Der Trail, Spiegelgitterhaus#
(Station #7 II: Eröffnung)#
von Martin KruscheJede Ausstellung ist ein Appell an ein mögliches Publikum. Um dafür einen Rahmen wie das Spiegelgitterhaus anzubieten, ist ein erheblicher Aufwand nötig. Also verstehe ich, daß so ein Ereignis auch der Repräsentation jener gewidmet ist, die solchen Aufwand sichern. (Das sind nur in Ausnahmefällen die Künstlerinnen und Künstler selbst.)
Den Ritualen der Repräsentation, den Begrüßungen, Reden, Grußadressen kann man sich ausliefern oder entziehen. Ist dieser Teil des Leistungsaustausches abgewickelt, sind alle Anwesenden selbst dafür zuständig, aus den folgenden Stunden etwas zu machen.
Ich setze auf den „Saloneffekt“, auf die Zusammenkunft geistreicher Menschen, während ich Werke kennenlerne. Mit so schlampigen Gedanken wie „Was will uns der Künstler sagen“, befasse ich mich nicht. Mehr noch, es interessiert mich in den meisten Fällen kaum, weil mir Kunstwerke ganz andere Möglichkeiten eröffnen.
Inspirierte Menschen, die sich Wissensdurst bewahrt haben, sind mir insgesamt unverzichtbar, denn ich bin auf sie angewiesen, um eine Art von geistigem Leben zu haben, die ich brauche wie Essen und Trinken. Dazu sind überdies geeignete Orte notwendig, weil ich das nicht in meiner Küche haben will. (Zuhause regiert die Stille.)
Das ist unter anderem so, weil ich erstens eine Deppen-Allergie habe und zweitens ohne Talent zum Smalltalk bin. Nun wurde so ein Haus wie das Spiegelgitterhaus natürlich nicht für mich hergerichtet. Aber ich bin ein Nutznießer dieses erheblichen Aufwandes, durch den Gleisdorf endlich einen tauglichen White Cube erhält. (Bisher war da nichts Vergleichbares zu finden.)
Dieser auf Kunst abgestimmte Raum, keinen anderen Zwecken vorrangig verpflichtet, macht überhaupt erst möglich, was ich im Kern finden möchte. An einem so klar gewidmeten Ort als zweckmäßigem Raum können wir den Abstand zur Transzendenz radikal verringern. Erst in derlei Räumen komme ich sehr nahe an den Ereignishorizont heran.
Dieser Begriff stammt aus der Relativitätstheorie, wo er eine Grenzfläche in der Raumzeit bezeichnet, hinter der sich zwar etwas befindet, dessen sind wir sicher, aber es ist uns unzugänglich, unsichtbar, unerfahrbar. Genau so verstehe ich auch die Transzendenz, von der uns Grenzen der Wahrnehmung trennen, die wir nicht überschreiten können; auch wenn wir annehmen dürfen, daß dahinter etwas ist.
Es wird oft nicht recht verstanden, daß die Arbeit an Kunstwerken ein Hinausschieben solcher Grenzen bedeutet, was auch heißt, in die Kunst zu gehen ist Arbeit an dem, was wir für die Conditio humana halten. Durch die Arbeit an Kunstwerken wie mit deren Rezeption gewinnen wir eine Vorstellung von der Tiefe hinter dem erwähnten Ereignishorizont. (Aber wir können nicht dorthin gelangen.)
Sie merken, ich sehe das Erschaffen von Kunstwerken und deren Rezeption sehr nahe beieinander. Das betont die Wichtigkeit geeigneter Ausstellungsräume. Und zwar weit über das hinaus, was einerseits kulturpolitische Agenda empfehlen, andrerseits bildungsbürgerliche Interessen befördern.
Um unser Menschsein zu erkunden, müssen wir uns mit der Transzendenz befassen können, mit Grenzen und mit Möglichkeiten des Überschreitens. Sonst wäre das symbolische Denken ein nutzloses Geschenk an unsere Spezies und wir hätten wohl nur schwer über das Neolithikum hinausgefunden.
Wir, die wir Kunstwerke erschaffen, gehen selbstverständlich in die Transzendenz hinein und bringen von dort Erfahrungen mit, die wir zu Werken formen. Wir wissen bloß nie, wohin und wie weit wir gekommen sind.
- Fotos: Martin Krusche
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