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Notiz 005: Das Nationalauto?#

(Fetischismus schafft trübe Kategorien)#

von Martin Krusche

Einen der amüsantesten Momente zu diesem Thema habe ich erlebt, als ein Enthusiast mir erklärte, die Deutschen (er sagte: Piefkes) hätten uns den Puch G geklaut. Uns? Und überhaupt! Dabei ignorierte der Fan, daß die G-Klasse auf einer Zusammenarbeit von Konzernen beruht, zu der beim größeren von beiden (tja, Mercedes) sicher Planungsschritte vorausgegangen sind, die sich dann mit Optionen der Grazer Puchianer trafen.

Der H2 oder Puch G, ein Prototyp von 1978, eine grenzüberschreitende Kooperation. (Foto: Archiv Krusche)
Der H2 oder Puch G, ein Prototyp von 1978, eine grenzüberschreitende Kooperation. (Foto: Archiv Krusche)

Der H2, also Haflinger zwo, so die frühe Werksbezeichnung für den G-Wagen, hatte mit dem vorangegangenen Hafi und seiner örtlichen wie nationalen Zuordenbarkeit nichts gemein. Außerdem stammten die Hafi-Grundlagen aus dem heutigen Tschechien, wo Hans Ledwinka einst den Tatra 11 auf die Räder gestellt hatte: Zentralrohrrahmen, Pendelachsen, luftgekühlter Zweizylinder-Boxer.

Know how ist höchst beweglich, hält sich nicht mit Grenzen auf. Produktionsstätten haben konkrete, physische Standorte, die an konkrete Staaten gebunden sind. Konzerne sind gelegentlich schwer zuzuordnen, weil sie in der Globalisierung mitunter eine sehr steuerschonende Standortpolitik pflegen; was bedeutet, sie tragen da und dort nichts zu jenem Gemeinwesen bei, auf dessen Kosten sie ihre Belegschaft gut aufgehoben wissen.

Oder ein paar Nummern kleiner: ich hab in der Oststeiermark schon erlebt, daß ein Bürgermeister loszieht, um mit energischen Worten wegen eines Firmenstandortes zu streiten, weil Kommunalsteuer zu den raren Gütern zählt.

Plattformen#

Vor einem Weilchen war ich mit Norbert Gall in einem quietschgelben Toyota GR Supra unterwegs. Die Marke ist ohne jeden Zweifel japanischen Ursprungs. Die Plattform stammt von BMW. Das Auto wird von Magna Steyr in Graz gebaut. Fein! Da bestimmen Sie mir nun die Nationalität des Autos!

Dieser Tage erwischte ich auf einem Gleisdorfer Parkplatz einen ähnlichen Flieger. Der Jaguar F-Type in seiner Coupé-Version. Eine britische Traditionsmarke? Naja! Ende der 1990er Jahre ging Jaguar an Ford, um ein Jahrzehnt später (gemeinsam mit Land Rover) an den indischen Konzern Tata verkauft zu werden. Ich finde es zum Brüllen komisch, daß die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien seine Herrschaft über Indien 1947 aufgeben mußte, dafür inzwischen diese beiden so britisch wirkenden Automobilmarken dorthin abgeben mußte. Symbolpolitik ist ein heikles Geschäft.

Der Toyota mit seiner BMW-Basis. (Foto: Martin Krusche)
Der Toyota mit seiner BMW-Basis. (Foto: Martin Krusche)

Die Mobilitätsgeschichte Österreichs erweist sich als ein sehr komplexes Thema. Nicht nur weil sich das historische Österreich territorial laufend verändert hat. So kommt es zum Beispiel, daß wir allgemein zwar Puch und Steyr mit Österreich assoziieren. Auch Austro-Daimler, wenn es jemand genauer weiß. Aber Laurin & Klement, ein Gigant unter den Produzenten, kommt in unserem kollektiven Gedächtnis nicht vor.

