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Notiz 010: Ich mag mein Leben#

(Der Handwerker Mathias Sauseng)#

von Martin Krusche

Betritt man das Anwesen, wird einem schnell klar: hier wirken ordnende Hände. Und zwar ruhelos. Sonst ist dieses Pensum unmöglich zu schaffen. Das heißt übrigens nicht: geschniegelt, sondern: aufgeräumt. Und zwar so, wie ich das von den Werkstätten guter Handwerker kenne. Erstens muß man stets finden, was man braucht, um den Fluß der Arbeit nicht ins Stocken zu bringen. Zweitens soll nichts verlorengehen. Oft sind es winzige Teile, die an einer Maschine unverzichtbar bleiben, damit sie läuft. Und was drittens beim Hinlegen dreckig wird, macht unnötige Arbeit.

Holder AT 6 Geräteträger.
Holder AT 6 Geräteträger.

Der Fluß der Arbeit. Die Konzentration. Dann aber auch etwas Verspieltes, zum Beispiel im Gartenteil hinter der Halle. Hier herrscht Vielfalt. Werkstättenleiter Hans Bacher war schon da, als ich mit Gottfried Lagler ankam. Hausherr Matthias Sauseng kratzte bald darauf mit einem frühen Plus Serie-Modell von Steyr die Kurve, was im Einfahrtbereich Augenmaß verlangt.

In dieser Zone nahe der Straße fiel mir das Steyr-Trio unter dem Flugdach sofort auf. Dabei ein Steyr Typ 180, das erste Modell, das seinerzeit auf den Markt kam, wie frisch aus dem Schachterl. Dabei verrät eine Tafel: Baujahr 1948. „Oha, da hast Du aber eine ganz frühe Ausgabe auf dem Hof.“ Sauseng nickte: „Der hat eine Nummer unter 1.000.“ Also österreichische Traktorgeschichte pur in einigen Exemplaren.

Mathias „Hias“ Sauseng in seiner Halle
Mathias „Hias“ Sauseng in seiner Halle

Auch der Steyr 30 für den Alltagseinsatz von Sauseng paßt dazu. Dieses Modell war ab 1966 die Ablöse der Rundhauber (Jubiläumsserie) und kam in einem völlig unverwechselbaren Design von Louis Lucien Lepoix daher. Diesem Industriedesigner verdanken wir auch die Formgebung der kantigen LKW-Häuseln (90 Plus Serie und 91), den City Bus, das Puch Maxi, aber auch wesentliche Beiträge zum Pinzgauer. Sauseng fährt den 30er ohne Kabine und sonstwas. Pure Form aus der Funktion.

Ursprung: Reutlingen#

Dabei bin ich mit Steyr grade im falschen Film, denn das wird eigentlich keine Steyr-Geschichte, sondern eine Holder-Geschichte. Dafür wäre nach Reutlingen in Deutschland zu schauen, genauer: Baden-Württemberg. Die Werksgeschichte geht auf das Jahr 1888 zurück. Damals gründeten die Brüder Christian Friedrich und Martin Holder in Bad Urach, heute eine Kleinstadt, kaum größer als das oststeirische Gleisdorf, eine Werkstatt zum Bau von Maschinen. Darunter die erste selbsttätige Pflanzenschutzspritze der Welt. (Darauf komme ich noch.)

In der Halle müßte man Neuzugänge derzeit an die Decke hängen.
In der Halle müßte man Neuzugänge derzeit an die Decke hängen.
Schlichte, klare Linien, kein Firlefanz, auch hier: Form folgt der Funktion.
Schlichte, klare Linien, kein Firlefanz, auch hier: Form folgt der Funktion.
Schlanker Knicklenker für Weinberge: Kleinschlepper Holder A8D.
Schlanker Knicklenker für Weinberge: Kleinschlepper Holder A8D.

Heute ist das die Max Holder GmbH im Bereich der KMU, also der Klein- und Mittelbetriebe. Die Firma mit knapp unter 200 Leuten das, was man in Österreich „Mittlere Unternehmen“ nennt. Nun komme ich schon zur Sammlung des „Holderhias“. Darunter Spezielles. Spritzen kennen wir ja in allen Varianten, aber Einachsschlepper und Weinbergtraktoren sind bei uns nicht gar so häufig zu finden.

Mathias Sauseng (links) und Gottfried Lagler in der Halle, Thema: Druck im Kessel. Die Spritze hat links und rechts Kolben, welche über die Räder angetrieben werden. Die Ausleger geben nach, wenn man an ein Hindernis kommt.
Mathias Sauseng (links) und Gottfried Lagler in der Halle, Thema: Druck im Kessel. Die Spritze hat links und rechts Kolben, welche über die Räder angetrieben werden. Die Ausleger geben nach, wenn man an ein Hindernis kommt.

