Episode 47: Die Zeichen und das Licht#
(Weihnachten auf den Gräbern)#
Von Martin Krusche#
Es ist natürlich nicht bloß diese Krippe im „Zeit-Raum“ und deren Hintergründe, es ist die gesamte Weihnachtssituation, der ich gerade größere Aufmerksamkeit widme, wozu ich auch einige Antworten suche. Die Fragen?
Was gerne unter Schlagworten wie „Christliche Werte“ zusammengefaßt wird, ist für allerhand Wohlfühlsätze gut. Der Zustand unserer Gesellschaft bestätigt diesen „Werten“ jedoch keinen gar so hohen Stellenwert. Dabei finde ich interessant, wie sich Ethos - als Summe selbstgewählter Werte - zur bevorzugten Lebenspraxis verhält.
Kann es sein, das etliche Wertvorstellungen einfach in Rituale ausgelagert werden, um im Alltag mehr Handlungsspielraum zu haben? Ich mochte schon in Blatt #11 das Thema „Peripherie“ (Brauchtum, Zeichensysteme, Dekoration) anreißen. In der Adventzeit wird unsere Innenstadt zur weihnachtlichen Kulisse, die den Rahmen für einige ungewöhnliche Ereignisse bietet. Haltung wird inszeniert, demonstriert.
Von ähnlicher Art ist der Friedhof geprägt, den ich wiederkehrend besuche, um mir anzusehen, mit welchen Zeichen und Medien die Menschen sich und anderen hier wesentliche Gefühle mitteilen. Wie ist der Grabschmuck beschaffen und was drückt er aus? Das hat auf den 24. Dezember hin seinen besonderen Schwerpunkt.
Zeit der Bekenntnisse#
Glanz, frisches Grün und Licht spielen dabei wesentliche Rollen. Und naturgemäß ein Repertoire überlieferter kultureller Zeichen. Nun darf ich davon ausgehen, daß bloß ein Teil jener Menschen, die hier christliche Symbole anbringen, sie paraphrasieren, abwandeln, sich selbst als aktive oder womöglich gute Christen bezeichnen würden.Dem steht gegenüber, was man landläufig etwa „Taufscheinkatholiken“ nennt. Ich kenne keinen vergleichbaren Begriff für Protestanten. Und ich finde die Orthodoxen interessant, weil mir scheint, da haben Rituale einen höheren Stellenwert als bei den Lateinern. (Über die Bräuche jüdischer Menschen weiß ich zu wenig.)
Aber so viel ist klar: Menschen handeln hier im Rahmen von kulturellen Traditionen, die teilweise über den gemeinsamen Vorrat an Zeichen und Medien kommuniziert werden, auch wenn man weltanschaulich ganz woanders steht, als die nächsten Nachbarn, die den Advent mit den gleichen Codes zelebrieren. (Vielleicht belegt das, welche Bedeutung Zeichen und Rituale haben, um Wir-Gefühle herzustellen.)
Man muß kein Genie sein, um monokausale Ursachen dafür auszuschließen. Kultur ereignet sich in erheblichem Maße so, daß Menschen nicht dauernd grübeln müssen, wie sie nun womit umgehen sollen. Dafür haben wir Traditionen, Bräuche, gesellschaftliche Konventionen. Natürlich auch in einer Massengesellschaft, die durch Inhalte von Massenmedien geprägt wird.
Ich greife aus dem Pool der vielfachen Gründe zwei heraus, die ich besonders interessant finde. Der eine Hinweis stammt von Philosoph Slavoj Žižek. Er ortet im Bereich der Kultur etwas wie „das ganze Feld verleugneter oder unpersönlicher Glaubenssätze – 'Kultur' als der Name für all die Dinge. die wir praktizieren, ohne wirklich an sie zu glauben, oder sie ernst zu nehmen.“
Gehen Sie ruhig davon aus, daß dieser Modus sehr verbreitet ist, daß man ihn übrigens auch in unserer Politik finden kann. Ich möchte es möglichst unaufgeregt Pragmatismus nennen, um einerseits ein Wir-Gefühl zu bedienen, in dem man sich andrerseits eine besondere Position sichert. Žižek meint zur Kultur als „zentraler lebensweltlicher Kategorie“, es gebe da religiöse Rituale und Sitten „als Teil unseres Respekts vor dem Lebensstil der Gemeinschaft, zu der wir gehören“. Das halte ich für sehr einleuchtend.
Wider die Gleichgültigkeit#
Eine andere Quelle solchen Brauchtums habe ich mir bei einem Gespräch mit dem bosnischen Autor Dzevad Karahasan notiert. Der Hauptsatz war für mich dabei: „Die Kunst schützt uns vor Gleichgültigkeit“. Dazu diese Anregung: „Vergangenheit ist immer da. Es sei denn, du hast sie wirklich kritisch verstanden und artikuliert zu einem Bestandteil deiner Tradition und Kultur gemacht.“ Karahasan meinte, Kultur sei nicht das, was einem durch das Verrinnen der Zeit einfach zufällt, sondern ergibt sich aus einem vorsätzlichen Tun, aus der Auseinandersetzung mit dem, was geschehen ist.Das mündete in folgende Zeilen: „Kultur, das heißt glauben, das heißt Erde bearbeiten, das heißt die Toten begraben. Also Kultur ist unzertrennlich durch Zeit mit unserem Verhältnis zum Tod verbunden. Am wenigsten ist Kultur eine Kunst bequem zu wohnen. Oder bequem seinem Nächsten aus dem Wege zu gehen.“ (Meine gesamte Notiz zu Karahasan ist am Ende dieser Seite verlinkt.)
Das ist für mich eine sehr treffende Skizze, die sich mit meinen Vorstellungen vorzüglich deckt. So lese ich auch die Zeichen auf dem Gleisdorfer Friedhof und ich kann passabel nachvollziehen, warum sich das weihnachtliche Dekor, wie man es erstens in vielen Wohnzimmern und zweitens in etlichen Schaufenster finden kann, sogar auf zahlreichen Gräbern zeigt.
Weiterführend#
- Peripherie (Brauchtum, Zeichensysteme, Dekoration)
- Die Kunst schützt uns vor Gleichgültigkeit (Über ein Gespräch mit dem bosnischen Autor Dzevad Karahasan)
- Kontext: Oststeirisches (Das Wesen der Region)