Das ist auch ganz okay, denn es erscheint mir nicht notwendig, diese Geschichte streng zu nationalisieren. Heutige Nationalstaaten sind ein ganz junges Phänomen. Österreich war über Jahrhunderte ein multiethnisches Imperium. Talente aus allen Teilen des Reiches machten unsere Geschichte opulent. Unsere? Das heutige Österreich, wie es als Zweite Republik evident ist, unterscheidet sich eben radikal vom Haus Habsburg.

Allein im 20. Jahrhundert war so viel in Bewegung. Laurin & Klement, im tschechischen Mladá Boleslav ansässig, ging schließlich in Škoda auf. Die markante Werksgeschichte der Anfangszeit verschwand nach dem Zweiten Weltkrieg hinter dem Eisernen Vorhang.

Wandernde Persönlichkeiten#

Johann Puch war ein ethnischer Slowene, der sich eigentlich Janez Puh schrieb. Aber er war eben auch österreichischer Staatsbürger. Wir sollten politische und kulturelle Kategorien zu unterscheiden wissen. Puch wurde zum steirischen Paradeindustriellen schlechthin, nachdem er die historische Untersteiermark (heute Slowenien) verlassen hatte.

Begabte Leute gingen stets den besseren Möglichkeiten nach, um passende Ressourcen und Arbeitsbedingungen zu finden. Siegfried Marcus gilt als bedeutender Pionier der österreichischen Technikgeschichte. Er stammt aus einem Kaff im deutschen Mecklenburg-Vorpommern. Paul, der Sohn des deutschen Technik-Pioniers Gottlieb Daimler, stammt aus Karlsruhe. Er wurde in Wiener Neustadt Chefkonstrukteur der Oesterreichischen Daimler-Motoren-Commanditgesellschaft, legte so Fundamente für Austro-Daimler. Einige der bedeutendsten Austro-Daimler-Fahrzeuge hat Ferdinand Porsche konstruiert. Woher stammte der?

Ist die schnittige Großkatze nun eine Inderin? Dann müßte Jaguar vielleicht auf Tiger umbenannt werden. (Foto: Martin Krusche)
Ist die schnittige Großkatze nun eine Inderin? Dann müßte Jaguar vielleicht auf Tiger umbenannt werden. (Foto: Martin Krusche)

Porsche, in Böhmen geboren, ging immer dort hin, wo man seinem enormen Tatendrang passende Bedingungen bot, was ihn unter anderem auch zu einem wertvollen Konstrukteur für Adolf Hitler machte. Es gibt allerhand Nachfolgestaaten, die ihn heute für sich reklamieren könnten. (Die Geschichte der Porsche Sportwagen begann in Gmünd in Kärnten).

Altmeister Johann Puch dürfte sich einst die Hände gerieben haben, als Konstrukteur Karl Slevogt – im deutschen Oberfranken geboren - Laurin & Klement den Rücken kehrte, anschließend Puchs Angebot nutzte. Der „Herr Oberingenieur Slevogt“ brachte viel voran, landete gelegentlich wegen Auto-Raserei vor Gericht, schrieb auch sonst einige Absätze steirischer Regionalgeschichte und… zog wieder ab.

Konzerne und Nationen#

Sie sehen, wer versucht, die Automobilgeschichte zu nationalisieren, gerät in eine extrem komplexe Situation. Natürlich würde man Citroen Frankreich zuordnen, Landrover immer noch mit Großbritannien assoziieren, Toyota und Mazda mit Japan. Den Lada verknüpfen wir mit Rußland. Was machen wir mit Fiat?

Mit dem Steyr-Puch Haflinger hatten wir es noch leicht. In Graz entwickelt und ebenda gebaut. Paßt! Österreichisch. Aber das ist eben auch bloß Episode. Heute entwickelt und produziert Magna Steyr auf dem nämlichen Firmengelände Autos für verschiedene Marken, agiert als Contract Manufacturer für ich weiß nicht wen alles.