Das vermutlich kleinste Fahrzeug in der Kollektion ist ein schlanker Knicklenker, wie er konstruiert wurde, damit man nicht für gröberes Gerät Platz schaffen und daher eine Heckenreihe ausreißen muß. Reden Sie bei nächster Gelegenheit mit Weinbauern, wie mühevoll die Arbeit in steilen Weinbergen ist, wenn man alles händisch machen muß. Dann wird klar, warum guter Wein nicht billig sein kann und so kleine Traktoren die Arbeit etwas leichter machen.

Natürlich wurden auch in Österreich Einachsschlepper gebaut, aber wie erwähnt, sie fanden keine große Verbreitung. Vor allem die stattlichere Variante, per Schleppachse auf Vierrad ausgebaut, ist selten wo zu sehen. Gut, Balkenmäher & Co. kennen wir. Davon hat Sauseng auch etliches in der Halle. Zu diesem Thema verweist er auf seine Moty-Schlepper aus dem steirischen Werk von Michael Mayer (Frauenthal). Heute sind vor allem Moty-Mäher und Moty-Maschinen zur Kürbisernte gut im Geschäft. Bei Sauseng kann man frühe Winzlinge sehen.

Die Spritzen#

Was die oben erwähnten Spritzen angeht, sind im Zentrum zwei Aspekte besonders wichtig. Spritzmittel müssen ständig umgerührt werden, um nicht einzudicken. Und sie müssen im Kessel unter Druck stehen, damit das Versprühen klappt. Dazu kommen die breiten Ausleger, die an gelegentlichen Hindernissen leicht abbrechen würden, wären sie nicht auf schlaue Art gelagert, so daß sie nachgeben können, aber stets in die Ausgangsposition zurückkehren.

Mathias Sauseng (links) und Hans Bacher vor einer der Spritzen.
Mathias Sauseng (links) und Hans Bacher vor einer der Spritzen.
Zur Sammlung gehört auch ein beeindruckendes Sortiment von Anbau-Aggregaten.
Zur Sammlung gehört auch ein beeindruckendes Sortiment von Anbau-Aggregaten.
Der Kramer K 12 mit Warchalowski-Motor und angebauter Kreissäge auf einem Chassis wie für einen Panzer.
Der Kramer K 12 mit Warchalowski-Motor und angebauter Kreissäge auf einem Chassis wie für einen Panzer.

Dafür findet man in der Sammlung zwei besonders markante Exemplare, wobei das jüngere von beiden zum Beispiel raffiniert angebrachte Kolben hat, die für den Kesseldruck sorgen. Die ganze Sammlung ermöglicht übrigens einen anschaulichen Weg durch die Entwicklung landwirtschaftlicher Geräte, mit denen die schwere Arbeit zunehmend erleichtert wurde.

So fand ich sehr interessant, daß ich mir den Übergang von Mechanisierungsstufe I zu Mechanisierungsstufe II ansehen konnte. Das bedeutet hauptsächlich ein Aufkommen der Hydraulik, zum Beispiel hydraulischen Hubwerke und einiger anderer technischer Raffinessen, die am Traktor mehr Peripherie erlauben. In diesem Traktormuseum konnte ich mir ein knifflig gebautes mechanisches Hubwerk mit seinen Hebeln und Federn anschauen. So wird deutlich, welcher Fortschritt dann in der Hydraulik lag.

Das MULAG Dreirad (Motor Universal Lasten-Arbeitsgerät) kann mit dem 90 Grad-Einschlag des Vorderrades praktisch am Stand wenden. Der Unterflurmotor ist raumsparend verbaut.
Das MULAG Dreirad (Motor Universal Lasten-Arbeitsgerät) kann mit dem 90 Grad-Einschlag des Vorderrades praktisch am Stand wenden. Der Unterflurmotor ist raumsparend verbaut.

Unterwegssein#

Wenig überraschend, daß Bacher und Sauseng betonten, jeder der Traktoren sei fahrbereit, die Motoren würden umgehend anspringen. Wenn ich es recht verstanden hab, sind Standschäden hier nicht gar so rasant da wie bei Automobilen, aber es nutzt nichts, das Fahrzeug ist kein Stehzeug, muß bewegt werden, um nicht unter den Händen zu verkommen. Das bedeutet: ausgeklügelte Verschubarbeit in der Halle. (Man würde dafür einen eigenen Verkehrsminister brauchen können.)

