerischer und musikalischer Aktivität oder Ambition, die sich gegenüber bürgerlichen Einstellungen und Verhaltensweisen abgrenzt. Die Bohème ist dabei weniger eine ästhetisch-kritische als eine sozialgeschichtliche Kategorie.“autonomie V#
was ich heute bezüglich österreichischer kleinverlage und autonomer platten-label vorfinde, hat seine wesentlichen wurzeln in den 1980er jahren. damals kamen dann im entstehen dieser strukturen auch die nötigen diskurse in gang. ich hab in der vorigen glosse betont, daß wir ende der 1970er jahre das ringen um selbstbestimmung vor allem als eine individuelle aufgabe sahen, welches bis in die 1980er hinein ohne relevanten debatten auskam und erst einmal zu keinem aufbau von strukturen führte. (fomationen wie die grazer autorenversammlung oder die ig autoren waren von der generation vor uns etabliert worden. andere baustelle!)
damit meine ich, wir haben uns in den 1970ern nicht zu quasi-genossenschaften zusammengeschlossen und keine einrichtungen formiert, um unser künstlerisches tun auf einen markt zu tragen. kleinverlage und autonome platten-labels kamen erst später in einiger breite auf.
ich war dabei freilich von beispielen aus deutschland beeindruckt und angeregt. mehr noch, ich war ende der 1970er sicher, es müsse sich so eine mischung aus kleinen labels und netzwerken auch bei uns aufbauen lassen. das „ulcus molle-info“ und die „mainzer minipressen-messe“ habe ich hier schon erwähnt.
ich lebte gerade einige jahre in hamburg, als jürgen ploog, pociano und walter hartmann 1980 mit „AMOK/KOMA“ ihren „bericht zur lage“ herausgaben. (wer erinnert sich noch an „minus delta t“?). am 27. August 1981 gab es dann mit „AMOK KOMA City Tour“ den „Literatrubel in der FABRIK, Hamburg“, bei dem ich übrigens den österreichischen autor gert jonke traf.
man wird im rückblick leicht feststellen können, daß meine weiteren schritte im bereich kollektiver wissens- und kulturarbeit von solchen ereignissen und produkten der deutschen szene stark angeregt und beeinflußt waren.
ich kann mich nicht erinnern, daß es zu jener zeit in österreich etwas auch nur annähernd vergleichbares gegeben hätte. eine zeit, in der künstler wie peter glaser, herr lugus oder xao seffcheque graz längst richtung deutschland verlassen hatten, in der „everest“ (ernst m. binder) erst auf irgendeinem weg war, um schließlich in graz wieder aufzutauchen. chris scheuer befand sich vermutlich grade in indien oder eh auch in deutschland. von „chevelle“ weiß man heute nichts mehr…
über den daumen gepeilt: zwischen 1980 und 1990 hat unsere verlangen nach autonomie in einiger breite an strukturen gewonnen. zwischen 1990 und 2000 hatten sich auch relevante diskurse so weit ausgewirkt, daß wir kulturpolitisch überaus handlungsfähig geworden waren.
autonomie VI#
wenn ich um selbstbestimmung renne, gegen bestehende verhältnisse anrenne, hat das freilich einen preis. den kann man heroisch verklären oder in seiner banalen dimension abarbeiten. ich meine damit: autonomie und die annehmlichkeiten eines geschützten arbeitsplatzes werden nicht zusammengehen.
anders ausgedrückt: wer es möglichst komfortabel haben will, begibt sich in abhängigkeiten. im günstigsten fall werde ich das verhältnis zwischen selbstbestimmung (anstrengung) und abhähngigkeit laufend neu ausbalancieren.
in jungen jahren war meine reizschwelle bezüglich fremdbestimmung so niedrig, daß ich selbst wohlmeinenden angeboten gegenüber mißtrauisch blieb. ich denke rückblickend, das kam ganz wesentlich mangels erfahrung mit jeder art von beziehungen (private oder geschäftsbeziehungen) für die man längere wechselseitige verpflichtungen eingeht.
was ist ein deal, der mir zusagt und den ich durchhalte? mir war ausreichend klar, daß man da draußen nichts geschenkt bekommt. ich hatte aber keine sehr konkreten vorstellungen, welchen preis ich wofür bezahlen möchte. das bringt einen in merkwürdige schwebe. das macht aber auch den reiz solcher lebensabschnitte aus.
die verhältnisse sind fragil und labil, alles bleibt sehr beweglich. ich wäre damals nicht auf die idee gekommen, über LEISTUNGSAUSTAUSCH zu reden.
in meiner hamburger zeit hab ich eine eigentlich vorteilhafte verbindung ruiniert, weil es mir offenkundig an erfahrung mit dem betrieb fehlte. filmkritiker bernd lubowski hatte mich mit autor hans eppendorfer bekannt gemacht und ihm vorgschlagen, er solle mich in eine kommende anthologie einbinden.
