Notiz 087, Episode I: Eixelbergers Daedalus#
(Oder: „Männer arbeiten, Frauen basteln“)#
Von Martin Krusche#
Alle Welt kennt Ikarus. Er ist der Überflieger, dem Kühnheit zugeschrieben wird. Ikarus entwickelte sich in Europas Mythologie quasi zum Patron des edlen Scheiterns. Das ist freilich irgendwie Mumpitz und außerdem in diesem Mythos meiner Meinung nach nicht angelegt. Die Gegenposition dazu besetzt ausgerechnet sein Vater Daedalus, den heute kaum wer kennt. Er scheint ziemlich uninteressant zu sein. Ist er das? Nein!
Irmgard Eixelberger hat mir nach einem Gespräch einige ihrer Figuren aus Maisstroh angeboten, die nun meinen Auftakt zum Thema „Die Ehre des Handwerks“ sehr passend markieren.
Mythische Wurzeln unserer Rollenkonzepte?#
Während uns Prometheus in Europas Kulturgeschichte als Begründer der Technik gilt, ist Daedalus der Inbegriff des schöpferischen Menschen, an dem wir sehen, was der Begriff „Téchne“ ursprünglich bezeichnete.Damit sind Kunst, Handwerk und Wissenschaft gleichermaßen gemeint. Daedalus war also ein Techniker mit großem Einfallsreichtum und einer aus seiner Praxis erwachsenen Problemlösungskompetenz, die auch Erfindungen zuließ. (Das altgriechische Wort daidallein bedeutet „kunstvoll arbeiten“.)
Er war ein geschätzter Künstler von erheblichem Rang. So galten etwa von ihm geschaffene Statuen als so lebensecht, daß man an manchen Orten einen Zuwachs der Bevölkerung, wenn Arbeiten von Daedalus vorhanden waren.
Wer sich mit Eixelberger über solche Zusammenhänge unterhält, bleibt nicht darüber im Unklaren, daß diese etwas einseitig gewichtete Erzählung uns die handwerklich versierte Frauen unterschlägt. Mit ihren 90 Lebensjahren weiß Eixelberger, daß Rollenkonzepte dynamisch sind und keineswegs in Stein gehauen.
Stereotypen#
Nun haben wir hier im Zweier-Slot als erste Zeit.Raum-Episode diese beiden Figuren, den Bildhauer, wahlweise Steinmetz, und die strickende Frau; gemäß Eixelbergers ironischer Bemerkung: “Männer arbeiten, Frauen basteln“.Immerhin bieten uns solche Motive den einen oder anderen Anlaß, über die Conditio humana zu reden. Wie gerne wird behauptet, Kunst möge mit dem „Wahren, Schönen und Guten“ zu tun haben. Eine deprimierende Einschränkung. Daedalus war ja primär kein netter Mensch.
Schlägt man in den Metamorphosen von Ovid nach, erscheint Daedalus in seinen späten Jahren als ein besorgter, liebevoller Vater.
Doch in der Vorgeschichte war er ein arroganter und anmaßender Mensch, der in seiner Domäne niemanden über sich ertragen hätte und deshalb zum Mörder wurde. Ein Eifersuchtsmord (-versuch), ausgerechnet an seinem begabten Neffen Perdix, dem ihm sein Schwester zur Ausbildung anvertraut hat.
Der Bub erschein seinem Onkel als zu begabt. Perdix überlebte den Mordanschlag durch die Intervention der Göttin Minerva. Sie sah, wie ihn Daedalus über eine Klippe stieß, und verwandelte den fallenden Buben während des Sturzes in ein Rebhuhn.
Wie im Buddhismus die Auffassung besteht, daß alles Konsequenzen hat und daher nichts egal ist, zeigen sich solche Ereignisketten, die Folgerichtigkeit abbilden, auch in unserer Kulturgeschichte. Ovid hat uns im Liber VIII, 3 der Metamorphosen eine berührende Schilderung dieser Konsequenzen hinterlassen. Im Abschnitt „Daedalus und Icarus (8,183-235) heißt es über den Sturz des Ikarus (in der Übersetzung von Reinhard Suchier):
Weg war geschmolzen das Wachs: noch schwingt er die nackenden Arme,
Aber des Ruders beraubt kann Luft nicht weiter er fassen,
Und es empfängt den Mund, der schreiend den Namen des Vaters
Nannte, die bläuliche Flut, die drauf nach dem Knaben genannt ward.
"Ikaros, Ikaros, komm!", so ruft der bekümmerte Vater,
Nicht mehr Vater anjetzt. "Wo bist du? Wo soll ich dich suchen?
Ikaros!" schallt sein Ruf. Da sieht er im Wasser die Federn
Und er verwünscht die erfundene Kunst und bestattet den Leichnam,
Und vom bestatteten Leib ist der Name verliehen dem Eiland.
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