Sauseng schätzt auch Ausfahrten. Kleine Reisen oder der Besuch von Klassiker-Treffen. Die beiden Männer sind sich einig, daß man sich gegenüber den typischen „Gelehrten“ immun machen müsse. Bacher: „Die Kommentare, wenn du wo hinfahrst, mußt du eben aushalten.“ Viele haben was zu sagen, meinte Sauseng: „De Schraubn is oba net original.“ Ja, das mag sein.

Genau das kam auch einst genauso bei der landwirtschaftlichen Arbeit vor. Bauersleute haben improvisiert. Die liefen nicht wegen jeder Kleinigkeit in die Werkstatt und bestellten Originalersatzteile, um ihr Geld abzuliefern. Die Maschinen sollten standfest sein, mußten laufen, niemand braucht Stehzeit. Also kommen nach Pannen zum Beispiel andere Schrauben, selbstgeschnitzte Anbauteile und sonstwas vor. Was eben verfügbar ist und keine Extrakosten verursacht.

Die Anfänge, die Konsequenzen#

Das mit dem Museum hat 2007 begonnen. Da wurde eröffnet. Am Anfang der ganzen Geschichte stand einige Jahre davor ein Einachsschlepper, der erst hergerichtet werden mußte. Bacher: „Wir haben ja sonst nichts gehabt. Die Leute haben auf uns heruntergeschaut.“ (Er war übrigens schon früh beim Oldtimerstammtisch Figaro dabei.) Klar, ein Ferrari mit Renngeschichte aus den 1960er Jahren bietet bei Klassiker-Treffen einen Mords Wow-Effekt. Aber dafür muß man Millionär sein.

Der Steyr 180 eröffnete 1947 Österreichs Geschichte der Serienproduktion von Kompakttraktoren.
Der Steyr 180 eröffnete 1947 Österreichs Geschichte der Serienproduktion von Kompakttraktoren.
Der kantige Steyr 30 löste die rundliche Jubiläumsserie ab und bewährt sich bis heute bei allerhand Arbeiten.
Der kantige Steyr 30 löste die rundliche Jubiläumsserie ab und bewährt sich bis heute bei allerhand Arbeiten.
Ursprünglich auch ein landwirtschaftliches Gerät: der 411er Unimog, das erste Baumuster.
Ursprünglich auch ein landwirtschaftliches Gerät: der 411er Unimog, das erste Baumuster.

Hier gibt’s keine Millionäre. Und wahrscheinlich läßt sich dereinst nicht einmal der Hauptteil an Wert jener Arbeit auf irgendeinem Markt lukrieren, mit der die Kollektion entstanden und auf Stand gekommen ist. Klar gesagt: was da an Kraft, Zeit und Material aufging, kommt an Geld nicht mehr heraus. Sowas klappt nur bei alten Ferraris und anderen Hochkarätern, die sich zum Spekulationsobjekt eignen. Das aber ist Kulturarbeit. Und private Passion. Die rentiert sich nicht in Geld. Die lohnt sich in anderen Währungen. Sauseng spricht darüber offen, denn seine Jünglingsjahre liegen schon eine Weile hinter ihm. Nach seinem Abgang wird mit all dem geschehen was will, er lebt im Jetzt.

Schrauber und Sammler#

Und dann das übliche Sammlerleiden. „Ich wollte ein Museum mit Garten“, sagte Sauseng. „Und ich will nichts hergeben, was ich mag. Also brauche ich Platz.“ Deshalb wird der hinreißende 411er Unimog rausfliegen, sobald sich ein Käufer findet. Ein Fahrzeug aus dem Jahr 1957, penibel restauriert, aber eben nicht zum Kernthema Holder gehörig. Doch Sausengs Grundsatzerklärung ist unmißverständlich: „Ich mag mein Leben so weiterführen, wie es mir taugt.“ (Naja, der Mog muß weg.)

Was das in Summe meint, zeigt dieses ganze Anwesen mit der leistungsfähigen Werkstatt, der feinen Halle, dem vielschichtigen Garten, in dem man verschiedenen Abteilungen betreten kann, aber auch der lange Tisch unter dem Flugdach, wo uns vorzügliche Wurst mit wohlschmeckendem Brot, mit milden Zwiebeln und Verhackert aufgetischt wurden; zu kaltem Bier, versteht sich. Sauseng: „Meine Hinterbliebenen werden einmal sagen: der hat sein Leben gelebt.“ Kann ich mir gut vorstellen.

Im Garten regiert die Heilige Barbara, hauptsächlich für Bergleute und Artilleristen zuständig.
Im Garten regiert die Heilige Barbara, hauptsächlich für Bergleute und Artilleristen zuständig.
Nicht notwenig, aber unverzichtbar: die fein gearbeitete Spaß-Hütte.
Nicht notwenig, aber unverzichtbar: die fein gearbeitete Spaß-Hütte.
Hans Bacher (links) und Gottfried Lagler an einem der Moty-Schlepper.
Hans Bacher (links) und Gottfried Lagler an einem der Moty-Schlepper.

