Tragen, schleifen, fahren#
Markante Momente unserer Mobilitätsgeschichte#
von Martin Krusche
Eine Frau aus meiner Gegend erzählte mir, sie habe als junges Mädchen versucht, eine Kuh zu reiten; das Reiten sei ihr Traum gewesen. Pferde waren keine verfügbar. Man mag das heute für töricht halten. In der Oststeiermark, einst ein „Armenhaus“ der Monarchie mit mehrheitlich kleinen Selbstversorger-Wirtschaften, waren Pferde für kaum jemanden erschwinglich.
Eine Kuh läßt sich nicht reiten, der Versuch blieb aussichtslos. Gleisdorfs Kulturreferent Luis Reisenhofer, der von einer Landwirtschaft kommt, faßte die Bedeutung der Rinder so zusammen: „Die ‚Besseren’ hatten Pferde und Ochsen. Bei uns in der Oststeiermark fuhren 80 Prozent der Keuschler und Kleinbauern mit Kühen. Ein Last- und Zugtier, das auch Milch gibt war lebensnotwendig!“
Man sagt hier, die paar Bauern, welche schon Pferde hatten, waren dann auch die ersten, die sich Traktoren kauften. Obwohl Ford in Europa schon ab etwa 1917 kompakte Traktoren bauen ließ, die unter der Marke Fordson angeboten wurden, sind solche Maschinen bei uns erst nach dem Zweiten Weltkrieg erschwinglich geworden. (Der erste Steyr-Traktor lief 1947 vom Band.)
Das Tragen, das Schleifen, das Fahren, schließlich das motorisierte Fahren… Wir denken heute kaum daran, daß von allen Menschen, die weltweit in der Landwirtschaft tätig sind, nur recht wenige überhaupt Zugtiere zur Verfügung haben und insgesamt ein verschwindend geringer Teilt über landwirtschaftliche Maschinen verfügt.
Unsere Mobilitätsgeschichte ist also keinesfalls global. Das Transportwesen zeigt sich regional recht unterschiedlich. Ab und zu erfahren wir davon, daß Menschen mancherorts ein bis zwei Stunden Fußweg vor sich haben, um eine Wasserquelle zu erreichen, von wo das wertvolle Gut zurückgetragen werden muß. An manchen Orten baut man sich grobe Fahrräder aus Holz, da man sich ein für uns billiges Niederrad nicht leisten kann.
Unsere Mobilitätsgeschichte lebt also gewissermaßen in all ihren Abschnitten. Das Tragen von Lasten gehört Abertausenden zum Alltag, wird bloß in wohlhabenden Ländern an die Technik abgegeben.
Die Verwendung von Tragehilfen ist bei uns etwa im Rucksack erhalten. Das Tragjoch ist längst vergessen. Von Butten und Kraxen wird kaum noch gesprochen. Dem Tragen folgte das Schleifen von Lasten.
Den simplen Schleifen wuchsen Kufen, die schließlich Räder wurden. Zwischen Kufen und Rädern lagen vermutlich Rollen, die aber im Einsatz leicht verkanten. Die Rad-Achse-Kombination löste das Problem.
Das Tragen von Dingen und das Nutzen von Tragehilfen hielt uns Menschen in engen Grenzen der Mobilität und Transportkapazität. Massengüter waren die längste Zeit überhaupt nur auf dem Wasser transportierbar, nicht auf Straßen und Wegen. Das Reisen über Land war die längste Zeit mühsam, etwa in Postwagen eine große Strapaze, die erst durch Eisenbahnen ihr Ende fand.
Eine Ewigkeit lang war bei uns nichts der Zugkraft von Stieren gleichzusetzen, die kastriert wurden, um ihre Aggressivität an die Kette zu legen; also Ochsen. Gezähmte Pferde dienen dem Menschen als Zug-, Trag- und Reittiere. (Ein Reisender zeigte mir kürzlich Fotos, worauf sogar Kamele als Zugtiere zu sehen sind.)
Der Karren mit seinen starren Achsen verlangte nach einer besseren Lösung, denn er mußte um Wegbiegungen gewuchtet werden, was den Verschleiß der Räder hoch hielt. Die Lösung dieses Problems kam im Wagen mit lenkbarem Drehschemel (Schwenkachse). Die Achsschenkellenkung, wie wir sie heute auch an Autos haben, ist vergleichsweise jung, kam in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf.
