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Episode X: Perdix#

(Säge und Zirkel)#

Von Martin Krusche#

Die Mythologie Europas gibt uns bezüglich des Handwerks Auskunft. Ein Beispiel. Ovid erzählt im achten Buch der „Metamorphosen“, daß der kleine Perdix, Neffe des Daedalus, die Säge und den Zirkel erfunden hat. Daedalus, Vater des Ikarus, war ein renommierter Handwerker und Künstler. Seine Schwester hatte ihm den Buben zur Ausbildung übergeben.

Ovid: „Als zwölf Male bereits sich dem Knaben erneut der Geburtstag, dieser ersah nun auch als Muster das zackige Rückgrat, das er am Fisch bemerkt, und schnitt fortlaufende Zähne ein in die Schärfe des Stahls und erfand die nützliche Säge. Er auch war's, der in einem Gelenk zwei eiserne Arme fügte zuerst, dass, während sie schied gleichmäßiger Abstand, einer davon still stand und einer im Kreise sich drehte.“

Am Beginn dieser Verlaufsgeschichte eines sich verfeinernden Handwerks steht aber Prometheus, der die Menschheit rettete, indem er das Feuer vom Olymp stahl, um es auf die verdunkelte und kalte Erde zurückzubringen. So übersteuerte er eine Strafmaßnahme der eitlen und rachsüchtigen Göttern, die ihn dafür entsetzlich büßen ließen.

Der Name Prometheus offenbart den Mann als den „Vorausdenkenden“. Er stand so im Kontrast zu seinem Bruder Epimetheus, dem „Hinterherdenkenden“. Während dieser Bruder zuerst handelte, um später nachzudenken, was er damit angerichtet hatte, war der stets vorausschauende Prometheus ein Planender.

Diese kleine Skizze soll auch daran erinnern, daß Kunst und Handwerk in der Antike keine getrennten Kategorien waren. Dafür gab es im Altgriechischen das Wort Téchne, womit übrigens auch Wissenschaft gemeint war. Insgesamt also menschliche Bestrebungen, die zum Teil von einem planenden Denken bestimmt sind.

Daß für die Umsetzung auch Übung nötig ist, versteht sich von selbst. Eine Redensart besagt: „Wenn der Meister nichts kann, schimpft er aufs Werkzeug“. Das ist aufschlußreich. Dazu passend lautet ein anderes Bonmot: „Kinder, die nichts dürfen, werden Erwachsene, die nichts können“.

Perdix ist ein Beispiel, daß Kinder mit markanten Talenten unter uns sind, daß sie dafür dann Gelegenheiten, Spielraum und abschnittweise Anleitung bekommen sollten. Dazu paßt Daedalus als Meister, als Künstler, aber auch als Beleg, daß man in solchen Metiers keine moralische Integrität vorweisen muß, um Rang zu erwerben. Haltung ist ein anderes Thema.

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Künstlerisches Potential ist keine Gewähr für erfreuliche menschliche Qualitäten. Daedalus war auf den begabten Perdix bald sehr eifersüchtig, weil er befürchtete, der Bub könnte ihn überflügeln. Er führte einen Mordaschlag auf ihn durch. (Göttin Minerva schritt ordnend ein und rettete Perdix.)

Wir finden Handwerk, (Gegenwarts-) Kunst und Wissenschaft heute als voneinander getrennte Metiers. Aber sie schöpfen in etlichen Punkten aus den gleichen Quellen. Wenn ich nun selbst unter der Anleitung von Meister Franz Lukas Stahl schneide und feile, dann nicht, weil ich denke, aus mir könnte ein tauglicher Handwerker werden. Ich halte mich in diesem Genre für sehr untalentiert.

Aber auf diesem Weg verschaffe ich mir ein paar Momente der sinnlichen Erfahrung, was Handwerk bedeutet. Es ändert meine Grundlagen für Gespräche mit den Menschen der Praxis. Ich gehe außerdem für Augenblicke zurück an diesen Ursprung, als Kunst und Handwerk noch ungetrennt waren.


  • Alle Fotos: Martin Krusche