Dazu gehörte auch, wie man nebenbei erfährt, daß er ein großes Faible für Motorradreisen hatte. „Ich war fünfmal in Afrika.“ Dazu zählte übrigens eine amtliche Teilnahme an der Rallye Paris-Dakar. „Da sind wir halt rausgeflogen. Wir waren schon zu alt, um mithalten zu können.“ Man muß freilich wissen, wie mörderisch hoch das Anforderungslevel ist, um bei diesem Bewerb zu reüssieren. Das meint, die waren selbst im Rausflug sicher noch härter drauf als viele jüngere Mopedisten.

Die Werkstatt beinhaltet alle wesentlichen Maschinen, eine enorme Sammlung an Bohrern und insgesamt eine gut geordnete Flut an Kleinteilen. Jeder Schrauber weiß, daß ein Projekt manchmal wegen fehlenden Kleinteilen stockt, während die großen Komponenten alle schon an ihrem Platz sind.

Was den Garten angeht, diese Mischung aus Ordnung und Wildwuchs mit seinen Nischen und kontrastreichen Terrains, da fiel mir ein kleiner Bildstock auf. Darin die Heilige Barbara, die mir als vormaligem Artilleristen geläufig ist. Also fragte ich danach. So erfuhr ich, daß Sauseng gelernter Brunnenbauer ist, schließlich Sprengmeister wurde, später eine Installationsfirma aufgebaut hat. (Barbara ist unter anderem die Schutzheilige der Bergleute und soll darüber wachen, wenn es kracht.)

Kolben für den Kesseldruck der Spritze.
Kolben für den Kesseldruck der Spritze.
Was fürt wozu? Achtung, daß die Augen nicht steckenbleiben!
Was fürt wozu? Achtung, daß die Augen nicht steckenbleiben!
Mit Riemen vom Zweirad zum Vierrad.
Mit Riemen vom Zweirad zum Vierrad.

Da mich derlei Klein- und Flurdenkmäler nun seit Jahren beschäftigen, haben wir auch darüber kurz gesprochen, denn derlei „Wegmarken“ sind für mich ein komplexes kulturelles Zeichensystem, das unseren gesamten Lebensraum durchzieht. Sauseng schreibt Roadbooks für Klassikerfahrten, indem er Karten im Maßstab 1:50.000 verwendet. „Und da richte ich mich hauptsächlich nach den Marterln. Daran kann man sich gut orientieren.“

Die Arbeit am ganzen Leben#

Ich hab eingangs erwähnt, das ganze Anwesen sei mir wie die Werkstatt eines guten Handwerkers erschienen. Nicht geschniegelt, nicht herausgeputzt, um zu glänzen, sondern funktionell. Das hat praktische Aspekte, muß sich nicht nur in der konkreten Arbeit bewähren, sondern auch in jener Arbeit, die man sich erspart, wenn alles seinen Platz hat und sachkundig gemacht wird.
In Österreich ein klingender Name.
In Österreich ein klingender Name.

Sie verstehen den Zusammenhang? Die Ehre des Handwerks zeigt sich auch in dem, woran man sich nicht schinden muß, weil man vorher gute Entscheidungen getroffen hat. Außerdem, da sind sich Bacher und Sauseng einig, man braucht ein gutes Netzwerk versierter Leute. Niemand kann alles.

Dann kommen aber ebenso verspielte Momente zum Vorschein. Es gibt auf diesem Anwesen Stellen, da hat es jemandem merklich Freude gemacht, sie zu errichten. Und genau das war der Zweck. Freude an einer Idee und deren Umsetzung, ohne dabei einen praktischen Nutzen zu verfolgen. Manches, ganz unscheinbar, ist von der Praxi abgeleitet, um die Arbeit nicht extra zu erschweren. Effizienz und die Schönheit von Arbeitsergebnissen haben allerhand miteinander zu tun. Sie können sich das im Museum anschauen. Manche Maschinen haben in ihrer puren Funktionalität und ihrem guten Erhaltungszustand eine eigentümliche Schönheit.

Sauseng sagte in einem Moment unseres Gesprächs: „Es ist oft schon schwierig, ein Projekt durchzuhalten.“ Ich denke, das ist ein Schlüsselwort: durchhalten. Probleme lösen. Widerstände überwinden. Jeder kann wo Geld auf den Tisch hauen, falls er eines hat. Aber Hingabe aufbringen, dranbleiben, um etwas zu schaffen, das völlig ins Ungewisse weist, das ist eine andere Art in der Welt zu sein.