 Der Steyr XXX : die 1929 von Ferdinand Porsche begonnene Entwicklung eines neuen Steyr-Mittelklasse-Wagens wurde von seinem Nachfolger Karl Jenschke fertiggstellt. (Foto: Martin Krusche)
Der Steyr XXX: die 1929 von Ferdinand Porsche begonnene Entwicklung eines neuen Steyr-Mittelklasse-Wagens wurde von seinem Nachfolger Karl Jenschke fertiggstellt. (Foto: Martin Krusche)

Wem gehört eine Marke? Woher stammt der Konstrukteur? In welchem Land hat das Designbüro seinen Sitz? Welches Modell teil sich eine Plattform mit welchen anderen Fabrikaten? Woher kommen die Komponenten der Zulieferer? Wo werden die Autos assembliert? Wer hat‘s erfunden? Wer gab den Namen?

Zu diesem XXX: Porsche an Bord. (Foto: Martin Krusche)
Zu diesem XXX: Porsche an Bord. (Foto: Martin Krusche)

Heute können Sie zum Beispiel dem Schweden Christian von Koenigsegg eine konkrete Automarke zuordnen, die sich mit seinem Namen deckt. Bis 2003 weilte noch Alejandro de Tomaso unter uns, dessen Familiennamen für eine Automarke stand. (Ein Argentinier, der sein Leben im italienischen Modena beendete.)

Bei Tesla-Boss Elon Musk wird es schon schwieriger. Er stammt aus Südafrika, hat eine kanadische Mutter, ist heute vermutlich Amerikaner, steht aktuell für die Automarke Tesla, die an den Erfinder Nikola Tesla erinnert. Der war ein ethnischer Serbe, welcher im habsburgischen Österreich aufwuchs, an der Grazer TU studierte und in Amerika eine Weltkarriere machte.

Gut, zugegeben, ohne Komplexitätsreduktion würden wir unseren Alltag nicht schaffen. Ich halte es selber so, finde Mercedes deutsch, Citroen französisch, Fiat italienisch, Jaguar britisch. Aber ich weiß noch, wie ich vor etlichen Jahren auf dem Balkan erstmals einen koreanischen Kleinwagen sah, der ein Bow Tie trug, das Chevrolet-Logo. Da dachte ich sofort: wissen das die Amerikaner?

Qualitätsfragen#

Mein Thema hat ein interessantes Datum, nämlich den 23. August 1887. Da trat in Goßbritannien der Merchandise Marks Act in Kraft, der als ein Markenschutzgesetz gegen deutsche Waren angelegt war. Ab da mußten nach England importierte Waren eine Herkunftsbezeichnung tragen, die das Land kenntlich macht.
Markenschutz, britisch. (Foto: Archiv Krusche)
Markenschutz, britisch. (Foto: Archiv Krusche)

So etablierte sich das „Made in Germany“. Es war ursprünglich gedacht, für die englische Kundschaft minderwertige Ware aus Deutschland zu markieren. Was geschah? Deutsche Produzenten machten daraus ein Qualitätsmerkmal und zeigten der einstmals führenden Industrienation der Welt, wo der Hammer hängt.

Damit will ich betonen, daß Entwicklung, Produktion und Handel nicht erst mit der Industrialisierung über Grenzen hinweg wirkten. Ich finde es nach wie vor nützlich, im Alltag mit vereinfachten Bildern zu arbeiten. Sonst bekommt man schnell ein geschwollenes Hirn. Aber es kann daraus keine Ideologie gemacht werden. Autos nationalistisch zu befrachten ist eine eher dumme Pose.

Zu Slevogt siehe: "Puch am Berg" (Wie der rasende Ingenieur Karl Slevogt den Berg Schöckl erstmals mit einem Automobil befuhr und was das nach sich zog.) Siehe zum Hintergrund dieses Themas auch: „Die Reisen des Herren Tocqueville“ (Ein Beitrag zum Projekt Mensch und Maschine)