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2005: Meine Baldessari-Session
2005: Meine Baldessari-Session

Die Vorleistungen Anderer#

(Wenn ich es denken kann, können sie es auch denken!)#

Von Martin Krusche#

Mit Beuys geht es mir ein wenig so wie mit Andy Warhol. Die große Popularität dieser Männer verstellt immer wieder den Blick auf ihre Leistungen. Dieser Nebel der Verehrung, stellenweise auch Ablehnung, stört mich.

Ich hatte als junger Kerl eine Weile zu tun, meine Ohren und meinen Kopf von diesen Betriebsgeräuschen freizubekommen. Wie angenehm, wenn ich auf die Arbeit von so exponierten Persönlichkeiten völlig unaufgeregt blicken kann, um mich mit dem auseinanderzusetzen, was mich davon erreicht. Punkt!

Ich fand es erfreulich, einmal vor einem der schwarzen Quadrate des Kasimir Malewitsch zu stehen, weil mir das eine kleine Vergewisserung bot: Aha, es gibt diese Bilder wirklich. (Es hätte mir freilich auch genügt, sie als Idee zu wissen, die jemand gehabt hat, ohne sowas zu materialisieren.)

Von Duchamp bis Christo reichen solche Erfreulichkeiten. (Ha! „The Flying Steamroller“ von Chris Burden!) Dank unzähliger Kräfte aus verschiedenen Genres habe ich mir ein Inventar meines Denkens zusammentragen können, an dem ich ständig Veränderungen vornehme.

Ich hab mein Vergnügen, mit historischen Artefakten in Berührung zu kommen. Dabei zählt, was diese mir gerade für mein Denken bedeuten. Das mögen dann – im Sinn von Boris Groys – alle Arten von Gegenständen sein, einerlei, ob sie derzeit valorisiert oder trivialisiert sind.

Ich hab jede Freiheit, die Auf- oder Abwertungen als privates Unternehmen zu pflegen, ganz für mich, ohne Rücksicht auf den Stand der Diskurse oder den Marktwert von Werken. Oft kommt auch etwas Spielerisches dazu.

Spielerisch#

Vor vielen Jahren liebte ich es, ein Paar von Camping-Hockern in verschiedenen Situationen ein- und anzuordnen. Ein leicht transportables Sitzmöbel, endlose Aufstellungsoptionen, was für ein Vergnügen! Als ich mich einmal zwischen großformatigen Arbeiten von John Baldessari befand und in den Ecken des Saales…, na, was wohl? Ich sah da kleine Hocker stehen. Ab-so-lut unwiderstehlich. Also ordnete ich ein Paar dieser Hocker im Raum an, machte Fotos.

Das gab Ärger. Von zwei Seiten kamen Sicherheitskräfte auf mich zu und demonstrierten mir, was sie unter „Ernst des Lebens“ verstanden. Aber ich freue mich bis heute, wenn ich an dieses Setup denke, in dem ich mich für einige Augenblicke mit Baldessari verbündet hab.

Da geschah speziell vor einem Werk, das besagt: „Eine zweidimensionale Oberfläche ohne jede Artikulation ist eine tote Erfahrung“. So geschehen im Jahr 2005, ausgestellt in: „John Baldessari: Alles entfernen, außer der Kunst“. (Museum moderner Kunst, Stiftung Ludwig, Wien.)

2005: Adäquate Hütte
2005: Adäquate Hütte

The Long Distance Howl#

Ich hab das damals als einen Teil von „The Long Distance Howl“ (im Bereich „The Junction“) realisiert. Dieses auf insgesamt 20 Jahre angelegte Projekt befindet sich heuer (2022) in seinem letzten Jahr, da sehr kontrastreich sichtbar wird, was sich inzwischen wie verändert hat. Mein Projekt ist also zugleich ein Protokoll dieser Transition.

Um nun auf Beuys zurückzukommen, seine Wirkung taucht in meiner Arbeit immer wieder auf. Doch stets habe ich das Bedürfnis, möglichst unaufgeregt an ihn zu denken, ihn als einen fast selbstverständlichen Teil meiner geistigen Welt zu erleben, meiner Gedankenlabyrinthe. Was Beuys hinterlassen hat, ist recht für mich ganz selbstverständlich Teil jener Vorleistungen, auf denen beruht, was mir gelingt.

Das heißt, es gibt mich mit meiner Arbeit nicht ohne diese Leute; Beuys ist nur einer davon. Dieser Umstand spielt also keine große Rolle in meinem Umgang mit der Welt, mit meiner Umgebung. (Wir reden ja auch nicht ständig staunend darüber, daß wir atmen.)

Was da wirksam wurde und wird, sind sehr intime Prozesse, die mich nicht zu einer ausladenderen Darstellung drängen. Es ist ein Glück, daß all das stattgefunden hat. Es ist eine Annehmlichkeit, daß es mir zugänglich wurde. So geht es mir mit der Kunst. Wen schert’s? Aber manchmal, in Begegnungen, in Gesprächen, faltet sich das zu einer größeren Angelegenheit auf. So geschehen im Kielwasser Konferenzreihe „Kulturstrategie 2030“.

Postskriptum#

Der Satz "Wenn ich es denken kann, können sie es auch denken!" ist ein Beuys-Zitat aus einer Debatte im Jahr 1978.