das klappte auch und ich fand mich bei „kleine monster“ in vorzüglicher gesellschaft. aber mir ging eppendorfers attitüde zu sehr auf die nerven, so daß ich bald darauf den kontakt mit ihm abbrach und die sache hinter mir ließ.
es wäre ein erster solider einstieg in einen rennomierten verlag gewesen, dem schauspielerin witta pohl eine nächste chance anfügte. witta befand sich grade in einem erheblichen steigflug ihrer popularität, war glänzend vernetzt, mochte meine arbeit, bot mir an, ihre kontakte zum rowohlt-verlag einzusetzen, auf daß sich jemand meine texte ansah.
einmal dürfen sie raten, was ich gemacht hab. (heute muß ich darüber lächeln.) na, ich hab das mit großer geste abgelehnt. mache und schaffe ich doch selbst! aus gegenwärtiger sicht: eine unprofessionelle pose, sachlich in keiner weise begründet; außer vielleicht darin, daß ich mich dem urteil eines professionellen lektorates nicht stellen wollte. aber diese frage fiel mir rund um 1980 natürlich keinesfalls ein.
autonomie handelt also stets von relationen. sie ist kein wert an sich, sondern hängt davon ab, in welchen zusammenhängen ich mich mit anderen menschen wiederfinden möchte. da hat es vorteile, wenn ich über mich selbst allerhand weiß.
autonomie VII#
bevor ich noch einmal kurz in die vergangenheit blicke, um ein romantisches beispiel für autonomiebestrebungen auszugraben, ein sprung in die gegenwart. den rückblick werde ich dann in einer weiteren glosse anfügen, denn ich bin selbst manchmal überrascht, welche effekte, von denen man erst viele jahre später erfährt, ein vorhaben zeigen kann. (in meinem fall sind es jahrzehnte.)
„Die radikale Wissenschaftsfeindlichkeit, die zynische Ausbeutung sozialer Unsicherheit, die populistische Mobilisierung und die Bereitschaft zu Ressentiment und Gewalt werden bleiben.“ das sagte philosophin carolin emcke kürzlich im rahmen einer rede.
man kann derzeit von ihr einige anregungen finden, die den titel „Wovor es sich zu fürchten lohnt“ tragen. mir fiel dazu die selbstdarstellung einer grazer formation ein, wie sie noch heute unwidersprochen von der IG kultur steiermark promotet wird „Das Ziel: Elitäre Intelektuellenszenen, Bobo- und Spekulationskunst aufbrechen und zugänglicher machen.“
sie können im steirischen kulturgeschehen seit wenigstens 30 jahren ähnliche posen finden. die erklären im grunde nichts, sondern sind vor allem ausdruck einer art antibürgerlichen ressentiments, ohne dabei aufzudecken, daß derlei verkündigungen auf ein eigenes ankommen in spießbürgerlichen kreisen verweist.
oder was genau möchte das denn sein? „Elitäre Intelektuellenszenen“ und „Bobo- und Spekulationskunst“. das sind völlig trübe kategorien, die mindestens vermeiden, was man dem kunstvölkchen abverlangen könnte: stichhaltige befunde des zustands der welt, nachvollziehbare beschreibungen.
hier will sich offenbar keine form der autonomie bewähren, der selbstbestimmung als selbstbehauptung. da braucht es andere menschen als referenzpunkte, um die eingene position überhaupt erst zu klären. dazu kam etwas, das ich in analogie zum „supermarkt der esoterik“ einen „supermarkt der kunst“ nennen möchte.
es gibt keine „bobo-kunst“. solche soziologistischen kreationen im kategorien-mix erinnern mich an machwerke wie zum beispiel „protest-kunst“, die man in graz erfand, als sich manche mit dem „arabischer frühling“ assoziieren mochten. (das war übrigens – rückblickend betrachtet – keine gar so rühmliche pose.)
eigenes tun wird durch das etikett „kunst“ valorisiert. das knüpft an jene schrullen an, dank derer sozialarbeit bei bedarf zur „kunst“ erklärt wird und beliebiges handeln zur „intervention“ gerät, die durch solche wortwahl dann auch kunstpraxis sein soll.
das wäre alles vertretbar, wenn es ohne esoterik auskäme und mit offenliegenden intentionen vorgetragen würde. selbstbestimmung als selbstbehauptung. selbstermächtigung durch kompetenz. darin läge freilich ein freundliches adieu an die konzeption von „genie“, das sich nicht erklären möchte, sondern bloß erscheinen will. (diese genie-nummer halte ich sowieso für eine völlig antiquierte idee.)
alle kunstschaffenden von relevanz, mit denen ich je näher zu tun hatte, waren immer mit ihren themen und mit den fragen nach der umsetzung beschäftigt, nie mit esoterischen posen und mit selbstdefinition durch feindmarkierung. darin wurzelt für mich eine brauchbare entwickelung von autonomie.
- Feuilleton (Kulturpolitische Annahmen und Behauptungen)
- Origami Ninja Association (Das Projekt von 2021)