Von der Kutsche führte der Weg zum Automobil auf dem Umweg über das Fahrrad. Hier entfaltete sich eine wachsende Ladekapazität im Transport, damit sich Gesellschaften versorgen konnten, aber auch die individuelle Mobilität anstieg. Die Massenmotorisierung Europas auf der Basis des individuellen Privatbesitzes von Kraftfahrzeugen erfolgte freilich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. (In Amerika fast ein halbes Jahrhundert früher.)
Erschwingliche Kraftfahrzeuge sorgten in dieser Geschichte für eine fundamentale Erschütterung des 20. Jahrhunderts. Es wurde die wohl umfassendste Änderung solcher Zusammenhänge, seit im zweiten Jahrtausend v. Ch. leichte Streitwagen mit Speichenrädern aufgekommen waren. In der jüngeren Vergangenheit lieferte vermutlich Napoleons Reiterei eine der radikalsten Lektionen Europas, was Mobilität bedeutet, schließlich der Bau der Eisenbahnnetze.
Es ist eine Geschichte von Jahrtausenden, in der Trag- und Zugtiere bedeutende Entlastungen für den menschlichen Leib wurden. Lange mußten die Menschen mit Wind- und Wasserkraft auskommen, um komplexere technische Lösungen mit mehr Kraft versehen zu können. Das waren aber gewöhnlich stationäre Möglichkeiten; von Segelschiffen abgesehen. Wasser, Luft und Feuer in Maschinen gepackt, das revolutionierte diese Kräftespiele.
Mit der Kraft der Dampfmaschine kam es zum ersten tauglichen Automobil, das wir kennen. Der Fardier (1769) von Nicholas Cugnot, ein Dampf-Traktor, welchen er für die Artillerie entwickelt hatte. Ein Nachbau dieses Fahrzeuges beweist dessen Fahrtüchtigkeit, was die beliebte Annahme, unsere Automobilgeschichte habe mit dem Patent-Wagen von Carl Benz begonnen, merklich relativiert. Siehe dazu „Guinness World Record pour le Fardier de Cugnot à la Cité de l'Automobile de Mulhouse“ (Abgerufen am 06.10.2016) (link)
Aber die Bauweise des Fardier spielte später in der Fahrzeuggeschichte keine dauerhafte Rolle. Immerhin bekommten wir ab und zu noch amerikanische und russische Traktoren zu sehen, die nach dem Prinzip des Dreirades gebaut wurden. In der Fahrradwelt waren Tricycles freilich lange hoch im Kurs, in der Automobilgeschichte Großbritanniens standen sie selbst nach dem Zweiten Weltkrieg noch auffallend da.
Der Drehschemel als Lenkvorrichtung, wodurch der Karren (starre Achsen) zum lenkbaren Wagen werden konnte, soll sich etwa im 13. Jahrhundert durchgesetzt haben. Vor dem Gebrauch von Karren war das Schleifen von Lasten üblich, wobei Schlitten mit Kufen die technologisch höher entwickelte Form darstellen.Der massive Schlitten, wie er bei uns zum Holzrücken eingesetzt wurde, um etwa Baumstämme talwärts zu befördern, läßt erahnen, wie beherzt und zäh man sein mußte, diese großen Fuhren persönlich zu führen oder mit starken Zugtieren zu bewegen. Solche Schlitten sehen wir heute noch in Vorgärten, hinter manchem Schuppen oder in Museen.
Tausende Jahre menschlicher Mobilität und Transportwesen sind nicht nur in Museen dargestellt, sondern in so gut wie allen Praxis-Varianten auf der Welt noch zu finden; ob in der realen Arbeitswelt, ob in folkloristischen oder touristischen Zusammenhängen. Dabei wird es interessant sein, zu beobachten, was davon in seiner Bedeutung wieder zunimmt, wo der Privatbesitz von Kraftfahrzeugen in den nächsten Jahrzehnten zurückgeht.
+) Referenz: Ein Beitrag zu Mythos Puch III (link), im Rahmen von „Landwirtschaft/Wirtschaft 4.0 und die Auswirkungen auf die Mobilität“ (link)